Vor knapp zwei Jahren sprach eine österreichische Journalistengruppe mit Bartholomaios I., dem griechisch-orthodoxen "ökumenischer Patriarchen von Konstantinopel", an seinem Sitz in Istanbul. "Die Christen werden in dem Teil der Welt verfolgt, wo das Christentum erstmals erblühte – und sie werden weniger und weniger", sagte der Patriarch damals. Es ist seither eher noch schlimmer geworden.

Die blühende Vielfalt von altorientalischen christlichen Kirchen in Syrien, im Irak, aber auch in Ägypten und vielen anderen muslimischen Ländern ist katastrophal bedroht. Von den rund zwei Millionen syrischen Christen musste ein großer Teil, wenn nicht die Mehrheit fliehen, Zehntausende wurden vom IS und von anderen radikalislamischen Terrormilizen versklavt und ermordet. In Ägypten, wo die koptischen Christen ihre Kirche auf den Evangelisten Markus zurückführen, stehen die etwa zehn Prozent Christen unter enormem, auch terroristischem Druck.

Es werden zwar innerhalb des muslimischen Glaubensbürgerkrieges (Sunniten – Schiiten) mehr Menschen umgebracht, aber für sich genommen ist das Christentum vermutlich die heute meistverfolgte Glaubensgemeinschaft.

Inzwischen ist es im christlichen Europa notwendig, Aufklärungsartikel über den Kernbestand des christlichen Glaubens zu veröffentlichen, wie das Spiegel Online tut: "Warum feiern wir Ostern? Fragen und Antworten zum christlichen Fest" (heißer Tipp: weil Jesus am Kreuz gestorben und wiederauferstanden ist).

Politischer Denkende sinnen (in unterschiedlichen Besorgnisgraden) über die Meldung nach, dass die Zahl der Muslime in Österreich nach Schätzung des Integrationsfonds in einem Jahr von rund 600.000 auf 700.000 oder acht Prozent der Bevölkerung gestiegen ist, was ganz überwiegend auf die Flüchtlingswelle 2015/16 zurückgeht.

Für viele sieht es also so aus, dass das Christentum in muslimischen Ländern verfolgt wird, während der Islam im "christlichen" Europa ungehindert Fuß fassen darf.

Was an dieser Sichtweise fehlt: Der muslimische Kosmos ist ganz überwiegend diktatorisch, der christliche ganz überwiegend demokratisch verfasst. Trotzdem sollte man sich als "Westler", ob christlich oder nicht, über einige Grundsätze klar werden: Die Einheit von Religion, Staat und Gesellschaft oder die dominante Stellung der Religion im Leben der Muslime muss in unserer freien Gesellschaft auf ziemlich enge Grenzen stoßen; darauf haben Staat, Institutionen und Zivilgesellschaft zu achten. Ein politisch auftrumpfendes Christentum, wie es etwa Wladimir Putins Allianz mit der russisch-orthodoxen Kirche oder bei Donald Trumps evangelikalen Wählern auftritt, ist allerdings auch nicht wünschenswert.

Europa, der "Westen", braucht kein politisches Christentum. Wohl aber ein durchaus aufgeklärtes Bewusstsein, dass der christliche Glaube ein uralter Bestandteil unserer Kultur ist; dass es durchaus legitim ist, Solidarität mit den Christen dort zu zeigen, wo sie eine verfolgte Minderheit sind; und dass weder die eine noch die andere Religion eine totalitäre Dominanz über Staat und Gesellschaft haben darf. (Hans Rauscher, 14.4.2017)