Wien – Im Zuge des Schulautonomiepakets sollen die Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik (ZIS) aufgelöst werden. Die Aufgaben dieser an Sonderschulen angebundenen Beratungs- und Kompetenzzentren zur Betreuung von geistig und körperlich behinderten oder verhaltensauffälligen Schülern sollen die neuen Bildungsdirektionen übernehmen. Betroffene befürchten daher eine Marginalisierung der Sonderpädagogik.

Zahlreiche der bisher rund 600 Stellungnahmen zum Gesetzespaket zur Schulautonomie warnen wegen dieser Pläne vor einer Verschlechterung für Schüler mit Beeinträchtigungen. Der Zentralausschuss der Wiener Pflichtschullehrer lädt für morgen, Donnerstag, zu einer Informationsveranstaltung in die Stadthalle. Thematische Schwerpunkte sind laut dem obersten Wiener Pflichtschullehrer-Personalvertreter Stephan Maresch (FCG) die geplante Abschaffung der ZIS sowie die geplante Möglichkeit, die Klassenschülerhöchstzahl von 25 Kindern aufzuheben und gemeinsam verwaltete Cluster aus bis zu acht Schulen zu bilden.

Die Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik sind etwa für Erstellung sonderpädagogischer Gutachten von Schülern, Beratung von Eltern oder die Koordination mobiler Spezialisten wie Sprachheillehrer zuständig. Ihre Organisation ist laut Pflichtschullehrergewerkschafter Paul Kimberger (FCG) je nach Bundesland unterschiedlich. In der Regel seien sie aber entweder an Sonderschulen angeschlossen oder als regionale oder überregionale Zentren eingerichtet. Problematisch werde es aber, so Kimberger, wenn künftig alle Aufgaben der ZIS nicht mehr in der Region, sondern zentral von der Bildungsdirektion übernommen werden sollen.

Verbeamtete Entscheidungen befürchtet

Die Wiener Pflichtschuldirektoren etwa befürchten als Folge eine Verlagerung "weg von Pädagogik, hin zu juristischen, verbeamteten Entscheidungen". Immerhin könne eine Zentralstelle nicht derart individuelle Lösungen anbieten wie die regionalen ZIS. Auch die Grazer Beratungslehrer fürchten den Verlust einer Einrichtung, die die regionalen Bedürfnisse kennt und rasch und flexibel reagieren kann. In zahlreichen Stellungnahmen wird vor allem eine Zerschlagung der bestehenden Strukturen in Wien beklagt, über die nicht nur Sonderschüler betreut werden, sondern auch andere Kinder mit Unterstützungsbedarf an den Regelschulen.

Laut Petra Bauer, Leiterin des ZIS 17 in Hernals, haben etwa 70 Prozent der von der Wiener Sprachheilschule betreuten Kinder keinen sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF), sind also weder körperlich noch geistig behindert und werden nicht nach dem Sonderschullehrplan unterrichtet. An den ZIS werden Kinder mit auffälligen Ergebnissen bei der Schuleinschreibung getestet, in Absprache mit den Eltern wird dann nach der für sie idealen Schulform (Regelschule, Integrationsklasse, Sonderschule etc.) gesucht.

Neben Schülern mit Lernbehinderungen oder Verhaltensauffälligkeiten sind einige ZIS auf bestimmte Beeinträchtigungen (etwa Seh- oder Hörbehinderungen) spezialisiert. Sie schicken ihre Experten (Sonderschullehrer, Sprachheil-, Motoriklehrer etc.) auch an Regelschulen, wo sie Kinder im Alltag zu unterstützen oder Lehrer bei der Unterrichtsgestaltung beraten. Das ZIS kann auch bei der Einrichtung einer Integrationsklasse mitreden, eine weitere wichtige Aufgabe sind Gutachten über den Förderbedarf von Schülern.

Aus für Sonderbetreuung droht

Wenn all diese Aufgaben von den regionalen ZIS in die künftigen Bildungsdirektionen wandern, sei es mit der individuellen Betreuung vorbei, fürchtet Bauer. Sie betont im APA-Gespräch auch die soziale Bedeutung der Zentren: Wird bei einem Kind spezieller Förderbedarf festgestellt, sei das oft schwierig für die ganze Familie. "Was wird dann mit den ganzen Menschen, die jetzt bei mir sitzen und weinen?" Dazu komme, dass die ZIS auch eine soziale Rolle spielen, indem sie Eltern bei der Suche nach einem Hortplatz oder Therapeuten helfen. Die Mitarbeiter in der Bildungsdirektion hätten für diese Art von Betreuung schließlich keine Zeit.

