Am 7. Mai schreiten die Franzosen in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl zu den Wahlurnen. Die erste Runde fand am 23. April statt.

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So wurde im ersten Wahlgang gewählt. In die Stichwahl schafften es Emanuel Macron und Marine Le Pen.

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Emmanuel Macron ist der neue Strahlemann der französischen Politik. Ohne Parteibasis im Rücken setzte er sich gegen die Kandidaten der großen Parteien durch und geht als Favorit in die Stichwahl am 7. Mai. Knapp dahinter folgt Marine Le Pen, die den rechten Front National salonfähig gemacht hat. Sie kann sich ebenfalls Hoffnungen auf einen Sieg machen. Leicht wird es freilich nicht, schließlich haben bereits fast alle namhaften unterlegenen Kandidaten zur Wahl Macrons aufgerufen.

In den kommenden zwei Wochen gilt es für beide, Positionen zu beziehen und breite Wählerschichten anzusprechen – in der ersten Runde vereinten sie zusammen knapp 45 Prozent der Wähler. Wie das gelingen soll und welche Auswirkungen ein Sieg des einen oder der anderen auf Frankreich und die Europäische Union haben könnten, fragten die User in den derStandard.at-Foren. Frankreich-Korrespondent Stefan Brändle beantwortet die Fragen.

Stefan Brändle: Ich könnte mir vorstellen, dass die jungen Wähler ähnlich wie im ersten Wahlgang wählen werden. Im ersten Wahlgang stimmten sie zu 26 Prozent für Marine Le Pen, während alle Wähler zusammen zu 21,5 Prozent für Le Pen stimmten. Dass Jungwähler häufiger "FN" (Front National) wählen als der Durchschnitt, hat sich schon bei den letzten Lokal- und Regionalwahlen gezeigt. Der Front National erhielt von der Kategorie 18 bis 36 Jahre rund 35 Prozent Stimmen, während er durch alle Altersgruppen hindurch knapp 30 Prozent erhielt.

Was den zweiten Wahlgang in einer Woche betrifft, habe ich noch keine Schätzungen gesehen; aber wenn man davon ausgeht, dass die Proportionen in etwa gleich bleiben und Le Pen also wie in Umfragen insgesamt 38 Prozent erhält, würde das heißen, dass die Jungwähler zu gut 40 Prozent für sie einlegen. Aber das ist eine pure Annahme."

Brändle: Ich neige immer zur Vorsicht. Denkbar ist alles. Viele Wähler ärgern sich, wenn die Medien das Wahlresultat voraussagen, und könnten in dem Fall erst recht für Le Pen einlegen. Eine weitere Annahme geht davon aus, dass die Stimmempfehlungen – von Präsident Hollande bis zu den Konservativen und Kommunisten – nicht sehr stark befolgt werden. Das sind aber alles Spekulationen.

Was mich überzeugt, sind die absoluten Stimmenzahlen: Beide Le Pens (Vater und Tochter) und der Front National haben noch nie mehr als 7,6 Millionen Stimmen erhalten. Jetzt müsste Marine Le Pen auf einen Schlag rund 17 Millionen Stimmen erhalten, um Macron zu schlagen. Das erachte ich für unmöglich. Aber lassen wir die Demokratie spielen, warten wir die Resultate ab!

Brändle: Da ist durchaus ein großes Stimmenreservoir vorhanden, denn die französische Rechte ist soziologisch gesehen eigentlich stets in der Mehrheit. Eine Untersuchung besagt, 48 Prozent der Fillon-Wähler würden Macron die Stimme geben, 33 Prozent Le Pen; der Rest werde sich der Stimme enthalten. Ich könnte mir vorstellen, dass die Stimmenthaltung der Republikaner noch höher sein könnte. Dass dies allerdings zu einem Sieg Le Pens führen könnte, glaube ich nicht.

Brändle: Es ist schon überraschend, das Mélenchon bisher keine Stimmempfehlung abgab. Das erklärt sich mit seinem störrischen Charakter und mit seiner echten Abneigung gegen alles Liberale. Spielt da auch eine gewisse europa- und wirtschaftspolitische Nähe zu Le Pens Programm mit? Das würde er natürlich nie zugeben, kann aber sein. Auf jeden Fall kommentieren Pariser Medien, Mélenchon habe seine gelungene Wahlkampagne zum Schluss noch verpfuscht. Seine Wähler dürften das allerdings anders sehen.

Wie nahe sie sich insgeheim Le Pens Positionen fühlen (nach außen würde das auch niemand zugeben), bleibe dahingestellt. Denn klar ist auch, dass Mélenchon wie auch die Kommunisten eine ausländerfreundlichere Politik betreiben als etwa die Sozialisten. Die heutigen Arbeiter sind Ausländer beziehungsweise Immigranten, und Mélenchon steht klar zu ihnen.

