"Canaletto-Blick": So wirkt der Heumarkt-Turm vom Belvedere aus gesehen.

Foto: Isay Weinfeld architects

In einem bemerkenswerten Interview der STANDARD-Serie "Anders gefragt" beantwortet der Bauunternehmer Michael Tojner die Frage von Renate Graber nach dem Wesen der Schönheit so: "Da diskutieren wir über die Grundfesten der Architektur. Ob jemandem ein Gebäude, ein Areal gefällt, ist eine subjektive Frage der Wahrnehmung – und die Schönheit unseres Projekts wird man erst sehen, wenn es da steht."

Das Projekt ist der Umbau des Komplexes Heumarkt in Wien mit einem neuen Hotel Intercontinental, einem neu gestalteten Areal des Wiener Eislaufvereins und – als Kernfrage – einem neu zu errichtenden Wohnturm mit Luxuswohnungen.

Subjektive Wahrnehmung des Autors dieser Kolumne: Der Turm ist nicht schön.

Er hat die Form einer aufgestellten Schuhschachtel mit einer Art Gitterraster. Und: Er knallt in das gewohnte Bild des historischen Wiener Zentrums. Und zwar auch in der abgespeckten Version, die vom Architektenteam Isay Weinfeld entworfen und als "Rendering" zur Verfügung gestellt wurde. Besonders auffällig ragt der Wohnturm beim sogenannten "Canaletto-Blick" vom Oberen Belvedere auf die Wiener Innenstadt. Schon das jetzige "Intercont" ist massiv. Der Turm ist ein Hammer.

Richtig ist, dass man Projekte dieser Art erst nach der Fertigstellung wirklich beurteilen kann. Richtig ist, dass der nahe Wien-Mitte-Komplex höher und wesentlich hässlicher ist. Richtig ist, dass man auch am Rand des historischen Wiener Stadtkerns neu bauen können muss – auch Luxusprojekte. Das gehört zu einer Weltstadt. Aber der Heumarkt könnte das eine umstrittene Bauprojekt zu viel sein.

Zuständig ist Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne). Ihr Argument: Mit dem Projekt könnte der traditionsreiche Wiener Eislaufverein gerettet und die eher abgesandelte Barackenverbauung rund um die Eislauffläche saniert werden. Der Wohnturm wäre demnach der Preis, der dafür zu bezahlen ist.

Allerdings haben die Wiener Innenstadt-Grünen das Projekt bekämpft und veranstalten eine statutengemäße Abstimmung darüber. Rund tausend Personen werden nun über ein städtebauliches Projekt erster Ordnung und möglicherweise auch längerfristig über die weitere Karriere von Vassilakou beziehungsweise über die rot-grüne Koalition in Wien entscheiden.

Die Wiener Grünen werden von einer Koalition aus rechten Sozialdemokraten, FPÖ, ÖVP und der Kronen Zeitung längst angefeindet. Wenn Vassilakou das Projekt abblasen muss (mit ungeklärten Ersatzforderungen des Bauherrn), ist ihre Position stark geschwächt und diejenigen in der SPÖ, die eine rot-blaue Koalition statt der rot-grünen wollen, bekommen Oberwasser.

Es ist eine höchst unangenehme Situation, in die sich die Führung der Wiener Grünen da hineinmanövriert hat. Es ist auch kaum ein Herauskommen, denn es ist nicht anzunehmen, dass eine verträglichere Version des Turms noch möglich ist. Weder für den Unternehmer Tojner noch überhaupt. Oder? (Hans Rauscher, 11.4.2017)