Wer an Verschwörungstheorien glaubt, konnte sich durch eine Meldung Mitte April bestätigt sehen: Da hat doch glatt ein Comiczeichner in einem "X-Men"-Band eine islamistische Botschaft versteckt, oder, bei genauerem Hinsehen, wohl eher einen dezenten Hinweis auf eine Koransure, die kein Musterbeispiel für interreligiösen Dialog ist.

Sind also Fans der bunten Mutantentruppe gefährdet, sich in Richtung Dschihad aufzumachen? Oder gar der letzte Film, "X-Men Apocalpyse", ein bildgewaltiger Aufruf zur aktiven Teilnahme am religiös motivierten Weltuntergang?

Henry Cavill als Superman in "Man of Steel".
Foto:AP/Warner Bros.Pictures/Clay Enos

Moses im Weltall und ein Gott mit Hammer

Religion als möglicher Subtext von Comics und deren Verfilmungen ist so neu nicht. Im Gegenteil: Einer der bekanntesten Superhelden, der das "Super" schon im Namen trägt und vom mittlerweile zerstörten Planeten Krypton stammt, wurde bereits vom NS-Oberpropagandisten Joseph Goebbles als Jude identifiziert und dementsprechend im totalitären Reich der deutschen Übermenschen verboten: Zum einen, weil der Held im markanten rot-blauen Kostüm, wie auch andere Figuren der großen US-Amerikanischen Comicverlage, während des Zweiten Weltkriegs im Einsatz für die Alliierten war (man denke nur an die ideelle Herkunft von Captain America).

Zum anderen aber wurden in die Gestalt Supermans von seinen Erfindern (Jerry Siegel und Joe Shuster) tatsächlich so manche Ideen verpackt, welche die beiden aus ihrer eigenen jüdischen Tradition kannten, beginnend mit der ins Weltall verlagerten Mosesgeschichte. Und wer die jüngste "Daredevil"-Adaption auf Netflix mitverfolgt hat, weiß: Der Rächer in enganliegendem Rot versteht sich selbst als "good catholic boy", der im Kampf gegen das Böse so einiges tut, was er dann beichten muss. Und auch die nicht-monotheistischen Religionen sind mit Thor und Loki aus der germanischen Mythologie gut und ästhetisch ansprechend vertreten.

hellorion

Versteckte Missionierung oder Unterhaltung?

Grund genug also, dass sich die Religionswissenschaft mit Superheldencomics und ihren Verfilmungen beschäftigt. Und gleich einmal feststellt: Keine der hier genannten Reihen wird von einer Religion oder religiösen Institution produziert oder kofinanziert – auch wenn das für Verschwörungstheoretiker ein harter Schlag sein mag. Keiner der genannten Helden ist eine religiöse Figur im engeren Sinn, nicht einmal dann, wenn sie ein Gott ist wie Thor oder Loki. In diesem Fall gibt die germanische Mythologie einfach das entsprechende "Lokalkolorit" und einen smarten Bösewicht gleich dazu. Der Hauptzweck dieser Comics und ihrer Verfilmungen ist Unterhaltung und – je nach Budget – spektakuläre Action. Die Angst, dass mühsam als Atheisten großgezogene Kinder durch eines der genannten Produkte plötzlich in religiösen Wahn verfallen, ist definitiv unbegründet – und, ganz ehrlich, wer von diesen aufrechten Atheisten kennt schon Koransure 5:51?

Warum dennoch sowohl aus religiösen Gemeinschaften selbst sowie in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Teil der Populärkultur nicht selten auf die religiösen Themen und Motive verwiesen wird, hat unterschiedliche Gründe. Für Anhänger einer Religionsgemeinschaft kann es in einer säkularen Welt und einem oft arg ramponierten Image ihrer Religion durchaus tröstlich sein, sich in guter Gesellschaft von Superhelden zu wähnen. Ob und wie weit diese offiziell vereinnahmt werden können, hängt dann vor allem vom jeweiligen Verlag (Marvel, DC) beziehungsweise dem Filmstudio ab – und wie man an der Reaktion Marvels auf den kryptoislamistischen Zeichner sieht, werden hier durchaus Grenzen gezogen.

Warner Bros. Pictures

Religion und Comic(verfilmung): Kulturwissenschaftliche Perspektiven 

Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive – und hier sprechen wir von so unterschiedlichen Disziplinen wie Literatur- und Medienwissenschaft, Amerikanistik, Jewish Studies, Religionswissenschaft – analysiert man bei medialen Produkten nun einmal vorzugsweise die visuelle und die narrative Ebene. Auf diesen beiden Ebenen kommt man für die genannten Beispiele nicht umhin, Parallelen zu religiösen Erzählungen zu entdecken, wobei diese sich oft genug beim Heldenmythos à la Joseph Campbell erschöpfen, mitunter aber tatsächlich auch spezifischere Züge tragen, denen es sich lohnt nachzugehen. Wer eine ganz kurze Erklärung will, muss hier damit vorliebnehmen, dass Religionen eine reiche Fundgrube an eindrücklichen Erzählungen, insbesondere zum Kampf Gut gegen Böse bieten, derer man sich bis heute gerne bedient – oft umso leichter, je geringer der Einfluss der konkreten Religion bereits ist. (Theresia Heimerl, 10.5.2017)

Zum Thema findet von 24. bis 27. Mai die Tagung "Comic/verfilmung und Religion" an der Universität Graz statt.

Weiterführende Literatur

  • Larry Tye: Superman. The High-Flying History of America’s Most Enduring Superhero, New York: Random House 2012.
  • David A. Lewis / Christine Hoff Kraemer (Hg.): Graven Images. Religion in Comic Books and Graphic Novels, London: Continuum 2010.
  • Inge Kirsner (Hg.): Überzeichnet. Religion in Comics, Jena: IKS Garamond 2011.

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