"Wir wollen deutlich zulegen" – Franz Schnabl will die absolute Mehrheit der Volkspartei in Niederösterreich brechen.

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St. Pölten / Wien – Als Franz Schnabl Freitagnachmittag in St. Pölten als designierter Landesparteichef der SPÖ Niederösterreich und Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2018 präsentiert wurde, war die Nachricht keine Überraschung mehr. Neu war aber, dass sich Präsidium und Landesparteivorstand einstimmig für den Magna-Funktionär und Ex-Polizeigeneral der Wiener Sicherheitswache ausgesprochen haben.

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Nicht nur Landesparteichef Matthias Stadler, der selbst einen Nachfolger für sich gesucht hatte, war anwesend (und sagte, Schnabl sei "der richtige Kandidat zum richtigen Zeitpunkt"), auch Bundeskanzler und Bundesparteichef Christian Kern war vor Ort. DER STANDARD traf Schnabl, dessen Lebensmittelpunkt sich nun aus dem Burgenland nach St. Pölten verlagert, am Tag zuvor zum Gespräch.

STANDARD: Sie übernehmen eine Landespartei, für die es lange nur bergab ging. Bei der Landtagswahl 2003 erhielt die SPÖ Niederösterreich 33,6 Prozent der Stimmen, 2013 nur 21,6 Prozent. Warum machen Sie den Job?

Schnabl: Mehrere Personen – der Parteivorsitzende, Parteifreunde – haben mir gesagt, ich soll mir überlegen, diese Aufgabe zu übernehmen. Das habe ich mir nicht leicht gemacht. Ich sehe eine hohe Verantwortungsverpflichtung als jemand, der sich sein Leben lang neben dem Beruf politisch engagiert hat – gerade in einer Zeit, wo sehr viel passiert: Digitalisierung, Urbanisierung, aber auch eine Orbánisierung in der Politik. Die Sozialdemokratie ist dazu prädestiniert, Zuversicht zu vermitteln.

STANDARD: Die Antwort auf die Frage, warum Niederösterreich, ist also: weil Sie gefragt wurden?

Schnabl: Sie kam aus dem Umfeld des Landesparteivorsitzenden Matthias Stadler und dann von Stadler selbst. Ich habe in Niederösterreich starke Wurzeln, weil ich da geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen bin, ein Drittel meiner Arbeitszeit gearbeitet habe et cetera. Dazu kommt, dass Niederösterreich die interessanteste Region Österreichs ist. Wir haben die Wirtschaftsregion Wien-Bratislava als stärkste Wachstumsregion in Zentraleuropa. Wir haben ein Land, das von den Alpen bis zur Ebene alles bietet. Und wir haben eine Herausforderung zur noch lange nicht abgeschlossenen Etablierung des Zentralraums Niederösterreich als Bildungszentrum, Industriezone, Infrastrukturzentralraum.

STANDARD: Ihre Polizeikarriere war unter dem damaligen Innenminister Ernst Strasser, politischer Ziehsohn Erwin Prölls, zu Ende. Haben Sie da noch eine Rechnung offen?

Schnabl: Als ich die Polizei verlassen habe, weil ich in der Rolle als Generalinspektor nicht wiederbestellt wurde, hat mich das belastet. Im Nachhinein war es eine gut bewältigte Challenge.

STANDARD: Würden Sie den Job machen, wenn Erwin Pröll als Landeschef nicht Geschichte wäre?

Schnabl: Alle Parteien in Niederösterreich haben sich personell neu aufgestellt. Das mag damit zu tun haben, dass eine Ära zu Ende gegangen ist.

STANDARD: Fällt die Absolute?

Schnabl: Das ist ein hundertprozentiges Ziel. Wir wollen deutlich zulegen und die Themenführerschaft für unsere Anliegen übernehmen: Bildung für unsere Kinder, Arbeit für die Menschen, Sicherheit und Gerechtigkeit.

STANDARD: Um wie viel stärker soll die SPÖ werden?

Schnabl: Ziel ist, über das Ergebnis der vorletzten Landtagswahl hinauszukommen.

STANDARD: Also über 25,5 Prozent?

Schnabl: Das ist auch noch zu wenig. Deutlich heißt deutlich.

STANDARD: Bildung, Arbeit, Sicherheit sind in Niederösterreich stark besetzt von der ÖVP, die dort omnipräsent ist. Wie soll das gelingen?

Schnabl: Niederösterreich hat sich von einer Grenzregion, die sehr schwierige Rahmenbedingungen hatte, sehr weiterentwickelt. Im innerösterreichischen Vergleich gibt es bei der Arbeitsplatzstatistik aber sehr hohen Verbesserungsbedarf, beim Regional-BIP ist Niederösterreich auf einer Ebene mit Kärnten und dem Burgenland. Bei der Budgetentwicklung und bei der Kriminalitätsbelastung sind wir zweitschlechtestes Bundesland. Mein Ziel ist, nicht schneller, sondern in allen Bereichen deutlich besser zu werden.

