"Es ist immer ein Zufall, der uns rettet", meint Kurt Palm.

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Kurt Palm, "Strandbadrevolution". € 20,60 / 256 Seiten. Deuticke- Verlag, Wien 2017

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Andere mögen Blumen kaufen. Kurt Palm entschuldigt sich mit selbstgefangenen Forellen bei seinen Betreuerinnen vom Verlag. Im Gefühl, sie hätten bei der Veröffentlichung seines neuen Romans nicht genug getan, um jenen zu promoten, habe er sich "nicht nur beschwert, sondern fürchterlich aufgeregt. Sie haben gesagt, das Glas ist halbleer und wird immer voller, und ich habe gesagt, nein, es ist halbleer und wird immer leerer."

Nicht nur, was er erzählt, sagt etwas über Palm aus. Auch wie und dass er es überhaupt erzählt, tut das. Hochsympathisch zum einen, legt Palm sich andererseits ebenso gern an.

"Nein. Ich würde mich nicht als eitel bezeichnen. Aber ich verstecke nicht, was ich mache. Es muss nicht gewürdigt werden, aber ich will, dass es wahrgenommen wird", erklärt Palm die obige Szene. Dazu kommt, dass er sich "immer sofort persönlich angegriffen" fühle. "Wenn beim Billa jeden Tag 100 Packerl von irgendwas gestohlen werden, ist der Verkäuferin das vollkommen wurscht. Würde ich dort an der Kassa sitzen, würde ich das wahrscheinlich persönlich nehmen."

"Verunsicherung und Angst"

Wie dem auch sei, die Damen bei Deuticke hatten recht. Seit ein paar Wochen ist Strandbadrevolution am Markt und "wirklich sehr, sehr erfolgreich". Darin erzählt der Autor, Theatermacher und Filmregisseur vom Sommer 1972 in der österreichischen Provinz und ist überzeugt, dass dieser "nicht von der Bedeutung der Musik und den politischen Verhältnissen, aber von der Lebenssituation her für einen 17-Jährigen nicht anders war als ein Sommer heute". 17 war er damals selbst. "Es ist in erster Linie Verunsicherung und Angst."

Lebendig werden jene auf 260 Seiten anhand einer Gruppe von Freunden zwischen Freibadflirt, politischen Störaktionen gegen das ländliche Establishment und einem Familienurlaub. Die Nachprüfungen sind ja erst im Herbst. Die Langhaarigen sind Konsumverweigerer, Theoriefutter wird folgerichtig heimlich und gratis unter dem Sakko des Vaters aus dem Geschäft getragen. "Willst du den Adorno haben? – Nein, ich muss noch den Sartre lesen."

Über den "bürger" können sich die Gitanes-Raucher und Brecht-Interpreten in selbstverfassten Traktaten nur wundern, ist er doch "leicht zu regieren", indem er "an stelle der macht die autorität" und "an stelle der verantwortung das abstimmungsverfahren" gesetzt habe. F*ck the police!

Scheitern inbegriffen

Mit Witz, aber niemals nach dem Kalauer schielend erzählt Palm. Das Scheitern sei der Grundton. Es ist die Zeit, da Kinder arbeitender Mütter als verwahrlost gelten. Exotik sind Mädchen aus Düsseldorf und Oberwart, und sie haben noch Schamhaare. Die durchwegs guten Kritiken für das Buch machen ihn fast stutzig. Ist man eine Ikone, wenn keiner mehr etwas dagegen schreibt? "Ich fürchte fast."

Bluna, Vietnamkrieg, Hochwasserhosen – alles drin. Manches ist autobiografisch. Etwa die kroatischen Wurzeln des Icherzählers, der eigentlich und natürlich Ernst heißt. Mick nennt er sich aber aus demselben Grund, aus dem einer seiner Freunde auf Hendrix hört. Seine Großmutter spricht gebrochenen Dialekt. "Soll i dir an Mogabitter bringa?"

1944 sind Palms Eltern vor dem Bürgerkrieg in Jugoslawien geflohen und nach Österreich gekommen – "staatenlos, arbeitslos, besitzlos, rechtlos. Als ich 1955 geboren wurde, hatten sie sich schon einigermaßen etabliert. Mein Vater war Arbeiter im Kraftwerk und nebenbei hat er Garagentore gemacht, meine Mutter war Hausfrau und Schneiderin, und ich weiß nicht, was noch alles. Aber sie waren Opfer der Verhältnisse. Sie hatten kein selbstbestimmtes Leben." Das wollte er auf keinen Fall, und so sei ihm früh klar gewesen, dass "ich nie in ein Abhängigkeitsverhältnis kommen will, wenn ich arbeite".

Von der Kirche zum Kommunismus

Schon als Ministrant in Vöcklabruck kannte Palm bei diesem Vorsatz kein Pardon. "Sehr getaugt" habe ihm diese "naive Ader" der Kirche, für die Armen da zu sein. Aber "dann habe ich mich mit den Pfarrern zerstritten." So wurde er Kommunist. "Nicht, weil ich Marx gelesen hätte, sondern weil ich mich umgehört habe, was die Leute am meisten hassen." Sogar in der DDR hat er nach seiner Dissertation in Salzburg kurz gelebt.