Brändle: Viele verstehen den Macron-Hype nicht. Seine Rede am Wahlabend war rhetorisch brillant, aber inhaltlich ziemlich leer – wie so oft. Tatsache ist allerdings, dass er mit dem besten Resultat in die Stichwahl zieht und gegen Le Pen den Sieg vermutlich in der Tasche hat. Mal schauen, wie sich der "Hype" im Élysée macht. Das meine ich ohne Ironie: Man weiß nicht, ob und wie Macron zur Sache gehen wird. Dazu gehört auch die Frage, ob er im Juni eine Parlamentsmehrheit erhalten wird. Möglich ist es. Für die 577 Sitze hat er bereits 14.000 Kandidaturen erhalten! Die meisten sind völlige Newcomer. Sie werden sich gegen gestandene Kandidaten der Republikaner und Sozialisten durchsetzen müssen. Pas facile, denn nicht jeder ist ein kleiner Super-Ma(cro)n!

Normalerweise geben die Franzosen dem neuen Präsidenten eine Mehrheit mit, damit er regieren kann. Diesmal ist aber vieles neu. Warum nicht gleich eine Kohabitation von Beginn weg? Die Konservativen haben den Eindruck, dass ihnen der Wahlsieg wegen der Fillon-Affäre gestohlen wurde. Vielleicht gehen sie im Juni deshalb umso entschlossener an die Urnen. Momentan würde ich eher auf eine Macron-Mehrheit tippen. Aber bis Juni geht es noch fast zwei Monate – eine Ewigkeit bei der Geschwindigkeit der heutigen Umwälzungen in Frankreich!

Brändle: Sie meinen Le Pen und Macron? Sie schimpft, er verbreitet Zuversicht. Sie ist gegen die EU und den Euro, er dafür. Sie will Landesgrenzen, er den Schengen-Raum. Sie will einen "intelligenten Protektionismus" (?), er ist für Tafta et cetera. Sie ist gegen die "wilde Globalisierung", er für den Freihandel. Sie will "Gefährder" abschieben, er will eher den Geheimdienst stärken. Sie will den öffentlichen Dienst ausbauen, er will dort 120.000 Stellen abbauen. Sie will zurück zum Rentenalter 60, er will es bei 62 Jahren belassen.

Sie und er versprechen wörtlich eine "wirkliche Wende" weg von den etablierten Parteien. Ansonsten ist es schwer, Gemeinsamkeiten zu finden – die beiden sind sehr antagonistisch. Parallelen gibt es am ehesten noch in der Sicherheitspolitik, aber auch nur, weil diesbezüglich alle Kandidaten auf die schweren Terroranschläge von 2015 und 2016 reagieren müssen und wollen. Le Pen will 15.000 Polizisten einstellen und 40.000 neue Gefängnisplätze schaffen, Macron 10.000 Polizisten einstellen und 15.000 Gefängnisplätze schaffen.

Brändle: Gute Frage (weil schwer zu beantworten). Macron hat sicher den Willen zu handeln. Aber wird er auch die Mittel dazu haben? Wird er sich durchsetzen können? Ich bin etwas skeptisch, ob es Macron wirlich gelingen kann, Frankreich neu aufzustellen. Personell sicher: Der neue Präsident wird mit neuen Ministern und Parlamentariern regieren. Aber wird er die eklatanten Strukturproblem (Zentralismus, Arbeitslosigkeit, Banlieue, auch Ökologie) lösen? Ich denke leider: nein. Aber geben wir ihm eine Chance, seien wir fürs Erste ebenso zuversichtlich wie Macron!

Brändle: Bei den französischen Präsidentschaftswahlen ist die Briefwahl nicht zugelassen. Die Regierung stoppte sie in den siebziger Jahren – offenbar aus Angst vor Manipulationen durch kommunistische Postangestellte. Zugelassen ist die Briefwahl nur noch bei den Parlamentswahlen außerhalb von Festlandfrankreich.

Brändle: Valls hätte nicht nur besser abgeschnitten, er hätte vielleicht sogar Macrons Sieg verhindert. Denn die beiden liegen politisch ähnlich. Viele Vertreter von Valls’ rechtem SP-Flügel wären nicht zu Macron übergelaufen. Sie fragen, warum die Sozialisten denn Hamon gewählt haben. Nachträglich stellt sich die Frage wirklich. Konkret vor allem, weil die Sozialisten gegen die Valls-Hollande-Reform des Arbeitsrechts waren. Dieses an sich vernünftige Gesetz hat die Frondeure wie Hamon über Gebühr gestärkt. Aus etwas weiterer Perspektive betrachtet, wurde Hamon gewählt, weil die französischen Sozialisten (im Unterschied zur deutschen SPD) bis heute den sozialistischen Diskurs pflegen.

An der Macht müssen sie dann realpolitisch handeln – eine Diskrepanz, die auch Hollande erledigt hat. Und jetzt hat sie die Partei und die Linke um jede Wahlchance gebracht. Da kann man wirklich nur den Kopf schütteln. Hamon ist ein netter Kerl, der kohärent zu denken und agieren sucht. Gerade deshalb war sein Programm – dessen Universaleinkommen Frankreich die astronomische Summe von 300 bis 400 Milliarden Euro gekostet hätte – ein unverzeihlicher Fehler. Denn er bewirkte auch aus Hamons Sicht genau das, wogegen der in der Arbeitsdebatte kämpfte – den Sieg der Sozialliberalen (Macron). (brä, jnk, 26.4.2017)