"Manche Facebook-Accounts rechtspopulistischer Politiker lassen sich recht lange Zeit, ehe sie diese Einträge löschen."

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Es ist schon ein Hassklassiker: Wann immer sich Frauen, seien es Journalistinnen oder weibliche Mitglieder der Zivilgesellschaft, für Flüchtlinge einsetzen, rasten die Anonymos im Netz aus. Den Frauen wird Vergewaltigung durch eine Horde von notgeilen Afghanen oder Marokkanern an den Hals gewünscht. Manche Facebook-Accounts von rechtspopulistischen Politikern lassen sich dann recht lange Zeit, ehe sie diese Einträge löschen.

Die Grünen-Chefin Eva Glawischnig wurde auf Facebook als "ungläubige Nazidrecksfotze" beschimpft. Erstreaktion von Facebook: Das widerspreche nicht den Gemeinschaftsstandards. Später besann man sich. Im Sommer 2016 wurde es mit den Angriffen auf Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, so arg, dass vier bekannte Journalistinnen beschlossen, diese Hassorgien, über die man bis dahin meist peinlich hinweggeschwiegen hatte, zu thematisieren. Ingrid Thurnher, Ex-Moderatorin von "Im Zentrum", jetzt Chefredakteurin von ORF 3, Corinna Milborn von Puls 4, die freie Journalistin Barbara Kaufmann und Hanna Herbst vom Online-Magazin "Vice" berichteten in der Wochenzeitung "Falter" von ihren Erfahrungen mit sexistischen Beschimpfungen, Vergewaltigungs- und Morddrohungen im Netz.

Beunruhigende Zeichen

Sie wollten damit bekannt machen, was Frauen in der Öffentlichkeit nicht neu ist, worüber diese aber meist nichts sagen wollen. Weil sie nicht noch mehr Hasspostings und -mails auslösen wollen und weil unweigerlich in Teilen der konservativen Männergesellschaft die Reaktion ausgelöst wird: Habt euch nicht so, oder: Kein Wunder, ihr habt das durch euer unweibliches Verhalten ja nur provoziert. Inzwischen gibt es auch neue Hass-im-Netz-Straftatbestände. Gleichzeitig gibt es beunruhigende Zeichen, dass in der großen Politik ein Paradigmenwechsel stattfindet. Dass systemisch und systematisch an einer Zurückdrängung der Frauenfreiheit gearbeitet wird.

Da ist zunächst Donald Trump. Der "Grab them by the pussy"-Präsident, der sich früher so gerne bei Misswahlen herumtrieb und alle paar Jahre ein Model als Trophäenfrau nach Hause brachte. Der aber die aktuelle Gattin Melania beim Auto stehen lässt, wenn er das scheidende Präsidentenpaar Barack und Michelle Obama auf den Stufen des Kapitols begrüßt. Trump ist all das, was die erzkonservative, christliche Basis der Republikanischen Partei hasst – hassen müsste. Aber er gibt den Reaktionären, was sie wollen, sodass sie über seine persönliche Sündenanfälligkeit hinwegsehen.

Ein Rollback der Errungenschaften moderner Sexualpolitik

Er gibt ihnen ein Rollback der Errungenschaften moderner Sexualpolitik. Der "Planned Parenthood"-Organisation, einem Netzwerk von über 600 Beratungsstellen und Abtreibungskliniken, werden die Gelder gestrichen. Das trifft vor allem ärmere Frauen. Als eine seiner ersten Taten hat Trump auch wieder eine Bestimmung in Kraft gesetzt, mit der internationalen Frauenberatungsorganisationen bei Strafe des Subventionsentzugs untersagt wird, die Möglichkeit einer Abtreibung auch nur zu erwähnen. Außerdem wird der Zugang zu bezahlbaren Verhütungsmitteln erschwert.

Auf der anderen Seite des Erdballs sorgt ein anderer Machopolitiker dafür, dass die gute alte russische Tradition des Frauenverprügelns nicht mehr so bitterernst genommen wird. Wladimir Putin hat sich vor einigen Jahren im Frieden scheiden lassen. Für russische Ehemänner, die das nicht so handhaben wollen, hat das Parlament eine Erleichterung beschlossen: Häusliche Gewalt wird nur noch als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldstrafe geahndet, es sei denn, es ist ein Wiederholungsfall oder es werden Knochen gebrochen.