Wenn Palm erzählt, glaubt man immer wieder, man sei in einem seiner Bücher oder Filme. So bunt bis kurios klingt es zuweilen. Man stelle sich nun etwa ein Wirtshaus vor und hänge hinter einen der Tische ein Bild von Lenin an die Wand: "Das war in Vöcklabruck das kommunistische Parteisekretariat. Da ist ein Herr gesessen, immer allein. Es gab ja sonst niemanden. Aber er wurde bezahlt. Als wir gekommen sind, zehn Leute mit langen Haaren, ist er aus allen Wolken gefallen."

Nostalgische Gefühle also? Nein, die will der Autor nicht in Strandbadrevolution hineingelesen wissen. Zwar könne er niemandem sagen, wie er ein Buch zu lesen habe, aber "die Verklärung der Zeit ist ein Riesenfehler, denn in Wirklichkeit waren die Dinge doch ganz anders." Die riesigen Hungersnöte in Afrika etwa – damals habe man es bloß zeitverzögert in der Zeitung gelesen oder im Fernsehen gesehen. "Heute hat man es halt sekundenschnell mit einem Klick im Schädel. Dadurch ist die Wahrnehmung anders."

Nostalgie-No-Go

Trotzdem führt das Gespräch auch zu der Feststellung, dass viel einst möglich war, das heute nicht mehr ginge. besonders auch im Kulturbereich. "Durch meine Ausbildung an der Handeslakademie war ich sehr geschickt im Geldaufstellen", erinnert Palm sich an den Sparverein Die Unzertrennlichen, die Theatergruppe, die er ab 1989 zehn Jahre betrieben hat. Damals sei überall mehr Geld da gewesen. "Wir haben subventionsmäßig alles ausgeschöpft, was es gab. Dem Finanzamt die Liebhabereivermutung der Vereinstätigkeit zu widerlegen, das waren für mich Höhepunkte! Wir haben wildes Theater gemacht, aber ich habe den Verein streng kaufmännisch geführt!"

Und heute? "Heute kommt der Staat seiner Aufgabe nicht mehr nach. Eigentlich müssten die Kulturschaffenden aufstehen. Aber es ist schwierig. Jeder schaut, dass er noch die Felle rettet, die ihm gerade davonschwimmen."

Dass er sich vom Wiener Kulturapparat – "Seilschaften, Klüngel, Verhaberungen" – immer ferngehalten hat, darüber ist Palm heute noch froh: "Wenn du da reinkommst, bist du verloren, bist du einer von diesen Ärschen. Wenn ich ein Arsch bin, will ich aber allein einer sein. Ein einzelner, singulärer Arsch. Ich lebe zwar in Wien, habe aber mit der Stadt eigentlich nichts zu tun."

Funktion: Opposition

"Ich war immer aufseiten der qualifizierten Miniminiminderheit. Diese mit Theaterstücken, Filmen, Texten, Büchern zu versorgen, das ist meine Funktion", beschreibt er seine Oppositionshaltung. "Ich wollte aber auch irgendwie meine Eltern rächen."

Wie es ihm angesichts dessen mit der aktuellen Politik gehe? "Jede Aussage", sagt er mit Blick auf die üblichen Verdächtigen, "ist geprägt von einer tiefen Menschenverachtung. Da ist keine einzige positive Aussage. Ich weiß von meinen Eltern, dass sie eigentlich zurückwollten. Wenn meine Großeltern von 'daham' gesprochen haben, war es Kroatien. Ende '45 sind meine Eltern im Zug zurück nach Jugoslawien gesessen, wurden aber in Kärnten von den englischen Soldaten aufgehalten. Sie wollten nicht in Österreich bleiben, obwohl hier alles besser war. Diese Gedankengänge sind diesen Leuten so fremd, die sehen in ihrem primitiven Rassismus nur Fremde, die ihnen was wegnehmen wollen."

Zwar reicht schon allein der Grund, dass es ein Vergnügen ist, für ein Gespräch mit Palm. Oder der Umstand, dass er am Mittwoch 62 wird. Aber ebenso bietet es sich wegen solcher Gedanken an. Seit Jahren macht er "nur für mich selbst" auf Reisen zudem Fotos unter anderem von Bushaltestellen. "Bei uns ist Vorgabe, dass niemand dort liegen kann. Aber es gibt Länder, wo das anders ist."

Glück und Fanatismus

Ob er für alles Talent hatte, was er angefangen hat? "Ich hatte das Glück, dass ich mich für viele verschiedene Sachen interessiert habe. Es war komplette Selbstüberschätzung, aber ich bin auch mit totalem Fanatismus an die Sachen herangegangen. Ich wollte nie klein beigeben." Letztlich hat doch immer alles funktioniert? "Ich probiere die Dinge aus, viele funktionieren, viele funktionieren weniger. Es ist immer ein Zufall, der uns rettet. Ich bin selten auf die Schnauze gefallen. Aber Bad Fucking ist mir von weiß ich wie vielen Verlagen zurückgeworfen worden." Am Ende hat sich der Roman über 60.000 Mal verkauft, wurde 2013 von Harald Sicheritz verfilmt.

Er habe privat auch "schwerste Tragödien erlebt. Dinge, die man nicht aufarbeiten kann. Aufarbeiten kann man eine Buchhaltung, aber nicht sowas. Man kann nur versuchen, es in sein Leben zu integrieren in irgendeiner Form."

Doch die 1000. Folge von der Nette Leit Show zu drehen, nur weil sie gut ankommt? "G'scheiter, man macht Schluss und irgendetwas anderes." Das nächste Buch ist halbfertig. Es wird ganz anders. (Michael Wurmitzer, 8.4.2017)