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Tayyip Erdoğan und seine Frau Emine Erdoğan winkten nach dem knappen Sieg beim Verfassungsreferendum ausgewählten Unterstützern in Istanbul zu.

Foto: AP / Yasin Bulbul

Sie haben wieder die alten Schlachtgesänge aus dem Gezi-Park angestimmt. "Das ist nur ein Anfang – der Kampf geht weiter", schallt es am späten Abend über die Straßen in Kadiköy und in Beşiktaş, den zwei größten Hochburgen der Opposition in der Millionenstadt Istanbul. Einige Tausend gehen demonstrieren, enttäuscht über die Niederlage und doch ermuntert von der Herausforderung des Staates wie damals vor vier Jahren beim Protest um den Istanbuler Gezi-Park.

Telefonische Glückwünsche

US-Präsident Donald Trump hat dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan zum Ausgang des Verfassungsreferendums gratuliert. Trump habe dem türkischen Präsidenten am Montag telefonisch Glückwünsche überbracht, bestätigte das Weiße Haus am Montagabend (Ortszeit). Zuvor hatte die staatliche türkische Agentur Anadolu darüber berichtet.

Trumps Sprecher Sean Spicer hatte sich am Nachmittag noch zurückhaltend zum Ausgang des Referendums geäußert. "Es gibt eine internationale Kommission, die das untersucht und in zehn bis zwölf Tagen ihren Bericht veröffentlichen wird. Wir werden warten und sie ihren Job machen lassen", sagte er mit Blick auf die Kommission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Auch aus dem US-Außenministerium gab es zunächst keine Gratulation. Sprecher Mark Toner forderte die Regierung und Präsident Erdoğan in einem Statement auf, die grundlegenden Rechte und Freiheiten aller Bürger zu achten. Dabei dürfe es nicht darauf ankommen, wie diese am 15. April abgestimmt hätten.

Statement Erdoğans

Der türkische Staatschef hat den knappen Sieg beim Referendum schon abgehakt. Er hat sein Präsidialregime bekommen, wenn auch nur mit 51,4 Prozent. Tayyip Erdoğan benützt ein nicht recht übersetzbares türkisches Sprichwort, als er am Abend nach der Abstimmung seine kurze Erklärung vor der Presse abgibt.

In dem Sprichwort geht es um ein Pferd, das längst vorbeigezogen ist, und um den Istanbuler Stadtteil Üsküdar. Was vorbei ist, ist vorbei, soll das offenbar heißen. Die andere Hälfte der Türken, die gegen die Verfassungsänderungen stimmte, möge sich mit der Niederlage abfinden; sie hat ihre Chance gehabt.

Schlecht gewählt

Aber das Sprichwort ist schlecht gewählt. Erdoğan war vor Jahren einmal bei einem öffentlichen Auftritt von einem bockigen Pferd abgeworfen worden. Und sein eigener Stadtteil Üsküdar, wo Erdoğans privates Wohnhaus liegt, hat ihn im Stich gelassen. Im konservativen Üsküdar lag das Nein zu den Verfassungsänderungen am Ende deutlich vorn wie überall in Istanbul.

Es ist die erste Niederlage für Erdoğan und seine konservativ-islamische Partei AKP in der Bosporus-Metropole. Ankara und Izmir sagten ebenfalls Nein zum Präsidialregime. Die anatolische Provinz und die stockkonservative Schwarzmeerregion retteten am Ende den Staatspräsidenten.

Die Opposition will sich zudem, anders als Erdoğan empfiehlt, keinesfalls mit der Niederlage abfinden. Bülent Tezcan, einer der Vizevorsitzenden der sozialdemokratischen CHP, forderte am Montag nichts weniger als die Annullierung des Referendums. Berichte über Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung gab es den ganzen Sonntag über: von jenem Ortsvorsteher in einem Dorf im Südosten, der mit fünf Umschlägen aus der Wahlkabine kam; dem Wahllokalleiter in Urfa, der gefilmt wurde, als er Stimmzettel mit "Ja" bestempelte; oder aus jenem anderen Wahllokal in der Provinz Ankara, in der Stimmzettel nachträglich ein Siegel erhielten. Letzteres ist der größte Vorwurf der Opposition. Die oberste Wahlbehörde hatte noch am Tag der Abstimmung die Regeln geändert und auch Stimmzettel und Umschläge für gültig erklärt, die kein offizielles Siegel trugen. Ein Verstoß gegen das Wahlgesetz, argumentiert die Opposition.

Kritik seitens der Wahlbeobachter

Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) teilen diese Ansicht. Die Anweisungen der Wahlbehörde untergruben die Sicherheit der Abstimmung und widersprachen dem Gesetz, hieß es in dem Bericht der internationalen Beobachter, der am Montag in Ankara vorgelegt wurde. Der Unterschied zwischen Ja- und Neinstimmen betrug offiziell 1,2 Millionen Stimmen.

Ausnahmezustand wird verlängert

Tayyip Erdoğan ficht das nicht an. Für Montagabend bereits hat er den nationalen Sicherheitsrat und anschließend das Regierungskabinett in den Präsidentenpalast einbestellt. Eine Verlängerung des Ausnahmezustands um drei weitere Monate steht an. Am DIenstag soll sie die Parlamentsmehrheit abnicken. Erdoğan wird weiterhin mit Notstandsdekreten regieren können. Noch ist nicht klar, wie genau der Übergang von der parlamentarischen Demokratie zum neuen Präsidialregime ablaufen soll.

Sicher ist, dass Erdoğan zunächst seine Mitgliedschaft in der AKP wieder aktiviert und dann bei einem außerordentlichen Parteitag wieder die Führung übernimmt. Die jetzige Verfassung legt fest, dass der Staatspräsident sein Amt ohne Bindung zu einer politischen Partei ausführen soll. Es ist einer jener Punkte, die mit dem Referendum geändert wurden. Alle insgesamt 18 Verfassungs änderungen treten erst mit der nächsten gemeinsamen Neuwahl von Parlament und Präsident in Kraft. Die ist für November 2019 vorgesehen. Jeder aber erwartet vorgezogene Wahlen noch im Herbst dieses Jahres. (Markus Bernath aus Istanbul, APA, 18.4.2017)