STANDARD: Wie?

Schnabl: Mit Initiativen und Projekten, die wir am 24. Juni beim Sonderlandesparteitag vorstellen.

STANDARD: Niederösterreich hat eine hohe Arbeitslosenrate. Sie sehen "Digitalisierung als Chance". Wie konkret?

Schnabl: Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, im Großraum Herzogenburg bis Wilhelmsburg, Sankt Pölten eine Start-up-Szene in Kombination mit den Fachhochschulen zu etablieren. Ich kann mir Anreizsysteme und stärkere Förderungen vorstellen.

STANDARD: Niederösterreich hat hohe Schulden. Wo soll man sparen?

Schnabl: Ich begrüße die Ansage der Frau Landeshauptfrau, über eine Verwaltungsreform nachzudenken. Aber man darf sich nicht erwarten, dass alle Einsparungen daraus kommen. Man muss jede einzelne Maßnahme hinterfragen. Das beginnt im Förderbereich. Ich stehe einer Transparenzdatenbank sehr positiv gegenüber. Ich bin auch dem Vorschlag einer Landeszuständigkeit für bestimmte Steuern nicht abgeneigt.

STANDARD: Sollten weitere Förderungen für die Erwin-Pröll-Privatstiftung gewidmet werden, würde das die SPÖ unter Ihnen wieder mittragen?

Schnabl: Zur Erwin-Pröll-Privatstiftung will ich nichts sagen, sondern die Prüfung des Rechnungshofs abwarten. Ganz generell: Ich halte nichts von geheimen Regierungsbeschlüssen, ausgenommen von Dingen, die Persönlichkeitsschutz oder öffentliche Sicherheit betreffen.

STANDARD: Würden Sie also mit einer Forderung nach mehr Transparenz bei Regierungsbeschlüssen in Koalitionsgespräche gehen, so es zu solchen käme?

Schnabl: Ich glaube, das wird schon früher dargestellt werden. Die Frau Landeshauptfrau hat angekündigt, ein Demokratiereformpaket mit den anderen Parteien zu diskutieren. Wir Sozialdemokraten werden die Klubklausur am 2. und 3. Mai für die Diskussion von Vorschlägen nutzen. Ich finde, Niederösterreich soll bis 2025 das Demokratie-Musterland in Österreich werden.

STANDARD: Sie sprachen von Gerechtigkeit: Würden Sie die Kürzung der Mindestsicherung rückgängig machen, wenn Sie mit der ÖVP koalieren sollten?

Schnabl: Den Begriff Rückgängigmachen mag ich nicht. Wenn ich eine Reform beschließe, heißt das, ich habe das nach bestem Wissen und Gewissen so beschlossen. Aber ich muss mir die Gelegenheit geben, nach einem oder zwei Jahren zu schauen, ob ich etwas verändern muss. Man darf bezüglich Mindestsicherung nicht vergessen, dass es hier nicht nur um Migranten, Zuwanderer oder Flüchtlinge geht, sondern auch um unsere Pensionisten, Langzeitarbeitslose, um viele Menschen am Rande des Sozialsystems.

STANDARD: Bundeskanzler Christian Kern wirkte daran mit, dass Sie die SPÖ Niederösterreich übernehmen. Wie?

Schnabl: Der Kanzler und Parteivorsitzende will in den Bundesländern Personen haben, denen er etwas zutraut. Ich bin dankbar dafür, ein Vertrauensvorschuss ist aber auch eine Hypothek, dem gerecht zu werden.

Schnabl wurde am Freitag als künftiger SP-NÖ-Chef präsentiert. An seiner Seite einer, der ihn gerne in dieser Funktion sieht: Kanzler Kern.
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STANDARD: Wie stehts um die Unterstützung durch die Parteibasis im Land?

Schnabl: Ich komme auch politisch aus Niederösterreich, weil ich da in der Sozialistischen Jugend gearbeitet habe und hier in Gloggnitz in die Partei eingetreten bin. Du musst ja nicht jeden Tag durch die Partei wandern, damit du dort verankert bleibst.

STANDARD: Ziehen Sie nach Niederösterreich?

Schnabl: Ich habe entschieden, mich in Sankt Pölten niederzulassen.

STANDARD: Und der Magna-Job als Vice President Human Resources?

Schnabl: Ich habe über die Auflösung ein Vorgespräch geführt. Der Schritt in die Politik bedeutet, dass der Job in der Privatwirtschaft beendet wird, weil ich nach der Wahl einen Sitz in der Landesregierung anstrebe.

STANDARD: Wären Sie 2013 ein Wunschkandidat Frank Stronachs fürs Team Stronach gewesen?

Schnabl: Nein. Der Frank hat von Anfang an gesagt: Ich weiß, dass du Sozialdemokrat bist, ich respektiere, dass Du dazu stehst.

STANDARD: Karin Renner und Maurice Androsch bleiben Landesräte?

