Johannes Ewald Kreissl ist die umstrittene Führungsfigur der österreichischen "Freeman"-Bewegung. Der "Joe" hat irgendwann einmal beschlossen loszulassen. Oder besser: Er hat sich auf radikale Weise aus dem "System Österreich" verabschiedet. Aus Captain Joe Morgan, Frontman der Reggaeband Buccaneers, ist der "Freeman" geworden. Exakt am 14. März 2012. Per eingeschriebenen Brief an das Bundeskanzleramt: "Die Person Johannes Ewald Kreissl existiert nur als Urkunde. Sie existiert innerhalb Ihres Systems ausschließlich dann, wenn ich, als lebendiges natürliches Wesen, sie mit meinem natürlichen Leben ausstatte. Ich habe das bisher nicht gewusst und nehme hiermit von diesem eindeutig einseitigen und somit ohnedies ungültigen Vertrag Abstand."

Konkursverfahren

Seit Jahren beißen sich vor allem die Finanzbehörden die Zähne aus. Der selbsternannte Guru, der pikanterweise in einem Schloss im Hausruckviertel lebt, weigert sich, Steuern zu zahlen. Entsprechende Bescheide schickt der 47-Jährige bevorzugt ungeöffnet an die Nuntiatur. Denn letztlich stellt der Herrscher von "Erlösterreich" sich und seinen Jüngern gern die eine entscheidende Frage: "Wie fest muss die letzte Fotzen des Systems sein, damit die Menschen aufwachen?" Und doch könnte es demnächst im Ringen mit Justitia eng werden für den "Freeman Austria". Ende Februar wurde über das Vermögen von Kreissl ein Konkursverfahren eröffnet. Knapp 360.000 Euro soll es an offenen Forderungen – Finanz, Banken – geben. Kreissl selbst gibt sich zumindest nach außen gewohnt gelassen. Und hat umgehend gegenüber der Republik Forderungen in der Höhe von 225 Millionen Euro geltend gemacht.

Die Präsidentschaftskanzlei auf dem Wiener Ballhausplatz ist für Staatsverweigerer nur eine Konzernzentrale der Firma Österreich, mit der sie nichts zu tun haben wollen.
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Der "Freeman" und seine Getreuen aus der "Wunderwelt Walchen" sind aber kein Einzelfall: Gruppierungen, die sich vom Staat abspalten und ihn bekämpfen wollen, nehmen zu. Anders als anarchistische Bewegungen, die sich immerhin auf linke Ideologien berufen, kämen diese Bewegungen meist ohne klares Theoriegebäude aus, sagt Sekten- und Rechtsextremismusexperte Roman Schweidlenka: Es dominieren diffuse, oft rassistisch gefärbte Verschwörungstheorien. Besonders beliebt ist die Mär, dass hinter den Flüchtlingsbewegungen nicht reale kriegerische Konflikte, sondern die USA steckten, die Europa "brauner" machen wollten, indem sie Flüchtlinge hierher "schleusen" würden.

Fest steht: Die Szene wächst. Das Innenministerium sprach im vergangenen Oktober noch von rund 700, jetzt schon von 1.200 Anhängern und rund 20.000 Sympathisanten. In Österreich ist die Szene diverser als in Deutschland.

50 Ermittlungsverfahren

Querulanten hat es zwar immer gegeben. Die neuen Staatsverweigerer heben sich dadurch ab, dass sie Behördenvertretern nicht nur auf die Nerven gehen, sondern diese förmlich terrorisieren – mit Massen-E-Mails, Drohanrufen, Gewaltandrohungen. Immer wieder decken sie Beamte zudem mit Schuldenforderungen ein, die sie über Inkassobüros aus Malta einzutreiben versuchen (siehe Wissen unten).

Zudem gehen sie nicht gegen einzelne Bescheide vor, sondern erklären Behörden und Gerichte für irrelevant: Die Betroffenen leben nicht mehr in der Republik Österreich, sondern in ihrem eigenen Gefüge, sie gehorchen eigenen Gesetzen und setzen diese notfalls auch mit Gewalt durch. Dass einzelne Anhänger dabei zu Waffengewalt griffen wie in Deutschland (siehe Artikel unten), kam in Österreich zwar noch nicht vor, es ist aber denkbar: Auch hierzulande wurden bei Hausdurchsuchungen Waffen gefunden. Schweidlenka warnt davor, die Bewegung zu verniedlichen: Das Aggressionspotenzial, das sich derzeit auf Drohbriefe beschränke, könne im Fall verstärkter sozialer Spannungen leicht in ein offenes Ausleben von Gewalt kippen.

