London ist eines der wichtigsten Finanzzentren der Welt. Nach dem Brexit müssten viele Banken ihren Hauptsitz in die EU verlegen, wenn sie hier weiter Geschäfte machen wollen, sagt Nowotny.

Foto: APA

Es gibt bereits einen Wettbewerb darum, diese Finanzdienster anzulocken. Da hat die Eurozone große Interessen.

Foto: AFP

Bei der Tagung des Internationalen Währungsfonds in Washington wurden Finanzminister und Notenbanker am vergangenen Wochenende über die größten Bedrohungen für die Weltwirtschaft unterrichtet. Politische Risiken standen dabei im Vordergrund. Nebenbei versuchte die österreichische Delegation mit Nowotny Klarheit über den Kurs der Trump-Regierung zu bekommen.

STANDARD: Welche Entwicklungen bereiten Ihnen derzeit am meisten Sorgen: der Brexit, die protektionistischen Tendenzen in den USA, der Nationalismus in Europa?

Nowotny: Beunruhigend sind aktuell vor allem die Unsicherheiten, die in Bezug auf künftige Maßnahmen der US-amerikanischen Regierung bestehen. Einer unserer Gesprächspartner in Washington hat uns gesagt, dass Trump und sein Team gar nicht erwartet haben, dass sie gewinnen. Sie haben also Wahlprogramme, sind aber nicht darauf vorbereitet, wie es weitergehen soll, und müssen sich das erst mühsam erarbeiten. Das heißt, die größte Ökonomie der Welt könnte für einige Zeit orientierungslos dahinschlingern.

STANDARD: Trump lässt derzeit prüfen, ob die Stahlimporte in die USA die nationale Sicherheit gefährden. Das klingt, als hätte er eine Strategie: Protektionismus.

Nowotny: Was sich abzeichnet, ist eine Strategie von öffentlichkeitswirksamen Einzelentscheidungen, die nicht von großer makroökonomischer Bedeutung sind. Auf die wichtigen Fragen, also darauf, ob die Vereinigten Staaten ihre Außenhandelsverträge aufschnüren und wie sie die Steuerreform gestalten, gibt es noch keine Antworten.

STANDARD: Ein Teil der Republikaner liebäugelt mit der Idee, Exporte in die USA künftig mit einer Strafsteuer zu belegen. Welche Auswirkungen hätte das in Europa?

Nowotny: Das ist etwas, was uns Europäern ziemliche Sorgen gemacht hat. Für den europäischen Außenhandel würde es zu erheblichen Verschlechterungen kommen. Für Österreich hätte diese Steuer vor allem indirekt negative Folgen, denken Sie etwa an die Zulieferer für die deutsche Automobilindustrie. Doch die meisten meiner Gesprächspartner in Washington waren der Meinung, dass diese Boarder Adjustment Tax nicht kommen wird, sondern die Republikaner im Kongress sich stattdessen nur auf eine klassische Tarifsenkung einigen werden.

STANDARD: Erwartet wird, dass die USA eine Steuersenkung gegenfinanzieren, indem sie ihre Schulden massiv erhöhen. Hätte das Auswirkungen auf Europa?

Nowotny: Ja, über die langfristigen Zinssätze. Wenn die USA eine stark defizitfinanzierte Expansionspolitik machen, ist zu erwarten, dass damit das Wirtschaftswachstum angekurbelt wird. Die Folge wäre höhere Inflation. Das würde dazu führen, dass die Verzinsung von langfristigen Wertpapieren, also mit einer Laufzeit zwischen fünf und zehn Jahren, steigt. Anleger hätten dann einen Anreiz, von Europa in die USA zu gehen. Das würde aber wiederum in Europa zu steigenden langfristigen Zinsen führen.

STANDARD: Das kann zu einem Problem werden. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat hart dafür gekämpft, die Zinsen zu drücken, damit die Kreditvergabe anspringt.

Nowotny: Einen Anstieg der Zinskurve am langen Ende hat es zwischenzeitlich in Europa gegeben, und zwar als Reaktion auf eine ähnliche Entwicklung in den USA nach dem Wahlsieg Trumps. Bisher ist das nicht beunruhigend. Für Versicherungen und Banken, die ihr Geld aus der Differenz zwischen kurz- und langfristigen Zinssätzen verdienen, war der Anstieg der Zinskurve am langen Ende sogar hilfreich. Die Kreditvergabe kann es natürlich erschweren, wenn Zinsen zu stark steigen. Aber wenn die größte Volkswirtschaft insgesamt stärker wachsen sollte, hätte das eher einen belebenden Effekt auf die Investitionen in Europa.

STANDARD: Was ist die Position der EZB für die Brexit-Verhandlungen?

Nowotny: Die EZB ist nicht direkt an den Verhandlungen beteiligt, die Gespräche führt die Kommission. Aber die EZB ist dabei, wenn Positionen erarbeitet werden. Einer der wichtigsten Punkte aus Sicht der Briten ist die Zukunft der Finanzdienstleister in London. Die Position der EZB dazu ist klar: Brexit bedeutet Brexit. Das heißt, man kann nicht für Einzelbereiche Begünstigungen zulassen. Das bedeutet wiederum, dass Finanzinstitute, die in der EU tätig sein wollen, auch ihren Sitz und ihre Beaufsichtigung in der EU haben müssen.

STANDARD: Viele Finanzinstitute müssten dann aus London nach Frankfurt oder Paris ziehen.

Nowotny: Es gibt bereits einen Wettbewerb darum, diese Finanzdienstleister anzulocken. Da hat die Eurozone große und, wie ich meine, berechtigte Interessen. Bisher waren sie nicht durchsetzbar, weil im EU-Binnenmarkt die Differenzierung zwischen Euroraum und Nichteuroraum nicht erlaubt war. Doch nun verlassen die Briten den Binnenmarkt.

STANDARD: Ist diese harte Verhandlungsposition durchzuhalten?

Nowotny: Es geht nicht darum, Strafaktionen zu machen. Aber so wie jeder Klub haben auch wir ein Interesse, dass ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten entsteht. Ein Rosinenpicken darf es nicht geben.

STANDARD: Entgegen allen Prognosen hatte das Brexit-Votum bisher keine negativen Effekte. Aber ein harter Brexit würde Europas Wirtschaft doch massiv schaden.

Nowotny: Ich fürchte tatsächlich, dass man die Problematik des Brexits bisher unterschätzt hat. Ich befürchte auch, dass hier noch viele negative Überraschungen kommen können. Vor allem wegen des Zeitdrucks. Die Verhandlungen mit London müssen innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen sein. In dieser Zeit muss man sich über einen geordneten Ausstieg und auch über die künftige Zusammenarbeit, also auf eine Zollunion oder einen Freihandelspakt einigen. Das sind alles Dinge, die in der Vergangenheit viel mehr Zeit in Anspruch genommen haben.

STANDARD: Könnte man die Verhandlungszeit nicht verlängern?

Nowotny: Doch, aber dazu wäre ein einstimmiger Beschluss in der EU notwendig. Ich halte es zumindest aus heutiger Sicht für nicht sehr wahrscheinlich, dass dieser zustande kommt. (András Szigetvari, 25.4.2017)