Wien/Brüssel – Die Eiszeit bei TTIP scheint sich schön langsam dem Ende zuzuneigen. US-Handelsminister Wilbur Ross signalisierte zuletzt in der "Financial Times", dass es zu einer Wiederaufnahme der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der USA und der EU kommen könnte. Eine seiner Prioritäten werde es sein, das transatlantische Handelsbilanzdefizit von 146 Milliarden Dollar zu reduzieren, sagte Ross im Vorfeld eines ersten Treffens mit EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström am Montag.
Ähnlich äußerte sich vergangene Woche der republikanische Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Paul Ryan. "Die USA werden eng mit unseren Freunden in der EU zusammenarbeiten und einen Weg in Richtung TTIP-Verhandlungen festlegen", versicherte er bei einem Besuch in London. Einige Wochen zuvor hatte schon der kommissarische Leiter der US-Botschaft bei der EU, Adam Shub, erklärt: "Ich bin wirklich nicht mit der Vorstellung einverstanden, dass TTIP tot ist."
Neue Töne
Die Tonalität der Trump-Administration hat sich also in den letzten Monaten verändert. Im Wahlkampf hatte der neue US-Präsident noch massiv gegen TTIP gewettert und angekündigt, nur bilaterale Abkommen mit einzelnen EU-Staaten abschließen zu wollen. Malmström legte die TTIP-Gespräche daraufhin im November offiziell auf Eis. TTIP werde nun "wahrscheinlich in den Gefrierschrank" wandern.
Freilich gab es diesseits des Atlantiks schon lange vor Trump massive Bedenken. Allen voran Frankreich zeigte sich mit ersten Vertragsentwürfen unzufrieden.
Warten auf Deutschland
Auch in Österreich waren sich SPÖ-Chef Christian Kern und ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner in ihrer Ablehnung einig und forderten ein neues, präziseres Verhandlungsmandat.
Wie es nun weitergeht, ist aber offen. Von einer klaren Linie kann trotz der Signale aus den USA keine Rede sein. Vor den Wahlen in Deutschland im September werde sich wohl nicht viel tun, sagten US-Offizielle der "Financial Times".
Strafzölle für Importe aus Kanada
Weniger konziliant als mit den Europäern geht Trump aktuell mit Kanada um. Am Dienstag wurden 20-prozentige Strafzölle auf Weichholzimporte angekündigt. Schon im November hatte er den Ausstieg aus dem TPP-Abkommen mit elf Pazifik-Anrainerstaaten angekündigt, um die US-Wirtschaft vor billiger Konkurrenz zu schützen.
Die Frage, welchen Nutzen Freihandelsabkommen bringen, spaltet seit jeher Befürworter und Kritiker. Für Österreich hat Wifo-Ökonom Fritz Breuss gerade eine neue Studie vorgelegt. Sein makroökonomisches Modell kommt zu dem Schluss, dass sich Österreich durch das Ceta-Abkommen zwischen der EU und Kanada mittelfristig ein um 0,3 Prozent höheres Bruttoinlandsprodukt (BIP) erwarten darf (entspricht rund einer Milliarde Euro).
Exporte nach und Importe aus Kanada würden prozentuell zweistellig zulegen, gleichzeitig würde ein leichter Druck auf die Löhne entstehen – "die Schattenseite der Globalisierung", wie Breuss schreibt.
Größeres Plus durch TTIP
Von TTIP würde Österreich im Wifo-Modell laut ersten Vergleichen deutlich stärker profitieren. Hier ist mittelfristig mit einer Steigerung des BIP um 1,7 Prozent zu rechnen, ein Abkommen mit Japan würde die Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent steigern.
Der freie Handel wird am Donnerstag auch Thema im Nationalrat sein. Das im Jänner von 562.379 Personen unterzeichnete Volksbegehren gegen Ceta und TTIP wird dort erstmals behandelt. Eine Abstimmung darüber ist aber laut Geschäftsordnung nicht vorgesehen. NGOs warnen jedenfalls schon vor neuen Verhandlungen mit den USA: Unter Trump würde TTIP "zu einer noch größeren Gefahr für hohe Standards und demokratische Handlungsspielräume werden", sagt Greenpeace-Sprecherin Hanna Simons. "Trumps rücksichtslose Deregulierungsagenda zugunsten von Konzerninteressen würde dadurch in der EU an Einfluss gewinnen." (Günther Oswald, 26.4.2017)