Studierende kennen die Situation des Frage-und-Antwort-Spiels, die das eigene Studium betreffen. Dabei entwickelt jeder eigene Antwortstrategien, um dieses sehr schnell fad werdende Spiel möglichst rasch abhandeln zu können. Das wird jedoch erschwert, wenn der Gesprächspartner schon vorgefertigte Meinungen in die Unterhaltung mitbringt – ein Sachverhalt, der besonders beim religionswissenschaftlichen Studium vermehrt auftritt. Quasi um die Zahl der ermüdenden Diskussionen über die etwaigen Gründe für diese Studienwahl zu minimieren, ist dieser Beitrag an all jene gerichtet, die sich unter der potenziellen Berufsauswahl für Religionswissenschaftler nicht mehr vorstellen können als Priester oder Religionslehrer.            

Bei einem ersten Blick auf den Stellenwert der Religion in der modernen Gesellschaft scheint es zunächst durchaus so zu sein, als hätte die Säkularisierungsthese sich bewahrheitet: Gelebte Religiosität befindet sich schon seit Jahrzehnten auf dem Rückzug, an ihre Stelle treten entweder eine Handvoll zusammengewürfelter spiritueller Vorstellungen oder ein – mehr oder weniger – vorsichtiger Atheismus. Die Grundidee dahinter ist folgende: Wir leben in einer entzauberten Welt, in der Religion allerhöchstens noch Platz in politischen Diskussionen hat. Soweit eine maßlos überspitzte Darstellung.

Religionswissenschaft als Kulturwissenschaft

Sieht man sich aber die historischen Anfänge egal welcher Kultur an, so realisiert man schnell – und das ist dann eine der fundamentalsten Erkenntnisse im religionswissenschaftlichen Studium – dass eine gemeinsame Religion von Beginn an bei allen Gesellschaftsbildungen eine gewisse Rolle gespielt hat. Auch wenn der Stellenwert der jeweiligen Religion in späterer Folge in jener Gesellschaft sank, können dennoch ihre Spuren in ebendieser gefunden werden.

Rituelles Handeln wäre so ein Beispiel, das sich in allen Teilbereichen der Gesellschaft finden lässt. So meint das Wort "Ritus" zunächst eigentlich nur ein wiederholtes Handeln, das dazu dient, Ordnung in eine chaotische Welt zu bringen. Wenn man nun bedenkt, dass die Menschen an einen oder mehrere Götter glaubten, weil sie sich so gewisse Vorkommnisse erklären konnten – und somit Ordnung in das Chaos bringen –, so können in weiterer Folge beispielsweise rituelle Tieropfer als der Versuch verstanden werden, ordnenden Einfluss auf besagte Entitäten zu nehmen.

Religion und Ritus

Mit der Ausdifferenzierung der Gesellschaft in andere Bereiche außerhalb des Religiösen wurden nun auch die Rituale aus dem Heiligen in profane Bereiche mitübernommen. Jeder kann sich selbst täglich bei rituellen Handlungen beobachten, die rein gar nichts mit Religion zu tun, aber dennoch ihren Ursprung in derselben haben. Wer jeden Morgen den STANDARD liest, schafft durch die tägliche Wiederholung ein Alltagsritual, das Ordnung ins tägliche Leben bringt. Diese ursprünglich religiösen Verhaltensweisen in säkularisierten Gesellschaften bewusst zu machen, gehört zum Aufgabenbereich der religionssoziologischen Disziplin innerhalb der Religionswissenschaft und beinhaltet somit auch Überschneidungen zu anderen kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen, wie in diesem Fall zur Soziologie.

"Adam und Eva" von Albrecht Dürer.
Foto: apa/epa/Javier Lizon

Glaube als unbedingte Voraussetzung?

Eine weit verbreitete Meinung über die Religionswissenschaft – die diese zugleich in die unmittelbare Nähe zur Theologie rückt – betrifft die Vermutung, dass Studenten der Religionswissenschaft allesamt gläubig seien. Auch wenn diese Annahme zunächst logisch erscheinen mag, so ist sie dennoch für uns Studierende sehr weit von der Realität entfernt.

Tatsächlich kommt die Frage nach dem persönlichen Glauben im Studienalltag so gut wie nie auf. In der wissenschaftlichen Betrachtung, egal welchen Religionssystems, ist eine wertungsfreie Arbeitsmethode die oberste Pflicht. In diesem Sinne muss auch der persönliche Glauben – ob vorhanden oder nicht – zumindest als Grundlage einer Bewertung außen vor bleiben. Eine atheistische Grundeinstellung kann das Studium unter Umständen erleichtern, da sich so eine nüchterne Betrachtung eines anderen Glaubenssystems "von außen" ergibt. Umgekehrt kann eine Konfession von Vorteil sein, wenn es darum geht, ein Glaubenssystem "von innen" zu beschreiben. Als (angehende) Religionswissenschaftler sind wir um beides bemüht – die Sicht auf ein Glaubenssystem sowohl von außen als auch von innen – weswegen beide Positionen Vor- und Nachteile beinhalten. Unser Ziel ist es, eine Religion in ihrer gesamten Komplexität kennenzulernen, und das möglichst unabhängig von einer Wertung – egal welcher Art.

Wir sind keine Theologen!

Es gibt eine Unmenge an individuellen Motiven, die einen zum Studium der Religionswissenschaft bewogen haben. So steht für einen Religionswissenschaftsinteressierten beispielsweise der Wunsch im Vordergrund, die diversen kultureigenen Mythen, welche ja auch aus religiösen Vorstellungen erwachsen sind, kennenzulernen. Ein anderer Beweggrund kann die Überlegung beinhalten, durch die Kenntnis einer Religion gewisse politische Vorgänge besser nachvollziehen zu können.

Was alle diese Motive aber vereint ist das Verständnis von Religion als Schlüssel zum Verstehen gewisser Vorgänge innerhalb einer Gesellschaft, wie säkularisiert diese auch immer sein mag. In diesem Sinne sind wir als Studenten der Religionswissenschaft auch keine Theologen – wir sind Kulturwissenschaftler. (Raphaela Hemet, 25.4.2017)

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