"Ich bin nur eine Stimme im Raum." Eigentlich mag ich solche Sätze nicht. Sie haben etwas von "Stellen Sie sich jetzt auf keinen Fall einen fliegenden Elefanten mit rosa-grün-gestreiften Ohren vor": Wenn man sich – noch dazu zum allerersten Mal, als einziger Mann und in einem überheizten Raum voller Frauen – auf eine Yoga-Matte legt, eine durchtrainierte, attraktive Dame in den Raum kommt und mit "Ich bin nur eine Stimme im Raum" eröffnet, ist eines sicher: Man (ich zumindest) ist überfordert. Und weiß nur eines: Man (ich) wird sich jetzt unendlich blamieren. Aus peinlicher Berührtheit laut loslachen. Vermutlich (eher: ziemlich sicher) beides.

Oder aber nicht: Weil man (ich) jetzt nämlich gleich sterben wird. Weil es nämlich unmöglich ist, gleichzeitig mit durchgestreckten Knien dazustehen, dabei den Kopf an die Knie zu legen, zu den Knien sinken zu lassen, die Hände von hinten unter die Fersen zu schieben, die Arme hinter den Waden zusammenzubringen und anzuziehen – und dabei auch zu atmen. Abgesehen vom Nicht-Umfallen.

Keine Ahnung, wie und wieso das die anderen so leicht hinkriegen: Ich kann das nicht. Noch dazu, wo mir der Schweiß jetzt schon – in der dritten Minute – in Bächen in Augen und Ohren rinnt. Und jetzt auch noch – ich stehe ja kopfüber – in die Nase.

Welcher Dolm hat eigentlich die Heizung auf 36 Grad gedreht? Und wieso bin ich jetzt nicht anderswo? Am Nordpol zum Beispiel. Aber nein: Ich werde hier zusammengefaltet und dabei gegart. Hot Yoga Vienna nennt sich das. "Ich bin nur eine Stimme im Raum." Beam me up, Scotty!

Foto: hotyogavienna.com

Das war vor über einem Jahr: Meine allererste Yoga-Stunde. Die "Stimme im Raum" gehörte Helle. Und die ist mittlerweile keine Nur-eine-Stimme-im-Raum mehr, sondern eine gute, sehr gute, Freundin geworden. Und eine Laufpartnerin. Helle hat mir – im Wortsinn – das Laufen gerettet. Nicht nur im übertragenen Sinn könnte man das auch deftiger formulieren: "Yoga saved my ass." Weil ich mir zwischen Gluteus maximus, Hüftbeuger, ISG-Gelenk und Hamstrings ein hübsches Paket an einander gegenseitig bedingenden, verstärkenden und prolongierenden Problemen, Wehwehchen und Verletzungen zusammengebastelt hatte. Kleinigkeiten, die ich aber so lange ignoriert und übergangen hatte, bis nix mehr ging, geschweige denn lief.

Weil es eh nicht noch schlimmer werden konnte, ließ ich mich dann mitschleppen. In eine Yoga-Stunde ins Studio um die Ecke. "Ich bin nur eine Stimme im Raum" war das Erste, was ich hörte. Dann verging mir Hören und Sehen. Und dann begann ich zu lernen. Langsam, Schritt für Schritt. Über meinen Körper. Über die Achtlosigkeit, mit der ich ihn behandle. Über das, was er kann, was er braucht und wo die Grenzen sind. Wie man Grenzen verschiebt oder akzeptiert. Aber auch darüber, wie ich mit anderen Grenzen – denen im Kopf – umgehe. Ganz ohne "Ohm" und Eso-Schmock.

