Jedes vierte Kind in Österreich erlebte im Jahr 2015 verschiedenste Formen der Gewalt.

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Wien – Am 1. Mai 2017 jährt sich der Erlass des Gewaltschutzgesetzes in Österreich zum 20. Mal. Zu diesem Anlass haben die Österreichischen Kinderschutzzentren im Rahmen eines Pressegesprächs am Donnerstag in Wien auf ihre Forderungen aufmerksam gemacht. Hauptanliegen sind die Erweiterung und bessere Vernetzung der altersadäquaten Betreuung bei häuslicher Gewalt und die Stärkung der Position der Kinder.

Jedes vierte Kind in Österreich erlebte im Jahr 2015 verschiedenste Formen der Gewalt, sieben bis zehn Prozent aller Kinder waren mit sexueller Gewalt konfrontiert. Aktuell sind 12.000 von Gewalt betroffene Kinder in Betreuung der rund 30 Kinderschutzzentren in Österreich.

Meist finden die Gewalterfahrungen innerhalb der Familie statt. 2015 gab es rund 8.000 Wegweisungen, bei der Hälfte davon waren Kinder betroffen. "Die Kinder sind dann sehr allein. Die Personen, an die sie sich sonst wenden würden, stehen nicht mehr zur Verfügung", erklärte Martina Wolf, Geschäftsführerin des 2011 gegründeten Bundesverbands Österreichischer Kinderschutzzentren.

Betreute sind meist zwischen acht und zwölf

Bereits seit 30 Jahren widmen sich speziell ausgebildete Fachkräfte der Begleitung und psychotherapeutischen Betreuung von Kindern, die als Betroffene oder als Zeugen mit physischer, psychischer oder sexueller Gewalt konfrontiert waren. Von Gewalt betroffene Kinder werden u.a. von der Kinder- und Jugendhilfe an die Schutzzentren vermittelt. Die meisten betreuten Kinder sind zwischen acht und zwölf Jahren alt.

"Das Gewaltschutzgesetz war ein wichtiger Schritt", sagte Hedwig Wölfl, Leiterin des Kinderschutzzentrums "die möwe". Dadurch sei es möglich gewesen, dass von häuslicher Gewalt betroffene Frauen bzw. Kinder in der gewohnten Umgebung bleiben konnten und der Täter weggewiesen wurde. Oft seien die Kinder dann bei Interventionsstellen mit den Müttern "mitbetreut" worden. Kinderschutzzentren konzentrieren sich hingegen auf die spezifischen Bedürfnisse der jungen Klienten. "Das Kind ist an einem sicheren Ort, kann über Dinge und Erlebnisse reden, die zuhause tabu sind", sagte Wolf. Den Eltern soll zudem vermittelt werden, wie sie wieder einen Blick für ihr Kind entwickeln können.

Oft Spielball der Eltern

"So ein Loyalitätskonflikt ist unglaublich belastend für die Kinder, sie wollen beide Eltern liebhaben", erklärte Wölfl. Studien zufolge sei miterlebte Gewalt häufig sogar traumatisierender als selbst erlebte, da man als Zeuge nicht eingreifen könne. Auch im Fall von hochstrittigen Scheidungen finden betroffene Kinder Hilfe in den Schutzzentren. "Oft werden sie zum Spielball der Eltern oder erleben emotionale Vernachlässigung. Ein wichtiger Punkt im Gewaltschutzgesetz betrifft in diesem Zusammenhang auch die spezielle Prozessbegleitung für Kinder als Gewaltopfer.

"Österreich ist mit dem Gewaltschutzgesetz sicher Vorreiter", sagte Wolf – auch, wenn es noch einige Lücken gebe. Das Bewusstsein für Gewalt habe sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten deutlich verändert. Die Sensibilisierung sei größer, Gewalt werde heute eher als solche erkannt als noch vor 30 Jahren. Eine bessere Erhebung der Datenlage wäre jedoch wünschenswert, betonte Wölfl. In weiterer Zukunft sollen zudem psychosoziale Faktoren im Mutter-Kind-Pass festgehalten werden.

Anlässlich der Kinderschutztagung, die von 11. bis 12. Mai in Salzburg stattfindet, soll untersucht werden, wo Elternrechte und Kinderschutz nicht kompatibel sind – etwa welcher Rahmenbedingungen es zum Wohle des Kindes für Kontaktrechte nach Gewalterfahrungen bedarf. "Bei allem Schutz der Eltern voreinander darf der Schutzraum für die Kinder nicht vergessen werden", sagte Wölfl. (APA, 27.4.2017)