Marine Le Pen. Frau – und deshalb harmloser?

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Am 7. Mai hat eine Frau erstmals die Chance, sich in einer Stichwahl gegen ihren Kontrahenten durchzusetzen und Präsidentin Frankreichs zu werden. Hurra aber auch! Wenn das mal kein Grund zum Feiern ist. Viele Menschen, insbesondere Feministinnen, sind ob dieser historischen Möglichkeit jedoch alles andere als in Partystimmung. Sie haben längst analysiert, dass die Vorsitzende einer rassistischen, menschenverachtenden Partei keine gute Wahl ist, wenn einem etwas an Frauenrechten, weiblicher Autonomie und der pluralen Gesellschaft liegt.

Mag sich Marine Le Pen auch als Vorkämpferin für Frauenbelange inszenieren und sich die Forderung ihrer Partei nach einem generellen Abtreibungsverbot scheinbar nicht zu eigen machen: Tatsächlich lotet sie dabei aus, ob mit dieser doch recht billigen Scharade noch Wählerinnen zu mobilisieren sind. In diesem Zusammenhang mutet die Frage nach dem fehlenden Jubel der Feministinnen zur möglichen Präsidentschaft Le Pens, die eine Kollegin kürzlich aufgeworfen hat, einigermaßen befremdlich an.

Geschlechtsbezogene Solidarität, bitte schön

Warum sollten sie? Warum sollten sie sich nur aufgrund ihres Geschlechts mit jemandem gemeinmachen, der das, wofür sie stehen, mit Füßen tritt? Andererseits ist die Frage durchaus interessant. Denn insbesondere mit Blick auf den zurückliegenden Wahlkampf Hillary Clintons fällt auf, dass von Frauen immer wieder eine geschlechtsbezogene Solidarität eingefordert wird, die weit über strittige Themen und Animositäten hinauszugehen hat. Denn für Frauen, die anderen Frauen nicht helfen, ist bekanntlich ein spezieller Platz in der Hölle reserviert.

Warum also als Frau nicht Marine Le Pen helfen, wenn mit ihr doch eine Geschlechtsgenossin die gläserne Decke durchbrechen, sich gegen Männer durchsetzen und über große Gestaltungsmacht verfügen könnte?

Zum einen würde frau die Präsidentschaftskandidatin dadurch lediglich auf ihrem Weg in die Hölle begleiten, da diese sich gerade durch mangelnde Hilfsbereitschaft gegenüber Frauen auszeichnet, die ihr lediglich Mittel zum Zweck sind. Und zum anderen sind auch Frauen in der Lage, antifeministische Drecksäcke zu sein.

Zu vermuten, Frauen könnten qua Geschlecht nichts Antifeministisches tun, ist ungefähr so sinnvoll wie die Behauptung, Menschen würden niemals gegen ihre eigenen Interessen handeln. Oder sich bei widerstreitender Interessenlage nie für die Umsetzung der gefährlicheren, fieseren oder dämlicheren Sache entscheiden. Sich selbst im Weg zu stehen und zu bekriegen schaffen sowohl Männer als auch Frauen mühelos. Marine Le Pen ist keine Ausnahmeerscheinung.

Die in einer lesbischen Beziehung lebende Unternehmensberaterin Alice Weidel hat sich vor wenigen Tagen von der vorgeblichen Alternative für Deutschland zum Teil ihres Spitzenkandidatenduos wählen lassen. Einer Partei also, die von einer "Propagierung der Homo- und Transsexualität im Unterricht" fantasiert und sich dagegen verwahrt, dass Kinder zum "Spielball der sexuellen Neigungen einer lauten Minderheit" werden.

Und die mittlerweile vierfach geschiedene ehemalige "Tagesschau"-Sprecherin Eva Herman wettert seit Jahren gegen berufstätige Frauen und liberale Familienmodelle, während sie die nationalkonservative Kernfamilie preist und als Frau des Wortes ihren Geschlechtsgenossinnen empfiehlt, "öfter einfach mal den Mund zu halten". Trotz dieser und vieler anderer Beispiele sieht man(n) Frauen gerne als das nettere Geschlecht an. Genauer gesagt: als das nicht zu allem fähige Geschlecht.

30 Jahre, nachdem eine kluge Frau den Satz formuliert hat, Feminismus sei die radikale Ansicht, dass Frauen Menschen sind, scheint sich daran nicht viel geändert zu haben. Immer noch herrscht allgemein basses Erstaunen darüber, was für tolldreiste Sachen weibliches Verhalten einschließt. Dabei sollte das offenkundig sein. Wenn Menschen dazu in der Lage sind zu beherrschen, sich selbst zu belügen, Kunst zu schaffen, Gewalttaten zu verüben, geniale Dinge zu erfinden und sich wie Arschlöcher aufzuführen, dann können Frauen … na? Genau! All das – und noch viel mehr.

Letztendlich kokettiert Marine Le Pen entlang ihres Frauseins mit ebenjener Harmlosigkeit, die wir ihr aufgrund ihres Geschlechts zuschreiben, und kommt so mit widerlichen politischen Forderungen durch. Dabei hat sie wieder und immer wieder bewiesen, dass sie vor allem eines ist: gefährlich. (Nils Pickert, 30.4.2017)