Foto: Instagram Helle

Ich bin kein guter Yogi. Aber darum geht es nicht: Der Hashtag #besserschiefalsgarnicht ist nicht nur Koketterie, sondern auch eine kleine Botschaft – auch an all diese Ehrgeiz-Yoginis und -Yogis mit ihren unpackbaren Insta- und Wasweißichdennchannels: Klar ist es toll, wenn Leute vom Rad in den Handstand und von dort – die Gesetze von Hebelwirkung, Schwerkraft, Anatomie und Knochenstruktur Lügen strafend – in die irrsten Positionen kommen und nicht einmal schnaufen. Das ist schön anzusehen. Bewundernswert. Kunst. Aber erst in dritter oder vierter Linie das, was Menschen wie ich aus ihrer Yoga-Praxis für einen Nutzen ziehen.

Physisch wie mental. Weil: Siehe oben. Es geht um weit Banaleres. Etwa darum, dass vor allem Männer nicht dehnen – bis es zu spät ist. Und danach darum, dass die Welt anders aussieht, wenn man zweimal am Tag oben und unten vertauscht. Das bringt zunächst vieles durcheinander – und strukturiert es dann neu. Wie in einem Kaleidoskop: Immer anders – manchmal ähnlich, aber nie genauso, wie es vorher war. Und das ist gut.

Foto: Thomas Rottenberg

Helle, die "Stimme im Raum", lebt heute anderswo. Aber wir plaudern. über Yoga und Laufen: So unähnlich sind unsere Geschichten nicht: "Ich habe vor zehn Jahren mit dem Laufen angefangen und mich vorgearbeitet bis zum Marathon. Weil ich Stabilisation, Kräftigung und Dehnen viel zu wenig Raum gegeben habe, kamen dann Knieschmerzen. Ich musste etwas ändern und habe mit Schwimmen und Radfahren angefangen. Nur: Da ist mit Dehnen auch nicht viel. Yoga war in meinem Kopf immer langweilig: Dehnen mit Räucherstäbchen und 'Ohm'. Trotzdem habe ich es probiert. Und siehe da: Das ist wirklich Sport! Nicht nur in puncto Flexibilität und Dehnung, sondern auch für die Kräftigung der inneren Muskulatur und des gesamten Körpers und des Geists. Es geht um den Fokus, darum, "bei sich" zu bleiben, auf den Körper zu hören. Ich habe meinen Körper neu kennengelernt. Und siehe da: Die Knieschmerzen waren Geschichte, die Muskulatur und somit auch meine Laufleistung viel besser. Auch das Akzeptieren, dass es bessere und schlechtere Tage gibt, wurde durch Yoga einfacher für mich."

Foto: Instagram Helle

Natürlich kann man das auch sportwissenschaftlich fundiert formulieren. Und auch begleitend beobachten. Mein Physiotherapeut aus der Wiener Sportordination, der Triathlet Andreas Lichtenwörther, tut das – nicht nur bei mir. Weil eines muss man schon auch festhalten: Mit Yoga allein habe ich einige meiner Probleme beruhigen und kalmieren und nicht größer werden lassen können – aber ohne medizinische und physiotherapeutische Maßnahmen wäre ich nicht bis an die Wurzeln gekommen. Dafür hatte ich zu lange gewartet.

"Das Problem bei vielen Läuferinnen und Läufern liegt vor allem darin, dass die Beanspruchung meist in Richtung der Kontraktionsrichtung der Muskulatur geht und die Dehnung zu kurz kommt. Das Hauptproblem ist oft im Bereich des Hüftgelenks verankert. Die Hüftstreckung fehlt funktionell oft aufgrund einer zu unflexiblen Muskulatur – das kann die Ursache für vielerlei Probleme sein. Ein wichtiger Lösungsansatz im Bereich der Primärprävention, also bevor es zu Problemen kommt, ist das Dehnen. Dabei bietet sich Yoga als attraktive Form des Flexibilitätstrainings an. Durch die lange Dauer der jeweiligen Position erreicht man eine ziemlich tief gehende und intensive Dehnung – etwa im Bereich des Hüftbeugers. Aber auch vieler anderer beim Laufen stark beanspruchter Muskelgruppen. Wie bei allen anderen Dehnungen oder Belastungen sollte man aber immer genau in seinen eigenen Körper hineinhören. 'Endlagige Bewegungen', die es beim Yoga oft gibt, stellen nämlich immer eine starke Beanspruchung für das jeweilige Gelenk dar. Ignoriert man Signale des Körpers, kann man sich, obwohl man eigentlich Positives bewirken möchte, schnell auch zum Beispiel einen Meniskusriss holen."

