Esprit: In Kalifornien gegründet, in Hongkong an der Börse gelistet, von Deutschland aus gesteuert.

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"Der Markt ist flach. Es gibt kein Wachstum. Die junge Generation hat genug Alternativen zum Einkaufen", sagt Dieter Messner.

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STANDARD: Vor Esprit gaben Sie bei Obi international den Schritt vor. Wo sind größere Reparaturen nötig – im Baumarkt- oder im Textilhandel?

Messner: Die Herausforderungen im Handel sind überall dieselben: Wie geht man mit dem Onlinehandel und dem Überangebot an Fläche um? Wie tickt die Jugend? Wobei das Wettbewerbsumfeld der Baumärkte vergleichsweise gering ist. Esprit tummelt sich unter dutzenden Mitbewerbern – zwar in unterschiedlichsten Preisklassen. Aber letztlich tun alle das Gleiche.

STANDARD: Viele sehen den Textilmarkt in einer tiefen Krise. Das Modeangebot soll bis zu 40 Prozent über der Nachfrage liegen. Im Web wird sie großflächig verramscht.

Messner: Ob in Europa oder in den USA: Der Markt ist flach, es gibt kein Wachstum. Zwar steigt das Volumen. Der Durchschnittspreis pro Stück sinkt aber dramatisch – getrieben durch Diskonter. In den kommenden Jahren wird auch das Volumen abnehmen. Die junge Generation hat einfach genug Alternativen zum Einkaufengehen: Urlaub machen, Freunde treffen. Das Warenüberangebot ist enorm.

STANDARD: Esprit hat einst rasant expandiert, schlitterte 2013 hart in die Verlustzone und legte daraufhin den Rückwärtsgang ein.

Messner: Von 2000 bis 2010 gab es eine Megainvestitionswelle – von allen. Jeder hat versucht, überall Filialen zu eröffnen. Heute steigen viele Textilisten neu in den Markt ein, dazu kommt die Onlinekonkurrenz. Wir haben in den letzten beiden Jahren versucht, unsere eigene interne Kannibalisierung zu eliminieren, und haben Stores geschlossen. Es war notwendig, um auf ein vernünftiges Maß an Quadratmetern zurückzukehren. Jeder Textilhändler agiert ähnlich.

STANDARD: Konzerne wie Zara und H&M holten sich rasant Marktanteile. Warum sehen viele eingesessene Textilriesen gegen sie alt aus?

Messner: Esprit ist im Großhandel gewachsen, wie 70 bis 80 Prozent der anderen Textilhändler auch – ehe im Einzelhandel an jeder Ecke in Europa Shops aufgesperrt wurden. Das Unternehmen war hochprofitabel und die Marke super bekannt. Dann kam die Wirtschaftskrise, der Konsum sank, der Wettbewerb wurde stärker. H&M und Inditex haben den Markt als reine Retailer revolutioniert: Sie waren mit neuen Kollektionen schneller als alle anderen. Der Großhandel ist als Geschäft zwar weniger riskant, aber extrem teuer und langsam. Moderner Handel tickt anders: Wer für eine Kollektion ein Jahr Vorlaufzeit braucht, ist tot.

STANDARD: Gelang die Kehrtwende noch rechtzeitig?

Messner: Ich glaube, ja. Esprit hat sich intern völlig neu aufgestellt. Man holte Leute mit Retailerfahrung, kaufte also Know-how zu. Die Zahl an Lieferanten wurde drastisch reduziert, die Zeit für die Herstellung einer Kollektion mehr als halbiert. Das ist ein Projekt, das bisher gut zweieinhalb Jahre kostete. Die letzten drei Jahre waren hart. Inhaltlich passierte aber zu 90 Prozent das Richtige.

STANDARD: Esprit hat heuer im ersten Geschäftshalbjahr operativ den Turnaround geschafft. Der Umsatz sank aber um über zehn Prozent.

Messner: Ich wäre beunruhigt, wenn unser Umsatz pro Quadratmeter sinkt. Aber der geht Gott sei Dank nach oben. Wir schrumpfen uns gerade gesund. Wir haben in Europa fast 20 Stores geschlossen. Wir werden auf kurze Sicht sicher nicht mehr die Größe erreichen, die Esprit vor gut zehn Jahren hatte. Aber wir werden deutlich profitabler sein. Kleiner zu sein ist ja nicht unbedingt schlechter. Wir hatten in Europa einige Stores, die sehr, sehr unprofitabel waren. Ein Beispiel dafür war jener in der Kärntner Straße in Wien, den wir 2016 aufließen. Der Standort an sich war nicht schlecht, aber die Filiale zu groß und das Kellergeschoß unattraktiv.

STANDARD: Esprit erzielt knapp ein Viertel des Umsatzes online. Es gibt wenige Handelsketten, die das stationäre wie das Internetgeschäft gut beherrschen. Hat man gegen Zalando und Konsorten auf Dauer ein Leiberl?

Messner: Zalando in seinem Feld zu schlagen würde nicht funktionieren. Wir können nur versuchen, beides – online und stationär – gut zu verknüpfen. Es gibt genug Kunden, die Dinge anprobieren wollen, die eine gute Beratung und Tipps wollen. Es klingt abgedroschen – aber letztlich heißt es Einkaufserlebnis und Service, Service, Service. Das scheint simpel, ist es aber nicht.

STANDARD: Verdient Esprit im Netz trotz der hoher Retouren Geld, kannibalisiert man sich damit letztlich nicht auch selbst?

Messner: Unser Onlinegeschäft ist hochprofitabel, dank hohen Volumens. Es sind mittlerweile fast eine halbe Milliarde Euro. Wir haben zudem die gesamte Logistik outgesourct. Und natürlich haben wir uns ein bisserl selbst kannibalisiert. Aber die Wahl hat man hier nicht: Machen wir es nicht selbst, tun es andere. Esprit war vor 15 Jahren eine der ersten Textilketten, die online begonnen hat. Wer erst heute damit startet, hat schon viele Kunden an andere verloren.

STANDARD: Studien sehen tausende Shops im Handel sterben. Wie viel reales Shoppen will der Kunde eigentlich noch?

Messner: Es werden stationäre Geschäfte wegfallen. Wie viele, weiß keiner. Ich glaube, der Onlineanteil wird im Textilbereich unter 50 Prozent bleiben. Aber auch das ist eine dramatische Verschiebung.

STANDARD: Wie geht es in Österreich weiter? Im Vorjahr verbuchte Esprit hier noch hohe Verluste.

Messner: Heuer wird es schöne Gewinne geben, der Umsatz ist 2015/ 2016 flächenbereinigt um 14 Prozent gewachsen. Und wir schließen nicht aus, wieder in der Wiener Innenstadt zu eröffnen – diesmal in einer vernünftigen Größe. (Verena Kainrath, 26.4.2017)