Schnabl: Bis zur Landtagswahl trete ich nicht in die Landesregierung ein. Das Team in der SPÖ in der Landesregierung und im Landtag bleibt unverändert. Wir diskutieren derzeit in den Bezirksorganisationen die Wahllisten, und es wird mit der Erstellung eines inhaltlichen Programms, voraussichtlich im September, eine landesweite Wahlliste geben. Diese wird dann einem Landesparteirat vorgestellt und beraten. Davon hängt die Zusammensetzung der nächsten Landesregierung ab.

STANDARD: Sie sind Präsident des Arbeiter-Samariter-Bundes. Bleiben Sie das auch?

Schnabl: In NGOs ähnlicher Ausrichtung – etwa auch beim Hilfswerk, da ist EU-Mandatar Othmar Karas Präsident – ist es nicht unüblich, dass politische Mandatsträger die Rolle des Präsidenten ausüben. Meine Vorgängerin war die damalige Stadträtin Lisl Pittermann, davor war Hannes Androsch Samariter-Bund-Präsident. Natürlich muss man die Dinge trennen. Der Samariter-Bund ist eine vollkommen unabhängige Gesundheits- und Sozialorganisation, und ich habe die Verantwortung, wenn es aus einem politischen Diskurs heraus zu schädlichen Einflüssen käme, mir zu überlegen: Kann ich das noch ausüben?

STANDARD: Wie wollen Sie bekannter werden? Mikl-Leitner hat eine Plakatkampagne gestartet, Kanzler Kern probiert sich als Pizzabote.

Schnabl: Copypaste ist nicht immer der richtige Weg ...

STANDARD: Also Pizza wird's nicht?

Schnabl: Es könnte Kebab werden. Spaß beiseite. Es gibt Überlegungen, aber step by step. Einer meiner Grundwerte ist, das sachliche Argument zu suchen und mit Respekt mit allen politischen Parteien und Vorschlägen umzugehen.

STANDARD: In der Wiener SPÖ rumort es. Gab es an Sie auch Anfragen aus Wien?

Schnabl: Ich bin ja nicht der Wanderpokal der Parteien. Ich werde mich hüten, irgendeinen Kommentar zu Diskussionen in anderen Bundesländern abzugeben.

STANDARD: Sie gelten als sehr gut vernetzt in der SPÖ. Streben Sie in der Bundespartei eine Funktion an?

Schnabl: Jede Landespartei hat natürlich eine wichtige Mitspracherolle und -aufgabe für die Gesamtpartei. Ich möchte mich darauf konzentrieren, dass wir im Land etwas weiterbringen.

STANDARD: Halten Sie Rot-Blau im Bund für eine Option?

Schnabl: Die SPÖ ist dabei, den Kriterienkatalog zu erstellen. Ich habe Vertrauen, dass es eine qualitätsvolle Linie sein wird. Dazu bekenne ich mich im Vorhinein. Was alle Koalitionsfragen betrifft, stehen die inhaltliche Themensetzung und die Glaubwürdigkeit der eigenen Partei im Vordergrund.

STANDARD: Sie kommen aus dem Polizeibereich, Mikl-Leinter war Innenministerin. Braucht es in der Politik diese Sicherheitsskills?

Schnabl: Sicherheit ist ein Grundbedürfnis aller Menschen. Niemand ist bereit, Risiken einzugehen und sich auf etwas Neues einzulassen, wenn er nicht auf einem soliden Fundament steht. Ich begreife Sicherheit nicht nur als kriminalpolizeilichen Begriff, sondern als umfassendes Lebensgefühl. Ich muss etwa, wenn ich krank bin, auch sicher sein, dass die Gesundheitsversorgung passt.

STANDARD: Sie denken, dass Sie den Menschen dieses Gefühl der Sicherheit zurückgeben können?

Schnabl: Absolut. Das ist mein Grundverständnis: dass wir von der Daseinsvorsorge bis zur ordnungspolitischen Sicherheit als Staat, als Land, als Gemeinde dafür hauptverantwortlich sind.

STANDARD: Ein geringeres Sicherheitsgefühl wird oft mit der Flüchtlingsbewegung in Zusammenhang gebracht. Was muss da getan werden?

Schnabl: Es sind drei Aspekte: Der erste ist die europäische Dimension einer gerechten Verteilung, die nicht stattfindet. Der zweite ist die innerösterreichische Verteilung und der Rahmen der Anerkennung, Residenzpflicht und so weiter. Und der dritte ist der Umgang mit anerkannten und nicht anerkannten Flüchtlingen und die Integrationsschritte bis hin zur vollständigen sprachlichen, nach Möglichkeit auch arbeitstechnischen, Integration. Die übergeordnete Frage ist, was die Ursachen von Flüchtlingsbewegungen sind. Da muss man mit kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen gegensteuern oder regulieren. Auf alle Fälle stehen die Pflicht zur Hilfe und das Recht auf Asyl in unserer Kultur ganz oben. Dazu muss man sich auch bekennen, da braucht man nur unsere eigene Geschichte anzusehen. (Gudrun Springer, 28.4.2017)