Harald Walser: "Jetzt ist die schlechteste Zeit für kleinkarierte parteipolitische Flügel- und sonstige Machtkämpfe. Das Ziel ist ein gemeinsames, den Weg dorthin müssen wir noch finden."

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Klar positionierte Grüne gewinnen in Zeiten wie diesen. Das niederländische Wahlergebnis hat das gezeigt. Jesse Klaver und seine GroenLinks-Partei haben abgeräumt und fast viermal mehr Mandate erreicht als bei den letzten Wahlen 2012. Ihre Positionierung war ebenso wie ihre Kommunikation eindeutig: für Europa, für soziale Gerechtigkeit, für eine radikale ökologische Wende.

Wirklich ein Problem?

Und wir in Österreich? Gibt es derzeit wirklich nur ein Problem bei den Grünen? Jung gegen Alt? Sosehr ich eine aufbegehrende Jugend befürworte, eine Profilierung durch Attacken auf die Parteichefin ist der einfachste Weg, in die Medien zu kommen. Etwas mehr inhaltliche Kritik würde (nicht nur) ich begrüßen. Davon lese und höre ich derzeit zu wenig.

Warum hat Jesse Klaver in den Niederlanden so abgeräumt? Der Europaabgeordnete Sven Giegold hat in der taz eine Erklärung dafür: "Im Mittelpunkt seiner Kampagne stand ein zentraler Wert: Mitgefühl."

Man könnte es also im katholischen (?) Österreich auch damit versuchen, was in den protestantischen Niederlanden von Erfolg gekrönt war: linke Politik ohne das klassenkämpferische Vokabular aus längst vergangenen Zeiten.

Fluchtsommer 2015

Wie ist es zu erklären, wenn sich im und nach dem "Fluchtsommer 2015" spontan Zehntausende bereiterklärt haben zu helfen? Mitgefühl! Wie ist generell die in Österreich sehr große Spendenbereitschaft bei Katastrophen zu erklären? Mitgefühl! Der Begriff spaltet nicht und weckt positive Emotionen.

Und die brauchen wir in einem Land, in dem Bildung größtenteils vererbt wird und das in Sachen Bildungsgerechtigkeit von der OECD zuletzt ein "Nicht genügend" bekommen hat. In einem Land, in dem das oberste Prozent der Reichsten genauso viel Anteil am gesamten Nettovermögen hat wie die "unteren" 80 Prozent der Bevölkerung.

Arm und Reich

Laut einer Studie der Europäischen Zentralbank ist das im Vergleich zu allen anderen untersuchten EU-Ländern der "Spitzenwert". Oder anders ausgedrückt: Die Schere zwischen Reich und Arm ist so weit offen wie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr. Aber dennoch: Es ist kein Ende dieser Entwicklung in Sicht. Zum fünften Mal in Folge sind 2016 genau jene Güter deutlich teurer geworden, für die ärmere Menschen mehr Geld ausgeben müssen.

Unsere Gesellschaft driftet auseinander. Viele wissen nicht mehr, wie sie ihren Lebensstandard halten können. Das wären die Themen, die aufzugreifen sind. Den niederländischen Freunden und Freundinnen ist das gelungen. Wir Grüne in Österreich sind auch nach deren großem Erfolg noch immer erfolgreicher als sie. Darauf lässt sich bauen. Im Gegensatz zu ihnen schwimmen wir derzeit aber nicht unbedingt auf der Erfolgswelle.

Wir sollten uns daher schleunigst daran orientieren, wie es gelingen kann, grüne Politik als Zukunftsmodell besser und nachvollziehbarer zu vermitteln. Die Partei öffnen? Ja, aber auch nicht beliebig bis zur Unkenntlichkeit, weil nur mehr austauschbare Türschilder an die Öffentlichkeit gespült werden.

Sozialstaat auf dem Spiel

Im Kampf um politische Positionen steht jetzt nicht weniger auf dem Spiel als der Sozialstaat, als die demokratischen Grundwerte, als die Menschenrechte und als der Zusammenhalt der Gesellschaft im Generellen.

Die Positionierung der Grünen war hier immer eine kompromisslos eindeutige. Wir benötigen nur den Mut für klare Botschaften und die Fähigkeit, diese auch glaubwürdig zu transportieren: für Umverteilung, für mehr Chancen für Kinder aus bildungsfernen Schichten, für günstigere Wohnungen, für ein gerechteres Steuersystem und ganz klar für Solidarität, die nicht am eigenen Gartenzaun haltmacht. Wir brauchen eine europäisch orientierte Vision einer offenen, liberalen Gesellschaft. Wir brauchen Zuversicht.

Kleinkarierte Kämpfe

Jetzt ist die schlechteste Zeit für kleinkarierte parteipolitische Flügel- und sonstige Machtkämpfe. Das Ziel ist ein gemeinsames, den Weg dorthin müssen wir noch finden. (Harald Walser, 7.4.2017)