Wer ist die Beste im ganzen Land? Nancy Mensah-Offei und Michaela Kaspar in Esther Muschols "Talisman"-Paraphrase.

Foto: Anna Stöcher

Wien – In Johann Nestroys Der Talisman werden Menschen wegen ihrer knallroten Haarfarbe diskriminiert. Heutige Borniertheit tarnt sich besser. Sie zwängt ihr Vorurteil in die Schablone von Sprachregelungen, die man ebenso sklavisch befolgt, wie man sie im Ton kumpaneihaften Einverständnisses belächelt.

Im Theater an der Gumpendorfer Straße dreht ein furchterregend gut aufgelegtes Ensemble den Spieß noch einmal um. Fünf Betriebsleiter in spe versammeln sich in Begleitung eines Schiedsrichters im Assessment-Center. Die Herrschaften beiderlei Geschlechts und unterschiedlicher Hautfarbe streiten um den Lorbeer der bestgeeigneten Führungskraft. Seit gut 20 Jahren, seit Urs Widmers Top Dogs, geht im deutschsprachigen Theater das Königsgespenst des Top-Managers um. Die Rosenkriege dieser Tage finden auf den Bilanztafeln multinationaler Konzerne statt.

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Regisseurin Esther Muschols Planspiel Weiße Neger sagt man nicht geht über die Psychogrammatik gestresster Funktionseliten hinaus. Indem eine Schwarze (Nancy Mensah-Offei) das Bewerberfeld von hinten aufrollt, lockt sie bei den Konkurrenten unschöne Regungen hervor.

Ob als HAK-Lehrerin aus Laa/Thaya, ob als "Funkenschuster" (Elektriker) aus der Wiener Vorstadt, man kultiviert unsublime Vorurteile und beäugt einander voll unverhohlenem Misstrauen. Man praktiziert eine Art Rassismus der zweiten Stufe. Aus Titus Feuerfuchs, dem emsigen Kletterer auf der sozialen Stufenleiter, ist nämlich eine "Titania Coleman" geworden. Die Angehörige einer steinreichen Sippe aus dem südlichen Afrika entpuppt sich als die eigentliche Leiterin des Assessment-Experiments, und sie schreckt auch vor dem Gebrauch einer altertümlichen Schusswaffe nicht zurück.

Unentschieden

Leider kann sich der vom Ensemble zurechtgezimmerte, mit wenig Bühne auskommende Abend schwer entscheiden, ob er nicht bloß die üblichen Untatverdächtigen mit überlegener Ironie zur Sau machen will. Was stimmt schließlich heiterer, als arme Würstchen dabei zu beobachten, wie sie beim sozialen Verdrängungswettbewerb platzen, damit andere ihr Fett abkriegen?

Vor den Vorhang möchte man Michaela Kaspar bitten, die als Heilige Johanna der Industriedrahtgitter eine böse Beflissenheit an den Tag legt. Man amüsiert sich nie ganz unter Niveau; der lose Szenenverbund müsste nur noch in ein Stück umgeschmolzen werden, das diesen Namen verdient. Dann könnte mit dem "Black- und Whitefacing" besser, das heißt: schärfer ernst gemacht werden.

So bereitet man sich selbst in der Gumpendorfer Straße ein eher durchschnittliches Vergnügen. Was ja womöglich auch nur meint: Alles nicht so tragisch nehmen! (Ronald Pohl, 7.5.2017)