Wien – ORF-Chef Alexander Wrabetz im STANDARD-Interview über die künftige Ausrichtung von ORF 1 und ORF 2 – und was das mit den Wählern von Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen zu tun hat.

STANDARD: Was sollen die Channel Manager mit ORF 1 und ORF 2 eigentlich tun – anders oder besser als bisher?

Wrabetz: Wir müssen ORF 1 breiter aufstellen. Wir müssen die Diversität des Programms erhöhen, amerikanische Filme und Serien reduzieren, durch mehr österreichische Eigenproduktionen ersetzen – vor allem Information, Infotainment, Dokumentation. Mehr Große österreichische Fiction wäre natürlich auch schön, aber kaum finanzierbar. Das wird die alte Teilung von 1995 aufweichen. Das heißt aber auch: Mittel von ORF 2, wo wir teilweise ein Überangebot von besonders wertvollen Inhalten haben, müssen wir zu ORF 1 umschichten, ohne den Programmerfolg von ORF 2 zu beeinträchtigen.

STANDARD: Wie soll das gehen?

Wrabetz: Bei bestimmten Flächen kann ich Produktionen günstiger machen und personelle und finanzielle Ressourcen für ORF-1-Produktionen verwenden.

STANDARD: Ein konkretes Beispiel?

Wrabetz: Was wir uns jetzt anschauen: Wenn wir in den Info-Flächen der Daytime-Strecke Morgen/Mittag/Abend in ORF 2 Redaktionen zusammenlegen, teilweise auch die Produktionsweise verändern – dann kann ich Mittel und Personen für was anderes einsetzen.

STANDARD: Was sehe ich 2020 auf ORF 1? Wie sieht der Sender nach der grundlegenden Veränderung aus? Sie sind dann ja auch da der Chef.

Wrabetz: Ich bin schon jetzt der Chef. Von ORF 3 habe ich eine grundsätzliche Vorstellung gehabt. Dann ein Channel-Management-Team ausgesucht. Und die haben dann ein Schema ausgearbeitet und abgestimmt. Ähnlich stelle ich mir das bei ORF 1 vor.

STANDARD: Und die grundsätzliche Vorstellung? In Ihrem Konzept war von einem täglichen, etwa einstündigen Hauptabend-Infotainmentformat die Rede.

Wrabetz: Jedenfalls müsste es eine größere Informationssendung auf ORF 1 geben. Das ist sicher ein Thema. Das kann schon viel verändern. Und uns fehlen in ORF 1 regelmäßige Talkformate. Wir beginnen erst, mit bestimmten Genres zu experimentieren, etwa internationalen Dokumentationen, Weltgeschehen. Und wir haben bei "Maximilian" gesehen, dass auch Historisches in ORF 1 funktionieren kann.

STANDARD: Der Channel Manager für ORF 1 hat einen großen Entwicklungsauftrag, jener für ORF 2 vor allem einen Aufräum- und Sparauftrag?

Wrabetz: Auch ORF 2 muss sich programmlich weiterentwickeln. Wir können etwa durch eine stärkere Betonung des thematischen und inhaltlichen Flows ORF 2 noch stärker machen.

Eine polarisierendes Chiffre für die Ausrichtung von ORF 2: ein Kanal für die Wähler Norbert Hofers (li.) – hier am 19. Mai mit Alexander Wrabetz vor der TV-Konfrontation mit Alexander Van der Bellen. Die Chiffre hat sich übrigens nicht der ORF-Chef ausgedacht.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

STANDARD: Der ORF-Stratege Franz Manola hat das Ziel der zwei Hauptchannels umrissen mit: ORF 1 für die Van-der-Bellen-Wähler, ORF 2 für die Hofer-Wähler. Sieht das auch der Chef so?

Wrabetz: Natürlich bezieht sich das nicht auf eine parteipolitische oder auch weltanschauliche Ausrichtung der jeweiligen Information. Aber es ist grundsätzlich ein sehr überlegenswerter Ansatz, differenzierter vorzugehen, als die Kanäle nur nach jung und alt auszurichten. Das würde bedeuten: Wir positionieren ORF 1 noch stärker international, weltoffen, urban. Und ORF 2 ist der österreichverbundene Sender – Das wäre über den ganzen Tag betrachtet schon heute nichts Neues. Heute holen sich die Weltoffenen aber ihre Serien gerne bei Netflix – und wir bieten ihnen darüber hinaus in ORF 1 außer "Willkommen Österreich" zu wenig. Ziel ist: Die urbanen Schichten müssten für ORF 1 so auf die Barrikaden gehen, wie es große Teile des ORF-2-Publikums für ihr ORF 2 tun würden, die Kulturinteressierten für ORF III.

STANDARD: Hoffentlich nicht gegeneinander.

Wrabetz: Natürlich wollen wir damit nicht die vorhandene Spaltung der Gesellschaft vertiefen, sondern mit beiden Kanälen ein noch besseres Gesamtangebot für alle bieten. Ich muss ja anders als die Politik nicht 51 Prozent Zustimmung haben, sondern 98 Prozent – jede Woche.

ORF 1 wäre in der Chiffre von ORF-Vordenker Franz Manola der Kanal für die Van-der-Bellen-Wähler. Wrabetz und Alexander Van der Bellen vor der TV-Konfrontation mit Norbert Hofer am 19. Mai 2016.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

STANDARD: Müsste man dafür die "ZiB 2" nicht konsequenterweise auf ORF 1 verlegen?

Wrabetz: Nicht die "ZiB 2". Aber wenn wir in ORF 1 – natürlich nicht zur selben Zeit – auch eine so große Newsshow hätten, vielleicht sogar eine größere: Dann würden wir viele Diskussionen um ORF 1 nicht haben. Bevor Sie fragen: Armin Wolf macht das nicht. Das hat er mir schon gesagt.

STANDARD: Er lässt sich vielleicht lieber von Roland Brunhofer aus der laufenden "ZiB 2"-Sendung holen. ORF 2 klingt mit Ihren Positionierungsplänen und der Besetzung nach "Landesstudio Österreich".

Wrabetz: Faktum ist: Den Menschen wird im Zeitalter der Globalisierung das, was ihnen nahe ist, wichtiger – und dem ist Rechnung zu tragen. Das ist auch eine große Chance für uns, im Kampf mit deutschen und global agierenden Konkurrenten. Wobei ein Bekenntnis zu österreichischen Inhalten nicht provinzielle Inhalte bedeuten kann und darf. Für mich ist Sepp Forcher sicher sehr österreich-bezogen, aber keineswegs provinziell. Warum soll man unsere regionale Stärke nicht klarer hervorheben, ohne provinziell zu werden – wo auch andere, etwa Servus, damit punkten?

STANDARD: Wo bleibt da die Kultur auf ORF 2?

Wrabetz: Das bedeutet natürlich nicht, dass wir keine Hochkultur in ORF 2 mehr bringen. Im ORF neigen manche dazu, jede Überlegung durch Übertreibung ad absurdum zu führen. Dazu eignet sich natürlich auch ein – zugegeben polarisierendes – Bild von Franz Manola mit den Kanälen und den Präsidentschaftskandidaten. Wir analysieren derzeit in aller Ruhe die Programmerwartungen der Bevölkerungscluster, und daraus kann man dann – mit Maß und Ziel – Schlüsse ziehen. (fid, 27.4.2018)

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