In der Denkkultur, die ganz allgemein als westlich bezeichnet wird, ist es der erste Schritt, wenn man ein Ding oder ein Phänomen untersuchen möchte, dieses in kleine und immer kleinere Teile zu teilen. Dieses analytische Vorgehen ist tief in unser Verständnis von Wissenschaft verankert, es ist aber längst nicht unumstritten, nicht zuletzt auch darum, weil es eine gewisse Starrheit des Untersuchungsgegenstandes annimmt.

AUGUSTINAselbst hinterfragt ein Stück weit die Strategie des analytischen Zerstückelns. Die Erzählung rund um die Protagonistin Augustina ist eine literarisch-philosophische Auseinandersetzung mit Identität und Ganzheit; mit dem Verhältnis zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein, Traum und Realität, Subjekt und Objekt, zwischen dem Ich und seiner Umwelt. AUGUSTINAselbst, ist das literarische Debüt der in Wien und Berlin ansässigen Künstlerin Elisa Asenbaum.

Spiel mit Konzepten

Asenbaum nennt ihre Erzählung ein Spiel mit Konzepten. Dazu greift sie in der Philosophiegeschichte zurück; neben dem Atomismus hat sie vor allem das Pfeil-Paradoxon von Zenon von Elea inspiriert: Die Strecke, die ein fliegender Pfeil von A nach B zurücklegt, kann immer jeweils in die Hälfte geteilt werden – in diesem scheinbar logischen Gedankenexperiment dürfte der Pfeil niemals ganz bei B ankommen.

Die Künstlerin wählt für diese philosophischen Diskussionen einen Schauplatz, der der Logik immer schon entkommt: die Welt des Traumes. Der erste Teil des Buches erzählt in alternierenden Kapiteln, was Augustina, eine Parkwächterin in Wien, in ihren Wach- und Schlafphasen erlebt.

Die Welt des Traumes ist "lebendig, ist tierisch pflanzlich gebirgig geistig meerig, dinglich und unbedingt in einem, befindet sich in stetigem Wandel, daher gibt es keine prinzipiellen Fixierungen", wie die Traumgestalten Iris und Auris in einem Moment erklären.

Weder auf die Einheit des Orts noch auf die der Zeit, geschweige denn auf feste Identitäten, Formen und Rollen der Traumprotagonisten ist hier Verlass. Umgekehrt ist es aus Perspektive der Träumenden auch gar nicht so einfach, die Gesetzmäßigkeiten, Regeln und Mechanismen der rationalen Wachwelt zu beschreiben.

Traumwelten

Der zweite Teil des Buches besteht aus einem langen Traum Augustinas, der zunehmend luzide wird; sie erlangt Bewusstsein über ihre Situation als Träumende. Aber wenn die Real- in die Traumwelt einbricht, ist dies nicht ungefährlich, es "bilden sich kausale Ketten und Verkettungen, die schwer wieder zu lösen sind".

Mithilfe von Iris und Auris versucht Augustina, ihre Träume wieder von Kausalität und Logik zu befreien. Ironischerweise gelingt diese Heilung zeitweise durch quantenphysikalische Experimente, die sowohl die Klarträumende als auch ihre Traumpendants vollends verwirren.

Augustinas Träume werden in der Erzählung als launige, abstruse Geschichten gebracht, die aber gleichzeitig mitteilbar bleiben. Asenbaum trifft einen passenden Ton für die Verrücktheit des Träumens, die darin besteht, dass alltägliche Motive abwegige Formen annehmen, in eigenartige Räumlichkeiten platziert werden oder sich mit einer ungewollten Erotik aufladen. Dabei können schon einmal "Seeschnecke Amlaufband" und "Scampi Ambauchspeckgerät" über die Trennung zwischen Subjekt und Objekt debattieren und sich nach und nach zerfleischen, um die Grenzen ihrer Identität auszuloten.

Hypertext

Einzelne Begriffe und Motive der Erzählung referieren also auf konkrete philosophische Ideen, physikalische Experimente und mathematische Theoreme, dies geschieht manchmal auf explizite Weise, manchmal versteckter. Wer sich näher mit ihnen beschäftigen möchte, wird auf die "kontextuellen Spuren im Netz" verwiesen. Es handelt sich dabei um einen Plan durch die Erzählung, der auf dem Cover und im Mittelfalz des Buches abgedruckt ist, aber erst als Hypertext auf einer bereitgestellten Webseite sein Potenzial entfaltet.

Auf einer chronologischen Leiste, auf der die zwei Teile und die 19 Kapitel des Buches eingetragen sind, kann man sich durch Symbole und Begriffe klicken und mehr über die konzeptuellen Anspielungen erfahren. Die Schlagwörter reichen von "Deleuze" und "Derrida" bis "Oktopus" und "Seelenlandschaft"; Fachbegriffe wie "Transversale Wellen" und "Bulbus" werden erklärt, zu einzelnen Worten wie "verstehen" oder "Mond" werden literarische und sekundärliterarische Versatzstücke zitiert. Dies erlaubt einen Einblick in die vielschichtige Auseinandersetzung, die in der Erzählung steckt, ist aber für das Lesevergnügen von AUGUSTINAselbst nicht unbedingt notwendig.

Themenschau und Poesie

Wenn Literatur auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauen beziehungsweise gezielt über sie informieren soll, endet das nicht selten in gezwungenen, literarisch wenig interessanten Rahmenhandlungen. Auch bei AUGUSTINAselbst geht um Themen und Theorien, weniger werden diese aber durch die literarische Form erklärt, als erfahrbar gemacht. Zwar dienen auch hier gewisse Handlungen und Motive zur Illustration von Experimenten und Konzepten, meist gelingt aber die schwierige Balance zwischen Themenschau und Poesie.

Gemäß dem Esprit des Projekts ist AUGUSTINAselbst nicht das Produkt einer einzigen literarisch-menschlichen Identität namens Elisa Asenbaum, sondern Knotenpunkt vieler unterschiedlicher Überlegungen und Assoziationen. Vor der Buchpublikation war der Text Grundlage der Ausstellung Augustina träumt in progressius, die 2016 in der G.A.S.-station in Berlin zu sehen war. Sie versammelt 27 Positionen aus Wissenschaft und Kunst, die in Dialog mit einzelnen Textpassagen, mit der Figur Augustina oder den zitierten Theorien entstanden. Eine Schau in Wien ist derzeit in Planung. (Julia Grillmayr, 22.4.2017)