Foto: Andreas Lichtenwoerther

Ähnlich – also "Gut, aber obacht: Es gibt keine universell gültigen Allheilmittel!" – argumentiert auch Sandrina Illes. Die Duathletin und Staatsmeisterin (unter anderem über 10 Kilometer und die Halbmarathondistanz) ist "nebenbei" auch Lauf- und Ganganalytikerin – und war meine erste Trainerin. Von ihr habe ich Laufen gelernt – und obwohl sie gerade bei der Duathlon-EM in Spanien ist (im Bild: die Frau im roten Dress), fand sie Zeit, ein wenig über Laufen & Yoga zu reflektieren:

"Ich selbst mache Krafttraining auch in Richtung Maximalkraft. Das sehe ich auch fürs Laufen als wichtig an. Insbesondere weniger kraftbetonte Typen (häufig Frauen) profitieren da enorm. Nicht zu vergessen ist der positive Effekt auf den Knochenbau (Stichwort Ermüdungsbrüche), auch fürs Marathontraining bereitet das perfekt vor.

Immer dabei sein sollte die Mobilisierung – und das Arbeiten an eigenen Schwächen. Überbeweglichkeit sollte dabei aber nicht gefördert werden, da man beim Laufen eine gewisse Festigkeit des Bindegewebes gut nutzen kann.

Beim Yoga ist es halt so, dass mehr oder weniger Stabi-Eigengewichtsübungen mit Verbesserung der Beweglichkeit verbunden werden. Leider gehen eher jene Läufer, die tendenziell eh schon überbeweglich ('Schlangenmenschen') sind, gerne zum Yoga. Für jene wäre 'echtes' Krafttraining wichtiger, wobei man natürlich da auch gezielt an einzelnen Beweglichkeitsmankos arbeiten kann und soll. Die eh schon eher unbeweglichen 'Wikinger' (die Begriffe stammen aus dem Buch 'Faszien-Krafttraining' von Robert Schleip und gefallen mir sehr gut) neigen dann eher dazu, yogaähnliche Übungen zu vermeiden und noch mehr in die Verkürzung zu trainieren: Während man beim Lauftraining an Stärken arbeiten darf, sollte man beim Stabi/Kraft/Yoga-Training die Schwächen bearbeiten. In welchem Umfang man das macht und ob sich neben dem Marathontraining Kraft UND Yoga ausgehen, ist wohl individuell."

Foto: Sandrina Illes/ Stefan Jeschke

Ins gleiche Horn – unter dem schönen Stichwort "gemischt positiv" – stößt auch mein aktueller Trainer Harald Fritz, wenn man ihn auf den Sinn von Yoga für Läufer anspricht:

"Wenn man sich die gängige Trainingslehre im Bereich des Ausdauersports ansieht, kommen die Elemente 'Krafttraining', 'Koordination' und 'Beweglichkeit' immer als fixe Bestandteile vor. Gelöst wird das mit unterschiedlichen Ansätzen. So gehört 'Funktionelles Training', 'Kraft- und Stabitraining', 'Faszientraining' und vieles mehr mittlerweile zum Standardrepertoire vieler Sportler. Wenn man genauer hinschaut, wird man feststellen, dass zahlreiche Elemente ihren Ursprung eigentlich im Yoga haben und entweder komplett oder leicht modifiziert übernommen wurden. Als Trainer stehe ich dem ganzen gemischt positiv gegenüber. Gemischt, weil die meisten Sportler unter einem eingeschränkten Zeitbudget leiden und es oft wichtiger wäre, sportartspezifisch zu arbeiten. Wenn man genügend Zeit hat und zum 'Kerntraining' auch noch Yoga unterbringen kann, finde ich das ausgezeichnet. Leider gilt auch beim Yoga, was bei vielen Sportarten ein Problem ist: Wenn Trainer oder Trainerin nicht gut ausgebildet ist und genau weiß, was zu tun ist, kann es unter Umständen mehr schaden als nützen."