Und noch eine weitere Gefahr sehen Bauer und andere Praktiker: Derzeit sind in Wien die Sonderschullehrer und anderen Fachkräfte beim ZIS angestellt. Würden sie künftig Teil des lokalen Lehrerteams, sei es mit der Förderung beeinträchtigter Schüler vorbei. Dann würden die Sonderschulpädagogen in der Praxis nämlich wie jeder andere Lehrer auch zum Stopfen sonstiger Personallücken eingesetzt. Die Regierung will mit der Abschaffung der ZIS u.a. bei der Vergabe des SPF – er schwankt derzeit je nach Bundesland zwischen 4,1 Prozent in Tirol und 6,8 in Vorarlberg – die Objektivität erhöhen. Ein Argument, das allerdings für Bauer zumindest in Wien nicht greift – immerhin müssten hier die Eltern selbst den Antrag stellen, könnten zusätzliche Gutachten beibringen und die Entscheidung über den SPF fälle dann eine regionale Kommission.

Die Pflichtschullehrergewerkschaft erwartet ebenfalls keine Verbesserung durch die Maßnahme: Die Vergabe des SPF werde sich dann künftig nur noch danach richten, ob der Richtwert von 2,7 Prozent aller Schüler erreicht ist, für die es unter diesem Titel zusätzliches Geld aus dem Finanzausgleich gibt. Die Lehrer der Ganztagsvolksschule Landstraßer Hauptstraße in Wien formulieren es in ihrer Stellungnahme so: "Ziel ist, die Anzahl der SPF-Kinder zu senken durch Änderung und Verschlankung des Feststellungsverfahrens, nicht durch Frühförderung oder bessere Betreuung! Das ist zynisch."

Regionalstellen für Sonderpädagogik sollen bleiben

Auch nach der Schulautonomie-Reform soll es weiterhin eine kleinteilige und regionale sonderpädagogische Betreuung in Österreich geben, betonte Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) am Mittwoch gegenüber der APA. Die Bildungsdirektionen sollen künftig lediglich die Entscheidung darüber treffen, welche Kinder Sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) erhalten und Sonderschulen besuchen.

"Die Ängste, dass wir regionale Strukturen und engmaschige Betreuung auflösen wollen, sind völlig unbegründet", so die Ministerin. "Ganz im Gegenteil: Wir brauchen die sonderpädagogische Expertinnen und Experten vor Ort dringend und werden sie in Zukunft sogar noch ausbauen müssen, wenn wir inklusiven Unterricht vorantreiben wollen."

Zusätzlich stellt die Ministerin auch zusätzliche Mittel für die Sonderpädagogik in Aussicht. Wegen der Pläne der Regierung, die Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik (ZIS) aufzulösen, befürchten Betroffene eine Marginalisierung der Sonderpädagogik. Laut Ministerium sind diese Sorgen allerdings unbegründet.

Lösung des Interessenskonflikts

Mit der Neuregelung solle vielmehr ein "Interessenskonflikt" aufgelöst werden: Derzeit sind ZIS fast immer an Sonderschulen angeschlossen und die Leiter des ZIS in der Regel auch jene Gutachter, die darüber entscheiden, ob einem Schüler wegen körperlicher oder psychischer Behinderung sonderpädagogischer Förderbedarf attestiert wird. Dieselbe Person, die eine Sonderschule leitet, entscheidet damit über die Zuweisung eines Kindes zur Sonderschule und könnte damit selbst dafür sorgen, dass ihr Standort genug Schüler hat.

Künftig soll deshalb ein unabhängiger Gutachter der Bildungsdirektion darüber entscheiden, wer einen SPF erhält. Derzeit würden Kinder teilweise schon wegen gewisser Sprachdefizite an Sonderschulen landen. In Tirol und Kärnten, wo derzeit in Modellregionen die weitgehende Abschaffung der Sonderschulen getestet wird und der SPF seither zentral vergeben wird, sei der Anteil an SPF-Schülern seither signifikant zurückgegangen. (APA, 26.4.2017)