Oklahoma heißt die Apfelfarm in Brandenburg, auf der Julian Radlmaiers erfrischend unvorhersehbare "Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes" spielt.

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Wien – Auf den Stufen der Gemäldegalerie in Berlin hockt ein junger Poser. Er ist Filmemacher, momentan aber gerade ohne Projekt und Förderung, mithin arbeitslos. Wenn er zufällig auf jemanden Bekannten trifft, stammelt er, er sei auf Recherche. In Wahrheit aber lauert er hier den jungen Frauen auf. Künstlerisch geneigten Frauen, für die er schwärmt, wenngleich ihn seine Schüchternheit hindert, diese anzusprechen.

Julian Radlmaier heißt der Nachwuchsregisseur (geb. 1982), der in seinem Abschlussfilm an der Deutsche Film- und Fernsehakademie (Dffb) selbst die Hauptrolle spielt. Wenn man ihm dabei zusieht, wie er sich linkisch, mit nervösen Gesichtsmuskeln an die Kanadierin Camille (Deragh Campbell) heranmacht, sie mit seinen kapitalismuskritischen Ideen eines politischen Kinos erobern will, dann fühlt man sich an den jungen Nanni Moretti erinnert. Wie dieser setzt auch der Deutsche in Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes auf eine komödiantische Form der künstlerischen Selbstbespiegelung.

Filmgarten

Im deutschen Kino fällt eine so sympathisch verkorkste Stimme auf. Vor allem, wenn sie sich einer Form bedient, die sich nicht allein auf Ironie verlässt, sondern mehrere Register zugleich zieht. So steht einerseits die Unaufrichtigkeit von Julian im Mittelpunkt des Films, seine schlecht versteckte Angepasstheit, die ihn vor jeder wahrhaft politischen Praxis zurückschrecken lässt. Doch Radlmaier überholt seinen Antihelden zugleich von links, indem er ihn mit Figuren umgibt, die mit mehr Idealismus und Tatkraft ausgestattet sind.

Julian wurde strafweise in einen Windhund verwandelt, der nun als reuiger Erzähler fungiert. Die Burleske, eine magische Überhöhung der Realität, ist für den Film mithin eine zweite Möglichkeit. Zentraler Schauplatz ist eine brandenburgische Apfelfarm namens Oklahoma, deren Früchte rot in der Abendsonne leuchten. Eigennützig wie er ist, gab Julian Camille den Erntedienst als Filmrecherche aus.

Mikrokosmos Apfelfarm

Die von Leiterin Elfriede (großartig: Johanna Orsini-Rosenberg) griesgrämig geführte Landwirtschaft wird jedoch nicht nur zur Arena kläglich scheiternder Verführungskunst, sondern eignet sich auch als Mikrokosmos politischer Ideen. Hier benehmen sich zugewanderte Arbeitskräfte wie militante Kolchosenführer, realsozialistische Nostalgie trifft auf Neodeutschtümelei, bis irgendwann über partizipatorische Arbeitsmodelle verhandelt wird.

Radlmaier behält bei all dem Durcheinander einen lapidaren Tonfall bei. Die aufgeräumt komponierten Einstellungen im 4:3-Format geraten auch durch unerwartete Ereignisse nicht ins Strudeln. Figuren sind weniger psychologisch definiert als Plastiken für poetische Ideen. Ein wie aus einem Film von Pasolini entlaufener Franziskanermönch bringt das ohnehin kränkelnde Gefüge schließlich ins Kippen. Denn einer, der die Armut sucht und den der Verzicht glücklich macht, hat in diesem Wirtschaftsbetrieb die Anmutung des Wahnsinns.

Zu Unrecht hieße dieser erfrischend unvorhersehbare Film eine Selbstkritik, würde er sich über etwas anderes als fehlgeleitete Intentionen erheben. Radlmaiers Kino ist vielleicht ein bisschen zu theorieüberzuckert, die ein oder andere Pointe eine Spur zu gesucht, aber dahinter kann man auch einen ernst gemeinten Fluchtpunkt erkennen. Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes erschafft eine Welt, in der das Duo Theorie und Unsinn neue Sinnangebote stiftet; ein Märchen, in dem die Politik aus dem Schlaf der Vernunft erwacht. "Einen Kommunismus ohne Kommunisten" zu finden wäre das Ziel, heißt es einmal. Freilich gibt es auch kein Italien ohne die Italiener. (Dominik Kamalzadeh, 28.4.2017)