Prozess in Krems

Derzeit sind an Österreichs Staatsanwaltschaften rund 50 Ermittlungsverfahren anhängig. Die Zahl der Beschuldigten ist aber viel höher, weil ein Verfahren mehrere Personen betreffen kann – so ist in Graz derzeit ein Ermittlungsverfahren gegen mehr als 90 Personen anhängig. Bei einem Prozess in Krems gibt es acht Angeklagte. Weil fünf von ihnen nicht vor Gericht erschienen sind, wurden sie vergangene Woche festgenommen. Wegen Fluchtgefahr wurde Untersuchungshaft verhängt. Am Mittwoch wird der Prozess fortgesetzt.

Künftig soll es – der STANDARD berichtete – diesbezüglich den neuen Tatbestand "Staatsfeindliche Bewegungen" (§ 246 a Strafgesetzbuch) geben. Die Begutachtungsfrist für das bereits ausgearbeitete Gesetz endete bereits, wann es in Kraft tritt, ist aber derzeit noch offen. (Maria Sterkl, Markus Rohrhofer, 11.4.2017)

Ein echter "Reichsbürger" hat natürlich auch einen eigenen Reisepass.
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In Deutschland wird eine "terroristische Zelle" beobachtet

Rund 10.000 "Reichsbürger" leben in der Bundesrepublik – Viele von ihnen werden der rechten Szene zugerechnet und immer gewaltbereiter

Spinner. Nicht ganz dicht, aber harmlos. Haben ein eigenes Reich, basteln sich eigene Reisepässe und schreiben skurrile Gesetze nieder. Derart hat man in Deutschland die sogenannten Reichsbürger lange Zeit eingestuft. Viele Menschen wussten allerdings überhaupt nichts von der Existenz dieser Personen.

Das änderte sich im Oktober 2016. Damals rückte ein Spezialeinsatzkommando (SEK) im bayerischen Georgensgmünd bei einem "Reichsbürger" an, um dessen 31 Lang- und Kurzwaffen zu beschlagnahmen. Die Behörden hatten den 49-jährigen Jäger zuvor als nicht mehr zuverlässig eingestuft und seinen Jagdschein sowie seine Waffenbesitzkarte als ungültig erklärt.

Mordanklage

Der Mann schoss auf die Einsatzkräfte, ein Polizist starb, einer wurde schwer, weitere zwei leicht verletzt. Vergangene Woche wurde er wegen Mordes angeklagt. Seit diesem Vorfall sind die "Reichsbürger" deutlich stärker im Fokus der Behörden und der Öffentlichkeit. "Wir rechnen derzeit rund 10.000 Personen der Reichsbürger-Szene zu", sagt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) Hans-Georg Maaßen. 500 bis 600 Personen davon stammten aus der rechtsextremen Szene. Die Bewegung übe eine "hohe Anziehungskraft aus und gewinnt weiterhin neue Anhänger".

Diese glauben meist an den Fortbestand des Deutschen Reichs in den Grenzen von 1937. Die Existenz der Bundesrepublik bestreiten sie, folglich meinen "Reichsbürger", deutsche Gesetze würden für sie nicht gelten. Viele weigern sich auch, Steuern, Sozialabgaben und Bußgelder zu bezahlen.

Behörden klagen, dass "Reichsbürger" immer rabiater werden, wenn etwa Gerichtsvollzieher kommen oder Waffen beschlagnahmt werden. Generalbundesanwalt Peter Frank warnt sogar vor einer "Terrorgruppe" in der Bewegung: "Es entwickeln sich Strömungen, die über ein reines Ablehnen des Staates hinausgehen und die versuchen, gegen den Staat oder gegen staatliche Organe gewaltsam vorzugehen. Wir haben eine Gruppe im Blick, von der wir glauben, dass sich eine terroristische Zelle herausgebildet haben könnte."

Grundsätzlich aber ist die Bewegung – auch wenn sie sich zunehmend vernetzt – inhomogen. "Nicht alle berufen sich auf das Deutsche Reich. Vielfach haben wir es mit Personen zu tun, die ihren eigenen Staat oder ihre eigene Gemeinde gründen wollen", sagt Verfassungsschutzchef Maaßen. (Birgit Baumann aus Berlin, 11.4.2017)