Foto: Harald Fritz/ ausdauercoach.at

Und wie sehen es die Praktiker – in der Regel ja eher Praktikerinnen? Viktoria Ecker zum Beispiel betreibt unter dem Namen Doktor Yoga eines – seit kurzem sogar zwei – der ganz hippen Studios in Wien.

"Laufen kann durch die repetitive Bewegung zu ungleichmäßiger Belastung und in der Folge zu Verletzungen führen. Yoga kann man als ausgleichendes Ganzkörpertraining betrachten, das die Beweglichkeit erhöht und die Muskulatur stärkt, insbesondere auch die stabilisierende Tiefenmuskulatur. Das erleichtert den Bewegungsablauf, erhöht die Stabilität und mindert das Verletzungsrisiko. Ein weiteres Plus – nicht nur für Läufer – ist das Erlernen einer tiefen, gleichmäßigen Atmung.

Gleichzeitig höre ich aber auch immer wieder, dass Läufer Angst vor einer Yoga-Stunde haben, weil sie meinen, sie seien nicht beweglich genug. Doch diese Befürchtung ist vergleichbar mit der Aussage 'Ich habe keine gute Kondition, daher gehe ich nicht Laufen': Beweglichkeit ist ein Resultat – keine Bedingung!"

Foto: Hie Kim

Und natürlich fragte ich auch dort, wo für mich alles begann – und wo ich immer noch regelmäßig an die Grenzen meiner Elastizität stoße: In "meiner" Yoga-Heimat, Raphaela Pruckners Hot Yoga Vienna. Auch, weil ich wissen wollte, ob dieses Aufheizen des Raumes auf 36 Grad nur ein netter, hipper Detox-Gag ist – oder tatsächlich etwas kann:

"Hot Yoga ist ein besonders guter Ausgleich zu Sportarten wie Laufen, Klettern oder Radfahren, weil hier Muskelpartien, die zum Beispiel beim Laufen extrem beansprucht werden, durch die Kombination aus Wärme und Bewegung wieder gedehnt und regeneriert werden. Wärme ist ein äußerst wertvolles und effizientes therapeutisches Tool. Außerdem wirkt sich eine regelmäßige Hot-Yoga-Praxis positiv auf Ausdauer & Kraft aus und beugt Verletzungen vor. Somit kann Hot Yoga gut als Ergänzung und Ausgleichssport genutzt werden."

Foto: Raphaela Pruckner/ Hotyoga

Wie lange der Yoga-Hype noch andauern wird? Keine Ahnung. In Wien eröffnen derzeit neue Studios immer noch quasi im Stundentakt – und sind trotzdem gut besucht. Viele bieten mittlerweile eigene "Yoga für Jogger"- (oder "Laufen und Yoga")-Sessions an. Umgekehrt finden auch in Laufschuhshops (etwa bei Run Inc) Yoga-Stunden statt).

Und auch wenn ich vor einem Jahr noch mehr skeptisch-höhnisch war, finde ich das heute super – freilich ohne missionarische Gedanken: Was wirkt, das gilt. Egal ob in der Albertina, am SUP-Board im Neusiedler See, beim Schwammerlnsuchen oder in der Raumstation Mir. Mit oder ohne "Ohm".

Und dass es auch Leute gibt, die das alles unendlich doof, affig und langweilig finden? Soll sein: Wer will, der soll. Und wer nicht will, muss ja nicht.

Namasté. (Thomas Rottenberg, 3.5.2017)

Anmerkung: Ich bin – respektive war – war bei allen hier als meine Trainerinnen, Trainer, Therapeuten oder Lehrerinnen angeführten Personen stets regulär zahlender Kunde.

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