Lassen Sie sich von diesem arroganten Blick nicht täuschen: Christopher Just hat ein sehr lustiges Buch geschrieben.


Foto: Heribert Corn

Wien – Es gibt Menschen, die dem Tod ins Auge blicken und von einem Licht berichten, auf das sie zugehen müssen. Andere gerade noch einmal von der Schippe gesprungene Leute berichten bezüglich des vermeintlich letzten Moments von einem in ORF-Abspanngeschwindigkeit vor dem inneren Auge ablaufenden Film, der ihr Leben noch einmal Revue passieren lässt, aber die geschissenen Momente weitgehend auslässt und deshalb sehr kurz ist. Hallo, wir sind hier in Wien.

Laut Christopher Just ist die Sache mit dem Film teilweise schon auch wahr. Er besteht halt leider nur aus drei Szenen, die nichts mit dem eigenen Leben zu tun haben: "Und so sah Jerry einen dicken Mann in der Straßenbahn, eine Kartonschachtel, auf die mit Filzstift ,Gummiringerl & Wäscheklammern' gekritzelt war, und ein Industriegebiet in Polen."

Wer mit diesem Humor nichts anzufangen weiß, hat sich nach einem Zentimeter Dicke des 500-Seiten-Debütromans wahrscheinlich schon 40 Wuchteln vorher verabschiedet. In Christopher Justs Der Moddetektiv geht es, einmal mehr in der Biografie des ehemaligen Mods, immerhin darum, Genres zusammenzuhauen, die eher nichts miteinander zu tun haben wollen. In seinem früheren Leben war er (nach seinen Teens als Mod) in Technokreisen als DJ und Produzent unter anderem im Duo Ilsa Gold in den 1990er-Jahren weltberühmt. Er vernietete Samples von Peter Cornelius (Der Kaffee ist zärtlich, klingt das nicht unheimlich fertig) oder die Titelmelodie des Pettingklassikers La Boum mit drei Tage wachen Marschierpulver-Beats.

Die Drogen arbeiten nicht

Später ging Just solo als I'm a Disco Dancer oder Vögeltanzstar Punk Anderson um – oder produzierte Erotikstars der deutschen Kunstszene sowie die vierte gesangsgeile Gespielin rechts vom Scheich Bumsti aus Abbudabbi. Wie jeder große Technokünstler hat Christopher Just natürlich auch ein Weihnachtsalbum in seinem Beatportfolio. Ohne das geht es in diesem Geschäft einfach nicht. Man wird sonst nicht auf Großraves gebucht. Kein Weg.

Gebucht. Hier ist die Kurve. Heute geht es der Endvierziger entschieden ruhiger an. Wie der Engländer sagt: Die Drogen arbeiten nicht. Eh schon lange nicht mehr, aber egal. Nach gut zweijähriger Schwangerschaft mit Der Moddetektiv legt Christopher Just nun eine superlustige Großtat von Trashroman vor, die uns Wienern nicht ganz Würschtel sein kann.

Immerhin wird hier das jugendkulturelle Detailwissen eines ehemaligen Absolventen der Modeschule Hetzendorf (eh nur Grafik, da muss man nicht so viel lernen) mit einer Liebe für Schmutz und Schund und sexuelle Sauerei, für Pülchersprache, aber auch für verschmocktes Bildungsbürgerdeutsch aus der Leseliste der Maturajahrgänge 1899 bis heute kurzgeschlossen. Der Thomas "Manno!" trifft auf "Oida!".

Moddetektiv August Johnny Sandemann ist ein würdelos alternder Mod mit French Cut, Chelsea-Boots, Parka, Vespa und Fred-Perry-Tattoo auf dem präfrontalen Cortex. Quadrophenia in der Geriatrie. Er muss im zur Kenntlichkeit entstellten Wien von heute in einem Mordfall unter Berufsjugendlichen ermitteln: Mods, Teds, Schnupfer, präpotente DJs wie Christopher Just, uregeile Superfrauen und ungustiöse Saugfrasta, die mit Drogen dealen.

Der Moddetektiv wirft Amphetamine und führt tiefenphilosophische Gespräche mit LSD-Gurus. Er hört kräftige männliche Rockmusik von den The Whos oder den The Kinks. Er hat geilen Sex – oder auch einmal Speedentzug. Miethaie werden in Großhandelsmengen im Club Schicke Garnele umgebracht. Und wir erfahren in dieser aberwitzigen Tour de Force, die immer wieder auch von Schnaps und Speed befeuert wird, dass Wien eine ziemlich beschissene, aber schon sehr, sehr lustige Stadt ist. Ein Mod mit grauen Schläfen hat es hier sauschwer. Trotz Sex und Drogen ist er "out of time". Am schlimmsten aber sind die Bobos. Egal, wie der Fall ausgeht: Sie tragen Bart und Fiorucci. Bitte den Gnadenschuss. Tolles Buch. Nicht alles, was vorkommt, nachmachen! (Christian Schachinger, 20.4.2017)