Sie bekämpfen das Europa der offenen Grenzen, wollen zurück zum Nationalstaat – und nennen es "Europa verteidigen". Diese rhetorische Umkehrung sei typisch für Rechtsextreme, sagt der Experte.

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Wien – Wer bei Rechtsextremen nur an Neonazis denke, liege falsch, meint Patrick Gensing, Autor des Buchs Rechte Hetze im Netz: Die extreme Rechte von heute gebe sich harmlos, sei aber "viel wirkungsmächtiger, weil ihr Netzwerk weit in die politische Mitte hineinreicht", sagt Gensing, der sich als ARD-Journalist, Blogger und Buchautor mit rechten Gruppierungen befasst hat und auf der Rechtsextremismus-Enquete der Grünen im Parlament am Freitag eine Bestandsaufnahme der Szene aus deutscher Sicht präsentierte. Immer öfter gelinge es Rechtsextremen, Themen zu setzen.

Ein aktuelles Beispiel: Nach dem Sprengstoffanschlag auf Borussia Dortmund wurde von rechter Seite ein angebliches "Bekennerschreiben" der Antifa auf der linken Plattform Indymedia gepostet – und sehr rasch von rechtsextremen Seiten geteilt. Die Nachricht, es handle sich um ein linksextremes Attentat, ging dann durch diverse Mainstream-Medien bis zur britischen BBC. Und das, obwohl das Schreiben sowohl sprachlich als auch inhaltlich derart unprofessionell gestaltet war, dass es leicht als Fake hätte identifiziert werden können, so Gensing.

Mensch oder Flüchtling

Auch abseits des aktuellen Falles gelinge es der extremen Rechten, dem Mainstream die Deutungsschemata aktueller Ereignisse vorzugeben. Sie bedienten sich dabei mehrerer rhetorischer Stilmittel – etwa "den anderen das vorzuwerfen, was man selbst praktiziert", sagt Gensing. So stilisierten sich die Rechten, deren Ideologie auf Rassismus und Diskriminierung aufbaut, gerne als Opfer von Diskriminierung. Ihr aggressives Auftreten werde dadurch zum "Widerstand" gegen vermeintliche "Repression".

Zudem verwendeten Rechtsextreme eine Sprache, die zwar alte Bilder bediene, aber vermeintlich neutral daherkomme: So heiße es statt "Volkstum" bei den Identitären "ethnokulturelle Identität", erklärt Politologin Stefanie Mayer.

Vor allem in der jüngsten Vergangenheit werde diese Rhetorik verstärkt auch von Politikern der Mitte-Parteien übernommen: Flüchtlinge sind in diesem Denkschema keine Menschen mehr, sondern nur noch eine "Belastung" für den Nationalstaat. Und in der Mindestsicherungsdebatte sei es nie darum gegangen, wie viel die von den Kürzungen Betroffenen eigentlich brauchen, um überleben zu können, sagt Mayer. Die dahinterstehende Logik: "Es gibt Gruppen, für die bestimmte Rechte einfach nicht gelten."

Gender als "Klammer"

Das Vordringen rechter Deutungsmuster habe auch damit zu tun, dass Rechtsextreme auf Themen setzen, die in der breiten Gesellschaft anschlussfähig sind. Ein Beispiel: der Feminismus. Das Brandmarken der Frauenbewegung als vermeintlich schädliche "Gender-Ideologie" sei "eine gemeinsame Klammer aller rechten Gruppierungen", sagt Politikwissenschafterin Judith Götz.

Das Muster sei nicht neu: Von jeher würden Rassisten in der offenen Gesellschaft eine "Verweiblichung" und Zerstörung der männlichen Identität sehen. Im Unterschied zu früher wird den Feministinnen nicht mehr unterstellt, Männer zu hassen, sondern Familien zerstören zu wollen. Der Kampf für eine Gleichstellung von Mann und Frau werde als "Gleichmacherei" bezeichnet – ein Paradoxon, da es ja gerade die extremen Rechten seien, die Frauen und Männer in jeweils eng zugeschnittene Rollenmuster pressten. (Maria Sterkl, 22.4.2017)