Der Stern ist schwarz, den Puritanern zerreißt es das Herz: In der Bilderfolge "Democracy in America" der Societas aus Cesena wird dem US-amerikanischen Erwähltheitsdünkel der Prozess gemacht.

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Romeo Castellucci (57), Bildermagier und Traumdeuter.

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Unweit von Florenz, auf der Strecke nach Pistoia, liegt die toskanische Textilstadt Prato. Im Gewirr der Gässchen findet man das Teatro Metastasio, einen einladenden Jahrhundertwendebau mit geradezu obszön nachgiebigen Plüschsesseln.

Hier lief in den letzten Apriltagen die neue Performance von Romeo Castellucci: "Democracy in America". Castelluccis Bildertheater, bereits mehrfach zu den Wiener Festwochen eingeladen, speist den Betrieb mit schwer verdaulichen Rätseln. Irgendwo hinter unserem Wachbewusstsein sind finstere Geheimnisse verborgen. Sie strukturieren unser Zusammenleben. Sie entstammen den Bezirken von Kult, Wahn und Düsternis und bilden das Substrat vorzivilisatorischer Erfahrung.

Des Italieners neues Stück bildet in der Kette metaphysischer Denkaufgaben keine Ausnahme. Dabei basiert es auf einem Wunderwerk der Aufklärung, Alexis de Tocquevilles "Über die Demokratie in Amerika" (1835). Zu sehen sein wird Castelluccis bravouröser Bildessay von 23. bis 26. Mai im Wiener Volkstheater.

Demokratie in der Neuen Welt

Der Franzose war in die Neue Welt aufgebrochen, um die Mechanismen der Demokratie vor Ort zu prüfen. Voller Wissbegier blickte Tocqueville den Nachkommen der Pilgerväter bei der Bändigung des Alltags über die Schultern. Die Demokratie, entschied er nach genauem Vergleich von Theorie und Praxis, würde auch Europas Schicksal sein.

Besonders begeistert zeigte sich Tocqueville über die rege Beteiligung der US-Bürger an allen öffentlichen Angelegenheiten. Doch planer Zukunftsoptimismus ist Castelluccis Sache erfahrungsgemäß nicht. "Democracy in America" verhandelt assoziativ die Kosten, die die Puritaner bereit waren für ihr "nation building" zu entrichten. Gezeigt werden Vertreter eines sich auserwählt dünkenden Volkes. Nur haben die strenggläubigen Männer und Frauen ihr Altes Testament offenbar nicht eingehend genug gelesen.

In Wahrheit weiß keiner so genau, wer anstatt seiner spricht, wenn er spricht. Die Performance beginnt akustisch, mit einem 1980 aufgezeichneten Beispiel von Zungenrede. Hernach betritt eine Horde Mädchen in blütenweißen Uniformen die Bühne. Die Kinder hängen ihre sauber mit je einem Buchstaben bestickten Fähnchen zu Wörtern zusammen. Voilà: Der Schriftzug "DEMOCRACY IN AMERICA" entsteht.

Unter dem ohrenbetäubenden Klappern eines unsichtbaren Würfels entstehen aus dem Buchstabenmaterial immer neue Anagramme, vermeintlicher Unsinn wie "DECAY CRIME MACARONI" oder "CAR COMEDY IN AMERICA". Aus dem Chor moderner Bacchantinnen schält sich eine Frau heraus, die sich splitternackt auskleidet und sich mit roter Farbe übergießt. Eine Trapezstange sinkt aus dem Schnürboden herab. Die Frau wird Elisabeth heißen, Puritanerin sein und ihre Tochter gegen einen Sack Saatgut eintauschen. Jetzt aber peitscht sie mit nasser Haarmähne die Stange, wie um einen Kultgegenstand mit Blut zu tränken.

Als Mondsüchtige wird Elisabeth durch das Stück geistern. Sie wird mit Gott hadern, weil der ihr nicht in den Arm fiel, als sie ihr Kind für landwirtschaftliche Produkte hergab. Sie wird in Zungen reden wie eine vom Teufel Besessene. Aber sie wird sich brav hinter den Pflug spannen lassen, zum Lob Gottes, zum Wohle der Gemeinde.

Berlusconi statt Trump

Sie tritt in die Fußstapfen Abrahams, der Isaak opfern wollte. Castelluccis Bilderalbtraum könnte aus Dantes "Inferno" stammen. Begleitet wird er von der Einblendung diverser US-amerikanischer Föderalakte. Er mündet in den Sprechunterricht zweier Indianer, die sich die Wörter der Weißen aneignen, um ihre eigene Kultur auszulöschen. Romeo Castellucci (57), der Urheber dieser wahnsinnsnahen Allegorien, ist ein charmanter Gesprächspartner. Zu Donald Trump merkt er lediglich an, dass sie in Italien mit Berlusconi dasselbe Thema längst "hinter sich gebracht" hätten.

Aber Castellucci fühlt eine tiefe Verbundenheit mit der US-Literatur, mit den "Raumverhältnissen" in der Neuen Welt. Das Sendungsbewusstsein der Puritaner hält er für die eigentliche Tragödie. Diese habe in der Vernichtung der Indianer gegipfelt, in der Marginalisierung der Schwarzen: "Sie wurden in eine Position der ontologischen Minderwertigkeit abgedrängt." Und: "Ich zeige eine weibliche Figur, die sich gegen das Dogma der Auserwähltheit zur Wehr setzt. Sie stößt die 'neue' Gesellschaft von sich. Zugleich ist sie deren Opfer, weshalb sie in die indianische Maske schlüpft."

Der Gott der Puritaner? Windsäcke schlackern auf der Bühne. Sie bilden "weiche" Posaunen. Ihr Lärm verhallt ungehört. (Ronald Pohl aus Prato, 2.5.2017)