Genauere Gründe dafür, warum psychische Erkrankungen vor allem bei den Invaliditätspensionen, die von Frauen beantragt werden, der Grund sind, werden von der Arbeiterkammer nicht genannt. In Studien zu geschlechtsspezifischen Aspekten von Burnout ist allerdings häufig die Mehrfachbelastung, der viele Frauen ausgesetzt sind, angeführt.

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Psychische Erkrankungen nehmen in Österreich seit Jahren zu und sind auch eine der Hauptursachen für vorzeitige Pensionierungen. Anlässlich des WHO-Weltgesundheitstages forderte der Präsident der Niederösterreichen Arbeiterkammer (AK) und Vorsitzender des dortigen Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB), Markus Wieser, Verbesserungen für Betroffene: "Es braucht vor allem verpflichtende betriebliche Gesundheitsförderung", sagt er.

Frauen besonders betroffen

Kümmern sich heimische Betriebe bislang zu wenig? Laut dem Österreichischem Netzwerk Betriebliche Gesundheitsförderung, in dem Krankenkassen, Sozialversicherungen, Sozialpartner und der Fonds Gesundes Österreich sitzen, hat wohl die Hälfte der heimischen Unternehmen so etwas wie eine betriebliche Gesundheitsförderung, meist allerdings Einzelmaßnahmen. Nur sechs Prozent der Betriebe hätten eine Kultur, in der Gesundheitsförderung ein selbstverständlich etablierter Teil ist.

Handlungsbedarf ist gegeben: Die AK rechnet vor, dass in Österreich bereits mehr als ein Drittel aller vorzeitigen Pensionen wegen Berufsunfähigkeit auf psychische Krankheiten zurückzuführen seien. Besonders drastisch sei die Lage bei Frauen. Hier werde sogar jede zweite Zuerkennung einer Invaliditätspension mit einer psychischen Erkrankung begründet, heißt es. Genauere Gründe hierfür werden nicht genannt, in Studien zu geschlechtsspezifischen Aspekten von Burnout ist allerdings häufig die Mehrfachbelastung, der viele Frauen ausgesetzt sind, angeführt.

Was Pflicht ist

Die Folgen sind oft schwerwiegend – zumeist sind es lange Krankenstände, die sich in der Folge auch auf das Umfeld der Betroffenen auswirken – und natürlich auf das Betriebsergebnis. Denn anders als bei physischen Erkrankungen ist die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit meist komplexer. Die AK fordert, dass sich Führungskräfte für den Umgang mit Betroffenen besser weiterbilden sollten. In die gleiche Kerbe schlagen freilich seit Jahren behandelnde Ärzte, nationale und internationale Vereine und Organisationen und Gesundheitsexperten, die sich mit Burnout und Depressionen auseinandersetzen. "Im Zusammenwirken mit Fachgewerkschaften, Betriebsräten, Arbeitsmedizinern und Arbeitspsychologen gibt es wirkungsvolle Ansätze, der Gefahr von psychischen Erkrankungen bereits im Ansatz entgegenzuwirken. Damit das flächendeckend passiert, muss die Betriebliche Gesundheitsförderung endlich per Gesetz verpflichtend eingeführt werden", sagt Wieser.

Vorgeschrieben ist seit 2013, die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz zu evaluieren. Betriebe sollen hier dazu motiviert werden, die Unternehmenskultur von ergonomischen Verbesserungen bis zu einem insgesamt humaneren Umgang miteinander zu bringen. Laut Arbeitsinspektorat wird auch evaluiert. Allerdings: Maßnahmen werden in dieser Novelle keine festgelegt.

Psychische Erkrankungen weiterhin tabu

Seitens der AK nimmt man jedenfalls ein Kratzen am Tabu-Status von psychischen Erkrankungen wahr. Steigender Druck in der Arbeitswelt sowie einschlägige Initiativen werden als Gründe genannt. Glaubt man aber einer Umfrage des Karriereportals "karriere.at" gemeinsam mit dem Online-Berater Instahelp, dann hat sich wenig verbessert: Dort geben nämlich Arbeitnehmer und ihre Chefs an, dass Krankenstand wegen Knochenbruchs, Fieber oder Magen-Darm-Beschwerden okay ist. Familiäre Troubles, Niedergeschlagenheit oder Schlafstörungen dagegen werden von den allerwenigsten als Gründe fürs Nicht-arbeiten-Können akzeptiert. Fast die Hälfte sagt außerdem, dass psychische Probleme in ihrer Firma tabu sind, also mit Scham, Stigma und "selbst schuld" besetzt sind. Auch Wieser sagt, dass nach wie vor viele Betroffene schweigen würden, "aus Angst, wegen psychischer Probleme sowohl beruflich als auch gesellschaftlich an den Rand gedrängt zu werden".

Dieser Wert nimmt ab, je mehr strukturierte Gesundheitsprogramme in Unternehmen etabliert sind, je selbstverständlicher anonyme Beratung oder Coaching ist und je offener die Vorgesetzten über psychische Belastungen und Probleme reden. Wieser sieht auch das Wiedereingliederungsteilzeitgesetz – das Menschen, die in Beschäftigung stehen und ernsthaft für längere Zeit physisch oder psychisch erkrankt sind, die schrittweise Rückkehr ermöglicht – als Schritt in die richtige Richtung. Weitere Maßnahmen müssten allerdings folgen, vor allem jene, die eigentlich versprochen wurden: "Verbesserungen im Bereich der Psychotherapie und psychologischen Therapie sowie bei der Rehabilitation sind Teil des aktuellen Programms der Bundesregierung und müssen umgesetzt werden."

Nicht nur "die Alten"

Dass die AK in ihrer Aussendung vor allem auf die Invaliditätspensionen eingeht, heißt natürlich nicht, dass psychische Erkrankungen nur bei älteren Arbeitnehmern eine Rolle spielen. Nicht-mehr-Können betrifft nicht nur die gut mit Klischees zugepflasterten "Älteren" – Burnout-Krankenstände rund um die 30 nehmen laut aktuellen Zahlen ebenfalls zu. (lhag, 10.4.2017)