Wer aufgrund eines Unfalls oder durch Krankheit seinen Job nicht mehr ausüben kann, muss oft finanzielle Einbußen hinnehmen. Versicherungen haben dieses Risiko erkannt. Ob im Falle des Falles aber auch Geld fließt, ist laut einer aktuellen Studie aber zweifelhaft.

Foto: Getty Images/iStockphoto/Paolo Cipriani

Wien – Sie ist für den Notfall gedacht: Wenn der Rücken chronisch schmerzt oder die Hand dauerhaft geschädigt ist. 25 Prozent aller Deutschen haben eine Berufsunfähigkeitsversicherung, in Österreich ist die Berufsunfähigkeit im Bereich "Leben" integriert – daher gibt es keine exakten Angaben dazu, wie viele Personen so eine Versicherung bereits abgeschlossen haben. Diese soll jedenfalls den Lebensunterhalt absichern, wenn man seinen erlernten Beruf nach einer Verletzung oder Krankheit nicht mehr ausüben kann.

Doch ob die Versicherung tatsächlich zahlt, können weder Kunden noch Vermittler vorab einschätzen, so das Ergebnis einer Studie des Informationsdienstleisters Premium Circle Deutschland. Wie häufig Versicherte einen Schadensfall anerkannt bekommen, schwankt der Studie zufolge extrem: Einige Versicherungen lehnten jeden siebten Antrag ab, andere jeden zweiten – enorme Unterschiede, trotz gleicher rechtlicher Bedingungen. Auslöser seien mehrere Hundert schwammige Begriffe in den Verträgen und intransparentes Leistungsverhalten einzelner Institute. Die Bürger seien "faktisch orientierungslos", sagt Premium-Circle-Geschäftsführer Claus-Dieter Gorr zu diesen Recherchen der Plattform Correctiv. Die Vermittler solcher Versicherungen würden im Prinzip Interpretationen verkaufen, von denen sie nicht wissen könnten, ob sie im Leistungsfall zutreffen.

Branche kritisiert Studie

Für die Studie wurden 62 Versicherungen befragt. 15 Konzerne lieferten Daten für 2014, darunter HDI, Targo und Signal Iduna. Unternehmen wie die Allianz, Ergo und die HUK lehnten es dagegen ab, sich an der Studie zu beteiligen. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft veröffentlicht selbst nur Mittelwerte all seiner Mitgliedsunternehmen. Die Unterschiede zwischen einzelnen Versicherern bezeichnet Pressesprecher Christian Ponzel als "nicht aussagekräftig".

Ein Grund für die großen Unterschiede ist Gorr zufolge, dass die Versicherer zu große Spielräume in ihren Verträgen hätten. 321 unbestimmte Begriffe finden sich laut der Analyse in den Bedingungen der Anbieter. Versicherungen müssen beurteilen, ob ein Schaden es dem Kunden tatsächlich unmöglich macht, seinen Beruf weiterhin auszuüben und ob eine Krankheit nicht schon seit der Kindheit vorliegt. Oder sie verpflichten den Kunden dazu, bei Leistungsbezug quasi jede Verbesserung seiner Gesundheit mitzuteilen. Das könne theoretisch auch schon der Fall sein, wenn der Versicherte nur noch zwei statt drei Tabletten einnehmen muss, sagt Gorr. Damit hätten die Versicherungen genug Spielraum, diese Verträge zu ihren Gunsten auszulegen und eine Rente im Zweifel abzulehnen. "Bei Vertragsabschluss lässt sich nicht erkennen, was eine Versicherung abdeckt," sagt Gorr.

Verträge müssen lange halten

"Diese Argumentation ist abwegig", sagt Peter Schwark, der beim Gesamtverband der Versicherungswirtschaft für die Altersvorsorge zuständig ist. Die Versicherer müssten solche "unbestimmten" Begriffe verwenden, weil Berufsunfähigkeitsversicherungen auch in 30 Jahren noch Bestand haben müssen. Unterstützung bekommt Gorr von Anwalt Joachim Laux, dessen Berliner Kanzlei sich darauf spezialisiert hat, Verbraucher bei Klagen gegen Versicherer zu unterstützen. Er schätzt die Leistungen der Institute als noch viel schlechter ein. Die Bearbeitungsdauer der Verfahren sei sehr viel länger als in Gorrs Studie – und auch die Ablehnungsquote "dürfte bei allen Versichern deutlich über 50 Prozent liegen".

Das Versicherungsvertragsgesetz müsse überarbeitet werden, "einerseits um die rechtlich unklaren Begriffe zu schärfen, andererseits um die Transparenz zu erhöhen", fasst Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermannn, Rentenexpertin der Partei Die Linke, zusammen. (Justus von Daniels, Daniel Drepper, 18.4.2017)