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Was ist wissenschaftliche Exzellenz? Auffällig oft wird auf ein Bonmot zurückgegriffen: "Ich erkenne sie, wenn ich sie sehe."

Foto: Michael Gottschalk/dapd

Kaum eine Idee ist in der akademischen Wissenschaft heute so virulent wie jene der "Exzellenz". Exzellent soll Forschung sein, und auch Lehre. Die Träger der Exzellenz sind demnach die individuellen Wissenschafterinnen und Wissenschafter. Ihre Exzellenz wird gefördert – die Verteilung von Mitteln für die so genannte "Grundlagenforschung" wird etwa nach dem Exzellenzkriterium beurteilt, um sicherzustellen, dass Projekte finanziert werden, die neue wissenschaftliche Erkenntnisse versprechen. Universitäten oder einzelne Departments wollen auch exzellent sein, denn das zeigt an, dass hier originelle Forschung stattfindet und viel zitierte akademische Publikationen produziert werden.

"Ich erkenne sie, wenn ich sie sehe"

Soweit die Verwendung und die dahinterliegenden (impliziten) Annahmen. Und was ist wissenschaftliche Exzellenz? Auffällig oft wird auf ein Bonmot zurückgegriffen: "Ich erkenne sie, wenn ich sie sehe". Nehmen wir die Aussage ernst. Sie vermittelt zwei Botschaften: Erstens, es gibt keine universale oder auch nur ungefähr gültige Definition von Exzellenz. Und das kann auch nicht anders sein bei einem substantivierten Attribut, das sich auf eine jeweils unterschiedliche Mischung aus Leistung, Talent und Training bezieht und über so unterschiedliche Felder wie Atomphysik und Archäologie, Zoologie und Zeitgeschichte gelegt werden soll.

Die zweite, beruhigende Botschaft ist die Selbstgewissheit darüber, dass der Sprecher oder die Sprecherin des Bonmots schon in der Lage sei, das scheue Reh zu erkennen (und, natürlich, auch zu benennen). Das Verdikt darüber, was in der Wissenschaft exzellent ist, kann nur von Personen identifiziert werden, die selbst wissen, was darunter verstanden werden könnte – mithin von Wissenschaftern selbst. So betrachtet, ist Exzellenz also zunächst einmal eine Behauptung, die offenbar zur Absicherung der Autonomie der akademischen Wissenschaft dient.

Wie die Exzellenz-Manie begann

Jedoch: Autonomie war schon vor hundert Jahren ein Sorgenkind des akademischen Wissenschaftsbetriebs. Begonnen hat die Exzellenz-Manie aber erst vor rund zwei Jahrzehnten. Unterm Stichwort "Innovation" wurde damals eine neue politische Ambition salonfähig, nämlich durch steigende Zuwendungen öffentlicher Mittel in so genannte "Forschung und Entwicklung" (abgekürzt: F&E) nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum zu generieren.

In diesem Kontext ist Exzellenz zum Versprechen an die Politik geworden: Wenn sie mehr Geld in die akademische Wissenschaft steckt, ermöglicht das exzellente akademische Forschung, die wiederum die Grundlage für neue Technologien und ihre ökonomische Nutzbarmachung schaffen soll; und ermöglicht auch exzellente Lehre, die wiederum das so genannte "Humankapital" eines Landes steigern soll.

Das Problem mit der Messbarkeit

Nun ist aber ein so fluides Ding wie Exzellenz nicht wirklich messbar. Wie also ein Versprechen einlösen für etwas, das nur Behauptung ist? Da müssen Indizienbeweise her. Die beliebtesten (aber bei weitem nicht die einzigen) sind Publikationen und eingeworbene Drittmittel, wobei es in beiden Fällen Rangordnungen gibt: Publikationen werden etwa gewichtet nach Zitationshäufigkeit oder nach dem so genannten Impact Factor des Journals, in dem sie erscheinen; Drittmittel zur Förderung von Grundlagenforschung sind mehr wert als ein Auftragsprojekt des Ministeriums, und so weiter.

Auf individueller Ebene werden solche Angaben dann in öffentlich zugänglichen Lebensläufen zusammengefasst, manchen reicht auch eine einzige Zahl (gern verwendet wird der so genannte Hirsch-Faktor). Für Gruppen, Institutionen, Städte, Länder und ganze Kontinente können diese Indizien dann nahezu beliebig aggregiert werden: beispielsweise in Universitätsrankings, Länderstatistiken, oder in so abstrakte Vergleiche, welche Region der Welt den höchsten Anteil an den Top ein Prozent der meistzitierten Artikel hält.

Um das Versprechen plausibel zu machen, wird es oftmals als notwendig angesehen, den akademischen Wissenschaftsbetrieb umfassend zu reformieren. Dann bleibt Exzellenz nicht nur ein Versprechen nach außen, sondern wird ein mächtiges rhetorisches Instrument zur Rechtfertigung des massiven Umbaus der Universitäten. Wobei die Versuchung dort besonders dort groß ist, wo dieser Betrieb traditionell nepotistisch oder provinzialisiert ist; ein Beispiel unter vielen wäre etwa die österreichische Universitätslandschaft vor dreißig Jahren. Auf den ersten Blick scheinen die Anstrengungen gefruchtet zu haben, die Unis heute haben sich deutlich professionalisiert.

Wachsende Skepsis

Allerdings: ein Wissenschaftsbetrieb, der nach Indizienbeweisen und ihren Aggregationen ausgerichtet ist, schafft Anreize, die dem Ideal guter Wissenschaft entgegenstehen. Wer für die Zahl an hochrangigen Publikationen belohnt wird, spaltet seine Forschungsergebnisse in kleinstmögliche, redundante Beiträge auf. Wer für kompetitive Drittmittel belohnt wird, verbringt mehr Zeit fürs Schreiben von Anträgen als für Forschung und Lehre. Wer ständig unter Leistungsdruck gesetzt ist, nimmt unzulässige Abkürzungen und macht Fehler, unabsichtlich oder – noch schlimmer – sogar absichtlich.

Die Universitäten, früher oft Orte der Intransparenz und Langmut, sind heute von Publikationsdruck und kurzfristigen Entscheidungen geprägt. Akademische Wissenschafter und Wissenschafterinnen, für die Exzellenz eine gute Weile zentraler Aspekt ihrer Selbstidentifikation war, scheinen zunehmend skeptisch. Dabei ist der politische Hype um die Exzellenz eigentlich schon wieder vorbei. Aber dazu in einem anderen Eintrag mehr. (Thomas König, 12. 4. 2017)