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Emmanuel Macron mit seiner wohl wichtigsten Wahlhelferin: Ehefrau Brigitte.

Foto: AP / Jacques Brinon

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Macron am Sonntag auf dem Weg zur Siegesrede.

Foto: REUTERS/Christophe Ena/Pool

Zweifellos kennt Emmanuel Macron die Maxime des Poeten René Char aus seinem Philosophiestudium: "Versuche dein Glück, ergreife deine Chance – und während sie dir zuschauen, werden sie sich schon noch an dich gewöhnen." Noch sind die Franzosen allerdings ziemlich perplex: Denn eigentlich kennen sie Macron erst seit 2014, als ihn Präsident François Hollande zu seinem Wirtschaftsminister ernannte. Erst Ende vergangenen Jahres erklärte der Newcomer seine Präsidentschaftskandidatur, ohne von einer etablierten Partei unterstützt zu werden.

Seine Bewegung "En Marche" ist gerade einmal ein Jahr alt und zählt schon über 200.000 Anhänger; doch die haben sich alle bloß per Mausklick angemeldet und eingetragen. Das wirkt alles gar virtuell und vage – so ähnlich wie Macrons politischer Positionsbezug "weder links noch rechts", der so völlig mit dem Zweilagersystem der Fünften Republik bricht.

Ein junger Mann im Élysée

Dennoch: Die Franzosen gaben dem 39-Jährigen schon im ersten Präsidentschaftswahlgang die meisten Stimmen: 24 Prozent für einen Jungspund, der bei der Bank Rothschild als Firmenfusionierer arbeitete, aber noch nie eine Wahl bestritten hat; nicht einmal eine lokale. Und auch in der Stichwahl am Sonntag reüssierte Macron mit deutlichem Vorsprung vor der Rechten Marine Le Pen.

In Frankreich, das bisher gewiefte alte Männer wie Charles de Gaulle, François Mitterrand und Jacques Chirac ins Élysée entsandte, hat das fast etwas Surreales, Mystisches. Als sei Emmanuel (hebräisch: "Gott sei mit uns") wie seinerzeit Jeanne d'Arc einer Stimme gefolgt, die ihn aufrief, Frankreich zu retten.

Macron hörte zweifellos eine Stimme: aber die eigene. Der charmante, aus dem Nichts gekommene Kandidat glaubte stets felsenfest an sich. Er sei "besessen von sich", ätzt der Sozialist und kurzfristige Weggefährte Julien Dray. Und nur so kann ein Schüler seine eigene Lehrerin, eine 24 Jahre ältere Familienmutter, erobern und später heiraten; und nur so kann jemand ein altes, konservatives Land wie Frankreich im Handstreich nehmen, auch wenn er nicht Napoleon heißt.

Wahlkampfauftritt Macrons am 17. April in Paris.
AFP

Gewiss hatte Macron auch Glück. Wie durch göttliche Fügung wichen alle sozialliberalen Gegner zur Seite – zuerst Hollande, dann Premier Manuel Valls, schließlich Alain Juppé: Sie alle machten mehr oder weniger unfreiwillig den Weg durch die politische Mitte frei. Der talentierte Monsieur Macron vermag nicht nur "über Wasser zu gehen", wie das Pariser Blatt "L'Opinion" schrieb – er trennte auch das Meer zur politischen Rechten und Linken, um seine Anhänger sicher dazwischen hindurchzuführen.

20.000 kamen im April in einen Pariser Konzertsaal, um ihn zu sehen, und er fragte sie mit Inbrunst: "Spürt ihr die Kraft dieser Versammlung?" Als er Luft holte, schrie einer dazwischen: "Je t'aime, Monsieur Macron, merde!" (Ich liebe dich, Herr Macron, Scheiße!) Der junge Kandidat dankte es per Handkuss, dann stimmte die Halle auf unsichtbares Geheiß die zur Liebeshymne umfunktionierte Marseillaise an: Die kollektive Kommunion war vollkommen. "Allons enfants de la patrie, l'amour est arrivé!"

Biedere Mitte

Die Liebe ist Macrons Programm. In seinem Buch "Révolution" (2016) beschreibt er, wie er in der Provinzstadt Amiens in "Zärtlichkeit und Vertrauen" aufgewachsen sei, um danach in Paris beim Philosophen Paul Ricœur ("Der Eros ist im Sein") unterzukommen. Dann besuchte Macron die Eliteschule ENA, wurde Vizesekretär im Élysée-Palast und Wirtschaftsminister. "Man schafft nichts Gutes ohne Liebe", schreibt Macron in seiner Profess und bekennt sich darin zu seiner "freudigen Leidenschaft für die Freiheit, Europa, die Wissenschaften, das Universelle".

Welch Kontrast zum Darth Vader der französischen Politik, Marine Le Pen. Macron steht für die Lebensfreude und Energie der Jugend, die keine Konventionen braucht, keinen falschen Respekt kennt. Bei einer Snapchat-Diskussion schrieb ihm unlängst ein Student, der um Macrons deutlich ältere Ehefrau weiß: "Ich fahre auf meine Strafrechtsprofessorin ab, was soll ich tun?" Nun: Zuerst müsse er herausfinden, ob das Gefühl gegenseitig sei, antwortete der Präsidentschaftskandidat. "Wenn dem so ist, dann nur drauflos, keine Tabus. Wenn nicht, stellen Sie sich selbst infrage."

Marine Le Pen im letzten TV-Duell vor der Stichwahl.
FRANCE 24 English

Ja, Macron kann mit den Jungen. Er ist ja selber einer. Aber er steht auch seinen Mann. Er ist fähig, inmitten von wütenden Arbeitern und Streikposten das Wort zu führen, wie vorige Woche vor einer Fabrik in Amiens. Er hat in knallharten TV-Debatten erfahrene Politveteranen wie François Fillon oder Jean-Luc Mélenchon aus dem Feld geschlagen. Macron liebt die Seinen, aber nicht wie ein Kumpel, sondern wie ein Chef. In "Révolution" doziert er, er sei neben dem Prinzip der Gleichheit "immer auch für die vertikale Dimension eingetreten".

Die Franzosen hätten den Tod von König Ludwig XVI. 1793 "nicht gewollt" und lebten seither in einer "emotionellen und imaginären Leere". Wodurch sie auszufüllen wäre, sagt der Kandidat auch gleich: "Vom Staatspräsidenten wird erwartet, dass er diese Funktion wahrnimmt." Nur, warum heißt sein Bekenntnisbuch eigentlich "Révolution"? Denn Macrons Programm ist keineswegs bahnbrechend. Eher biedere Mitte.

"Er spaltet nicht gern"

Wagt sich Macron einmal zu sehr nach links oder rechts, krebst er gleich zurück. "Emmanuel spaltet nicht gern, er verabscheut das sogar", meint ein ehemaliger Studienkollege in einem Buch der "Figaro"-Journalistin Anne Fulda. "Er liebt es, wenn ihn alle lieben." In der Politik überdauert die Liebe allerdings selten den Wahlsieg. Schon gar nicht, wenn man als Retter, als Erlöser der Nation antritt, das heißt als mutiger Reformer, der den verknöcherten französischen Zentral- und Beamtenstaat aufbrechen will.

Macron hat die Chance ergriffen, die Nation vor dem Le-Pen-Gespenst zu retten. Ob er auch das Zeug hat, der französische JFK, Tony Blair oder Gerhard Schröder zu werden, zeigt sich in den nächsten fünf Jahren. Ein Buchtitel macht noch keine Revolution. (Stefan Brändle aus Paris, 7.5.2017)