Phänomen "Taharrush"

Auch in Europa hat sich etwas getan: In der Silvesternacht 2016 lernte die fortschrittliche Öffentlichkeit, dass es in arabischen Ländern etwas gibt, das "Taharrush" heißt, nämlich die gemeinsame sexuelle Belästigung bis Vergewaltigung von Frauen durch Männergruppen. Und dass Taharrush zu uns gekommen ist. Hunderte Frauen wurden am Kölner Domplatz eingekesselt und in ihrer sexuellen Integrität verletzt. Das Phänomen ist im arabischen Kulturkreis seit langem bekannt, während der berühmten Demonstrationen am Tahrir-Platz in Kairo kam es massenweise zu solchen Übergriffen auf junge Frauen, die nicht nur für die Freiheit an sich, sondern auch für ihre persönliche Befreiung auf die Straße gegangen waren.

In der Türkei, die auf dem Weg zu einem modernen Staat war, lautet die offizielle Ideologie des autoritären Präsidenten Erdoğan nunmehr: Jede türkische Frau muss mindestens drei Kinder haben, Türkinnen in Europa sogar fünf. Die Kopftuchträgerinnen haben auch in einer Weltstadt wie Istanbul dramatisch zugenommen. In einer Broschüre für Ehekandidaten, verfasst von einem ehemaligen Mitarbeiter der staatlichen Religionsbehörde Diyanet, werden Ratschläge gegeben: "Eine Frau, die sich nicht für ihren Mann zurechtmacht, ihrem Mann als Herren im Hause nicht gehorsam ist, kann geschlagen werden."

Problem Lohnlücke

Laut einem neuen Bericht machen OECD-Länder weiterhin einen langsamen, aber sicheren Fortschritt in Richtung größerer weiblicher Wirtschaftskraft. Dennoch bleibt die geschlechtsspezifische Lohnlücke ein wesentliches Problem: Eine berufstätige Frau verdient in den OECD-Staaten nach wie vor um 16 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen – und das trotz einer Verbesserung der Qualifikation. Der "Women in Work Index" der internationalen Wirtschaftsprüferfirma PricewaterhouseCoopers (PwC) zeigt für 2016, dass in den industrialisierten Ländern, die in der OECD vertreten sind, der graduelle Prozess in Richtung eines größeren weiblichen "Empowerment" im Wirtschaftsleben weitergeht. Besonders die nordischen Länder, vor allem Island, Schweden und Norwegen, halten die Topposition in diesem Index.

Österreich konnte sich 2016 nicht verbessern und liegt auf Rang 22 (im Jahr 2000 noch auf Rang 13). Frauen verdienen etwa 60 Prozent des Einkommens der Männer, wenn man nur die Vollzeit rechnet, immerhin rund 80 Prozent. Bis sich diese Lücke schließt, wird es in Österreich laut PwC rund 50 Jahre dauern – in Belgien oder Luxemburg könnte das schon innerhalb der nächsten zehn Jahre der Fall sein. Noch drastischer ist es in Österreich bei den Pensionen der Frauen: Der Median der Alterspensionen der Frauen war im ASVG um 51,1 Prozent niedriger als der der Männer.

Kreis der Alphatiere

Die Alterspension der weiblichen Angestellten mit 1.231 Euro lag um 48 Prozent unter jener der männlichen Angestellten mit 2.368 Euro. Die Pensionen der Arbeiterinnen waren mit 803 Euro um 49,4 Prozent niedriger als jene der Arbeiter mit 1.587 Euro. Frauenquote in der Politik? Traditionell sind die Ministerien für Gesundheit und Frauen, für Bildung und für Familien und Jugend mit Frauen besetzt, aber es gab auch weibliche Finanzminister und Innenminister. Unter den neun Landeshauptleuten waren bis März neun Männer, dann trat mit Johanna Mikl-Leitner wieder eine Frau in diesen Kreis der Alphatiere (vorher für die Steiermark und Salzburg: Waltraud Klasnic und Gabriele Burgstaller).

Die sieben Fachgewerkschaften des ÖGB werden von sieben Männern geleitet, ebenso die neun Landesarbeiterkammern. In der Wirtschaftskammer gibt es allerdings mehrere weibliche Landeschefs. Die Frauenquote im Nationalrat ist 30 Prozent. Die Parlamentsklubs der sechs Parteien im Nationalrat haben nur eine weibliche Vorsitzende – Eva Glawischnig. Kandidatinnen für das Amt des Bundespräsidenten hat es gegeben, zuletzt Irmgard Griss. Davor Heide Schmid, Gertraud Knoll, Freda Meissner-Blau, Barbara Rosenkranz. In die Stichwahl kam als einzige Frau Benita Ferrero-Waldner, die mit 47,8 Prozent Heinz Fischer unterlag. Eine Regierungschefin wie Margaret Thatcher oder Angela Merkel steht noch aus. So weit haben wir es in Österreich noch nicht gebracht. (22.4.2017)