Die ÖVP setzt sich aktuell aktiv und auf allen politischen Ebenen für den Erhalt der Sonderschulen in Österreich ein. Ministerin Sophie Karmasin, die sonst immer deutlich signalisiert, dass Schulagenden nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, machte zu Beginn des Jahres den Anfang. Sie pries die Vorteile der Sonderbeschulung und argumentierte zudem, Kinder mit Behinderungen würden in der Regelschule so häufig gemobbt, daher sei eine Sonderbeschulung für sie besser.

Abgesehen davon, dass Mobbing selbstverständlich auch in Sonderschulen passiert, irritiert es, dass die für Gewaltschutz zuständige Ministerin dafür plädiert, Opfer von Gewalttaten auszusondern. Dabei ist bekannt, dass Aussonderung als ebenso schmerzhaft empfunden wird wie körperliche Verletzungen. Für den Erhalt von Sonderschulen scheint der Ministerin kein Argument zu eigenartig.

Von der Bundes-, zur Landes- zur Gemeindeebene

In einem nächsten Schritt setzte sich der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter in seiner Rolle als derzeitiger Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz per Presseaussendungen für die Sonderschulen ein. Dabei war ihm vor allem das Ansehen der dort beschäftigten Lehrer ein Anliegen, das durch die Kritik an Sonderschulen beschädigt würde. Schließlich bringen sich nun auch auf Gemeindeebene ÖVP-Politiker ein: Aktuell unterstützt beispielsweise Eva Maria Posch, Bürgermeisterin in Hall in Tirol, Karmasins und Platters Aussagen und plädiert für ein Nebeneinander von Inklusion und Sonderschule, das Haller Blatt, eine lokale Bezirkszeitschrift, berichtet aktuell dazu.

Es fehlen mir die Ressourcen, um österreichweit zu recherchieren, wo sonst sich überall ÖVP-Lokalpolitiker öffentlich für die Aussonderung von behinderten Kindern und Jugendlichen aussprechen, aber dass sich die Haller Bürgermeisterin gerade jetzt wieder so äußert, nährt meine Vermutung, dass all diese Wortspenden Teil einer bundesweiten Kampagne der ÖVP sein könnte. Diese Kampagne dürfte in direktem Zusammenhang mit dem Bildungsreformgesetz 2017 stehen, dessen Entwurf bis vor kurzem zur Begutachtung vorlag. Darin ist vorgesehen, dass die Funktion der Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik von Sonderschulen abgekoppelt und beim pädagogischen Dienst der regionalen Bildungsdirektionen verankert wird.

Für den Neubau von Sonderschulen wird viel Geld ausgegeben.
Foto: Volker Schönwiese

Teures, doppelgleisiges System

Dass die Beratung über Integration ebenso wie die Beurteilung des sonderpädagogischen Förderbedarfs Kindern bisher im Wesentlichen durch Sonderschulen erfolgte, war von Beginn an ein struktureller Widerspruch bei der Implementierung der schulischen Integration von behinderten Kindern. Dies hat zu einer enormen Zunahme von Schülern geführt, die im Lauf ihres Schullebens einen sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) erhalten, häufig sogar erst in der Sekundarstufe I.

Nur so ist auch die im internationalen Vergleich hohe Integrationsquote von bundesweit mehr als 50 Prozent zu erklären, wie der Nationale Bildungsbericht aus dem Jahr 2015 feststellt: "Die eigentlich erfreuliche Steigerung der Integrationsquote geht leider vor allem darauf zurück, dass heute in den allgemeinen Schulen mehr Kinder und Jugendliche einen SPF attestiert bekommen, sich die Anzahl der Sonderschüler/innen aber nur wenig verringert." Es ist ein teures, doppelgleisiges System entstanden, das außerordentlich viele Schüler als sonderpädagogisch förderbedürftig etikettiert und gleichzeitig jene Kinder, die im eigentlichen Sinn mit Behinderungen leben, frühzeitig und konsequent aussondert.

Offensichtlich sollen diese nicht als gleichberechtigte Mitschüler sichtbar sein, sondern von ihren Alterskollegen abgeschottet werden. Und offensichtlich soll es keine Begegnungsmöglichkeiten mit ihnen geben, zum Beispiel in öffentlichen Verkehrsmitteln, denn Sondertransporte ermöglichen die Aussonderung in vom Wohnort weit entfernt gelegene Sonderschulen überhaupt erst. Für Charity-Events werden die behinderten Kinder temporär kurz aus dem Abseits geholt, um als Objekte für Wohltäter herzuhalten. Das passt dann wieder in deren christlich-soziales Weltbild. (Petra Flieger, 17.5.2017)