Tschechiens Premier Bohuslav Sobotka sorgte bei seiner Pressekonferenz für einen Knalleffekt.

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Prag/Wien – In den Terminkalendern tschechischer Politiker war das Datum bereits fix vorgemerkt: Für die zweite Oktoberhälfte waren reguläre Parlamentswahlen angesetzt. Und alles deutete darauf hin, dass die Regierung aus Sozialdemokraten (ČSSD), der liberal-populistischen Partei Ano und den Christdemokraten (KDU-ČSL) trotz interner Spannungen eine volle Legislaturperiode lang am Ruder bleiben werde.

Überraschung

Seit Dienstag ist alles anders: Der sozialdemokratische Premier Bohuslav Sobotka hat überraschend seinen Rücktritt angekündigt – laut tschechischer Verfassung bedeutet das den Rücktritt der gesamten Regierung. Hintergrund ist sein lange schwelender Streit mit Ano-Chef Andrej Babiš. Dieser ist Vizepremier, Finanzminister und gilt als zweitreichster Mann des Landes.

Vergangene Woche hatte Sobotka einen von ihm in Auftrag gegebenen Bericht über Babiš' unternehmerische Tätigkeit veröffentlicht. Dabei geht es vor allem um die von Babiš gegründete Holding Agrofert, unter deren Dach sich etwa 250 Einzelunternehmen finden. Kritisiert wird unter anderem, dass der Milliardär bereits 2012 als Privatmann seiner eigenen Firma steuerfreie Schuldscheine abgekauft hatte – und zwar kurz vor einer Gesetzesänderung, die genau darin ein Steuerschlupfloch sah und dieser Praxis einen Riegel vorschob.

Schlechte Umfrageergebnisse

Ein weiterer Vorwurf betrifft die mittelböhmische Freizeitanlage Čapí hnízdo ("Storchennest"). Babiš soll die Anlage bereits 2008 über anonyme Aktien an ihm nahestehende Personen verkauft haben, um so an EU-Fördergelder zu gelangen, die die Agrofert nicht bekommen hätte. Der Finanzminister hat ähnliche Vorwürfe bereits in der Vergangenheit immer wieder zurückgewiesen. Alle Geschäfte, für die er kritisiert wird, seien legal gewesen, so Babiš.

Trotz der zuletzt wachsenden Spannungen kam der Rücktritt Sobotkas am Dienstag überraschend. Beobachter hatten damit gerechnet, dass der Premier eher Babiš zum Rücktritt drängen oder Präsident Miloš Zeman um dessen Abberufung ersuchen würde. Sobotka jedoch trat – wohl auch mit Blick auf die Umfragen, die die Babiš-Partei Ano klar in Führung sehen – die Flucht nach vorne an: "Würde ich die Abberufung des Finanzministers vorschlagen, dann würde ich für die kommenden Monate nur einen Märtyrer aus ihm machen", erklärte er auf seiner Pressekonferenz.

"Niemand will mehr zahlen"

Babiš reagierte erbost: "Herr Sobotka hat mich hintergangen. Er hintergeht schon sein ganzes Leben lang", sagte er in einer ersten Stellungnahme. Steuerschonende Praktiken verteidigte er. Er habe stets alle Steuern gezahlt, die ihm per Gesetz auferlegt seien: "Wollen Sie vielleicht mehr zahlen? Niemand will mehr zahlen!"

Sobotka will sein Rücktrittsgesuch noch diese Woche Präsident Zeman übergeben. Möglich sind ihm zufolge nun vorzeitige Parlamentswahlen, worauf sich die Parteien einigen müssten, oder die Fortsetzung der Koalition – allerdings ohne Babiš als Finanzminister. Fraglich war auch, wie Zeman auf das Rücktrittsgesuch reagieren würde. Er muss dieses nicht annehmen. Möglich war auch, dass er erneut eine Expertenregierung einsetzen würde, wie er das nach der letzten Regierungskrise im Jahr 2013 getan hat. (Gerald Schubert, 2.5.2017)