Der Chef des heimischen Wissenschaftsrates, Antonio Loprieno, vor 200 Fachhochschulvertretern beim Forschungsforum in Krems.

Foto: FH IMC Krems

Es ist eine selbstbewusste und stolze Veranstaltung, wenn die heimischen Fachhochschulen (FHs) einmal im Jahr zusammenkommen und ihre Forschungsleistungen präsentieren – heuer zum elften Mal im Haus des Gastgebers IMC FH Krems. Mit 1450 überwiegend kleinen und mittleren Unternehmen haben die 21 FHs im Vorjahr Forschungsprojekte abgewickelt.

Erwartbar, dass der Präsident der freiwilligen Interessenvertretung Fachhochschulkonferenz (FHK), Helmut Holzinger, das Auditorium erneut für politische Botschaften nützt: Die FHs benötigen eine Basisfinanzierung für die Forschung und die Möglichkeit, nach externer Akkreditierung Doktoratsstudien anzubieten, um Träger für die Forschungsarbeit selbst auszubilden.

Entzauberte Forschung

Der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Antonio Loprieno – von seiner Herkunft eigentlich Ägyptologe -, drückte für diese Forderungen auch explizit sein Verständnis im Zuge des Wandels des globalen Wissenschaftsbetriebes aus. Loprieno machte diesen an einem Shift vom Primat der Lehre hin zum Primat der Forschung fest, der seit rund zehn Jahren zu beobachten sei. Wo in der ersten Phase der Bologna-Wirklichkeit noch Universitäten aufgerufen waren, sich dem klassischen Typus Fachhochschule insofern anzunähern, als studentische Mobilität und Anschlussfähigkeit der tertiären Bildung an die Arbeitsmärkte im Zentrum standen, habe diese Art der Steuerung der Lehre durch den Vormarsch, durch den Siegeszug der Rankings dann zu einer Vormachtstellung der Forschung geführt.

Loprieno erklärt dies durch leichtere Quantifizierbarkeit von Forschungsleistungen gegenüber den Versuchen, qualitativ gute Lehre erfassbar zu machen. Und durch globalen Wettbewerb der Evidenz der Forschungsanstrengung und deren Ergebnissen. Auch Forschung an sich sei dadurch entzaubert, mehr zur Erforschung mit mitteilbaren Ergebnissen geworden.

Unterschiede zwischen FHs und Unis verschwimmen

Das treibe die Positionierung über die Forschungsleistung in den Vordergrund im Hochschulwesen und lasse die klassischen Typologien – hier Universitäten als quasi Hort des reinen Wissens und dort Fachhochschulen als Stätten der berufsrelevanten tertiären Ausbildungen – verschwimmen. Wenn nicht sogar verschwinden. Loprieno: "Orientierung an der Forschung ist für alle identitätsstiftend geworden." Vor allem für die sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen an den Universitäten sei das eine sehr große Herausforderung.

Da die typologischen Unterschiede solcherart ausgehebelt werden, appelliert Loprieno eindringlich an eine Positionierung der einzelnen Organisationen in funktionaler Differenzierung. Als quasi State of the Art gelte derzeit die anwendungsorientierte Grundlagenforschung. Mit der Bildung als Gemeingut und gemeinsames Ziel aller Hochschulen als Basis gelte es, auf Dimensionen zu fokussieren. Besser oder schlechter im Sinne einer Hierarchisierung seien dabei weder in die Richtung des Vertiefens einer an Phänomenen orientierten Grundlagenforschung noch in die Richtung der Anwendung ein Kriterium. Wichtig sei der gemeinsame Prozess im Hochschulsektor für eine solche Positionierung, und noch einmal: Die typologischen Grenzen haben für Loprieno keine Zukunft.

Große Trennlinien

Eine verbesserte, mancherorts überhaupt erst durchdachte Abstimmung in Regionen dagegen schon. Dafür gelte es auch, die Opposition zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung deutlich zu hinterfragen, gleichzeitig Fachbereiche zu definieren. "Die Kooperation zwischen den Bildungs- und Ausbildungsarten ist ziemlich unterentwickelt."

Loprieno erwies sich wieder als Humanist mit eindringlicher Botschaft: Als "emotional für ihn sehr wichtig" beschreibt er den "besorgniserregenden Zustand unserer postfaktischen Gesellschaft". Just in der Zeit, in der Forschung ins Zentrum gerückt sei, verliere die Gesellschaft immer mehr an Offenheit. "Wir sind doch im Geiste der Aufklärung groß geworden – das ist eine sehr große Enttäuschung. Scheinbar werden wir durch mehr Wissen doch nicht klüger. Offenbar werden die Trennlinien durch mehr Wissen größer." Hochschulen aller Typen müssten jener Ort sein, wo über dieses Thema der gesellschaftlichen Zukunft reflektiert und Diskurs geführt werde, gab er als Auftrag mit. Es gehe um den Beitrag zur Gesellschaft. (Karin Bauer, 22.4.2017)