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Weizenernte im US-Bundesstaat Washington. Das Getreide wird heute auf jedem achten bewirtschafteten Feld der Erde angebaut, der weltgrößte Produzent ist China.

Foto: Picturedesk/Cameron Davidson

Wien – Es begann vor mehr als 10.000 Jahren im sogenannten Fruchtbaren Halbmond, einer Region, die sich in einem Bogen vom östlichen Mittelmeer bis zum Persischen Golf erstreckt: Dort fingen Menschen an, statt als Jäger und Sammler umherzuziehen, nahrhafte Pflanzen gezielt zu selektieren, wieder auszupflanzen und die Erträge zu ernten.

Bald kam auch die Viehzucht dazu – die Landwirtschaft war erfunden und führte die Menschheit in eine neue Ära: die der Sesshaftigkeit. Dies ist auch der Ausgangspunkt für den Aufstieg einer Pflanze, die heute das meistgehandelte Nahrungsmittel der Welt ist: Weizen. Als eine der ersten domestizierten Pflanzen erreichte dieses Getreide im Lauf der Jahrtausende einen beispiellosen Stellenwert in der menschlichen Zivilisation, den es bis heute innehat.

Untrennbar verbunden

Mit Anbauflächen von 220 Millionen Hektar in 125 Ländern machen die verschiedenen Arten dieses Getreides derzeit rund elf Prozent aller weltweiten Ernteerträge aus – etwa 730 Millionen Tonnen. "Unsere Kulturgeschichte kann im Prinzip an der genetischen Geschichte des Weizens nachgezeichnet werden", sagt Åsmund Bjørnstad, Professor für Pflanzenzucht an der norwegischen Universität für Umwelt- und Biowissenschaften in Ås.

Der Anbau von Getreide brachte unzählige Neuerungen in allen Lebensbereichen mit sich. Vor allem, dass Getreidekörner unter den richtigen Bedingungen über Jahre hinweg gelagert werden können, bedeutete einen immensen gesellschaftlichen Fortschritt – und sorgte auch für das erste Zahlungsmittel der Welt.

"In Mesopotamien und Ägypten diente Getreide mehr als tausend Jahre vor dem Aufkommen der ersten Münzen als Währung. Den höchsten Wert hatte stets der Weizen", so der Forscher, der sich dem Thema in seinem Buch "Our Daily Bread" ausführlich widmet.

Gigantisches Genom

Bjørnstad ist einer von rund 500 Wissenschaftern, die vergangene Woche am Internationalen Weizengenetik-Symposium in Tulln teilnahmen, um sich über die Geschichte und vor allem die Zukunft des Weizens auszutauschen. Organisiert wurde die vom Land Niederösterreich unterstützte Konferenz vom Interuniversitären Department für Agrarbiotechnologie (Ifa), der Universität für Bodenkultur Wien, der Technischen Universität Wien und der Vetmed-Uni Wien.

Warum unter den Getreiden gerade der Brotweizen so wichtig wurde, liegt neben dem Nährwert (sein Proteingehalt ist höher als etwa der von Reis oder Mais) vor allem am hohen Ertrag und der großen Anpassungsfähigkeit der Pflanze. "Weizen hat ein extrem großes, unglaublich komplexes Genom, das ihn anpassungsfähiger als jede andere Nutzpflanze macht", sagt Kellye Eversole.

Die Vorsitzende des Internationalen Weizen-Genom-Sequenzierungs-Konsortiums (IWGSC) muss es wissen: Sie und ihre Kollegen stehen kurz vor der Veröffentlichung der kompletten Genomsequenz des Brotweizens – ein Megaprojekt, das schon vor mehr als einem Jahrzehnt seinen Anfang nahm: Denn das Weizengenom ist mit 17 Milliarden Bausteinen etwa fünfmal so groß wie das des Menschen, zudem liegt jedes Chromosom gleich sechsfach vor.

Nützliche Genkarte

Einen ersten Entwurf haben die Forscher bereits 2014 in "Science" vorgelegt und damit erstmals ermöglicht, spezifische Weizengene schnell und zuverlässig zu finden. Die Vervollständigung soll nun die Zucht neuer Sorten, die ertragreicher und resistenter gegen Krankheiten oder klimatische Veränderungen sind, entschieden voranbringen, um dem zunehmenden Bedarf der Welternährung beizukommen. Eversole: "Man kann das mit Google Maps vergleichen: Wir können jetzt gezielt Gene und die mit ihnen verbundenen Merkmale lokalisieren, vergleichen und verändern."

Ertrag, Stresstoleranz und Krankheitsresistenzen sind aber bei weitem nicht die einzigen Aspekte, die Forscher am Weizen der Zukunft verbessern wollen – auch der Konsument rückt immer stärker in den Fokus. Ein Forscherteam um Cristobal Uauy vom Pflanzenforschungsinstitut John Innes Centre im englischen Norwich arbeitet derzeit etwa an den Eigenschaften der Weizenstärke.

Designerbrot

"Wir haben ein Weißbrot entwickelt, das ähnlich wie ballaststoffreiches Vollkornbrot verdaut wird", sagt Uauy. "Die Stärke des Weißbrots wird langsamer in Zucker umgewandelt, lässt damit den Blutzucker weniger schnell ansteigen und macht länger satt." In Zeiten zunehmender Stoffwechselerkrankungen sieht der Forscher in solchen Entwicklungen ein enormes Potenzial. "Man muss entweder die Ernährungsgewohnheiten der Menschen ändern oder die Produkte. Wir sind für Letzteres zuständig."

Rudi Appels von der Murdoch University im australischen Perth denkt in eine andere Richtung: wie man in neuen Weizenzüchtungen gezielt Gene beeinflussen könnte, die an Zöliakie und Glutensensitivität beteiligt sind. Dank der vollständigen Genomsequenz sei es künftig möglich, diese Gene aufzuspüren, zu erforschen – und gezielt zu verändern.

Aussichtsreiche Genschere

Vielversprechend erscheint dafür vor allem ein Werkzeug, das beim Kongress in Tulln in aller Munde war: die Gen-Editierungs-Methode CRISPR/Cas9. Vereinfacht gesagt können damit schnell und günstig Gene im Erbgut von Lebewesen ausgeschaltet oder modifiziert werden, ohne Fremd-DNA einführen zu müssen. "In einigen Fällen hat ein einziges Gen großen Einfluss auf eine bestimmte Eigenschaft der Pflanze", sagt Appels. "Wenn wir ein für Zöliakie verantwortliches Gen finden, ist CRISPR/Cas9 die Lösung. "

Für Eversole ist eine Zukunft der Landwirtschaft ohne Genome-Editing undenkbar. "Das Prinzip ist ja nicht neu: Pflanzenzucht beruht seit jeher auf genetischer Veränderung. Aber mit dem CRISPR/Cas-System wissen wir erstmals genau, was dabei passiert, und können es gezielt steuern."

Dem stimmt auch Uauy zu und regt eine rationale Diskussion zum Thema an: "Genome-Editing muss transparent und klar reguliert werden. Veränderungen an Pflanzen, die über das hinausgehen, was langfristig auch mit herkömmlicher Züchtung möglich ist, brauchen Regeln. Aber diese Regeln dürfen auch in Europa die Forschung nicht behindern, denn sonst würde man sie den großen Konzernen überlassen." (David Rennert, 4.5.2017)