Streiks verschiedenster Berufsgruppen gehören in Argentinien schon zum Alltag. Am Donnerstag könnte die Protestdimension im Rahmen eines Generalstreiks anwachsen.

AFP / Eitan Abramovic

Eineinhalb Jahre nach seinem Erdrutschsieg steht die Popularität des argentinischen Präsidenten Mauricio Macri auf dem Prüfstand. Der Generalstreik, zu dem die einflussreichen peronistischen Gewerkschaften CTA und CGT am Donnerstag aufgerufen haben, ist die erste messbare Machtprobe für den liberalen Unternehmer. Und dem 58-Jährigen schwant offensichtlich nichts Gutes: Die Gewerkschaften seien mafiös, erklärte er am Montag, um die Mobilisierung vorab zu diskreditieren. Sie hätten sich geschnitten, wenn sie glaubten, sie könnten der Zukunft Argentiniens Steine in den Weg legen.

Um schon einmal vorzulegen, hatten vorigen Samstag der Regierung nahestehende Gruppen zu Pro-Macri-Demonstrationen "für die Demokratie" aufgerufen. In Buenos Aires versammelten sich über 25.000 Menschen vor dem Präsidentenpalast; in der Provinz gab es weniger Zuspruch.

Der Marsch und der Generalstreik sind für beide Seiten ein Gradmesser im Vorfeld der im Oktober stattfindenden Teil-Parlamentswahlen. Macri würde gerne 2019 zur Wiederwahl antreten, seine Popularität liegt der Zeitung Clarin zufolge derzeit aber nur bei 40 Prozent. Verlöre er die Kontrolle des Kongresses, wäre seine Reformagenda lahmgelegt. Die Peronisten, geschwächt durch Korruptionsprozesse gegen ihre Ex-Präsidentin Cristina Kirchner (gegen sie wurde am Mittwoch ein weiteres Verfahren eröffnet) und interne Querelen, hoffen ihrerseits auf ein Comeback.

Teuerungswelle

Macri, von der Finanzwelt als liberaler Erlöser gefeiert, versucht seit seinem Amtsantritt der Wirtschaft mehr Dynamik einzuhauchen. Er kürzte radikal die staatlichen Subventionen, was zu drastischen Anstiegen um bis zu 500 Prozent der extrem billigen Strom-, Wasser- und Gaspreise führte – bei einer Inflation von 40 Prozent und gleichzeitig sinkenden Reallöhnen. Dann strich er die Steuern auf Bergbau- und Agroexporte, mit der seine Vorgängerin ihre Sozialprogramme finanziert hatte. Außerdem schaffte er die Wechselkurskontrollen ab, was den Peso steigen ließ, sodass das Preisniveau deutlich über dem der Nachbarländer liegt – ein Handicap beim Außenhandel.

Um die von Kirchner einst eingestellten Zahlungen an die Geierfonds – die Spekulanten der Finanzkrise von 2001 – wiederaufzunehmen, hat sich Macri auf den internationalen Finanzmärkten erneut verschuldet. Frisches Kapital fließt zwar nach Argentinien, aber Direktinvestitionen, die Arbeitsplätze schaffen, bisher kaum.

Wirtschaft kränkelt

"Die Regierung hat vieles unternommen, neue Infrastruktur und Straßen gebaut, aber sie macht wenig Werbung dafür", sagt der Investmentbanker Walter Molano. Trotz des liberalen Sparprogramms aus dem Lehrbuch kränkelt die Wirtschaft und schrumpfte voriges Jahr um 2,3 Prozent. Arbeitslosigkeit und informelle Beschäftigung (zusammen 50 Prozent) sowie Armut (30 Prozent) verharren auf einem für die viertgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas hohem Niveau.

Die Regierung der "patriotischen Millionäre", wie der Autor Marcos Aguinis sie getauft hat, hat Verlierer und Gewinner hervorgebracht. Die Agroexporteure gehören zu den 20 Prozent der Argentinier, die ihre Kaufkraft steigern konnten, die Industrie leidet. Ein weiteres Problem ist, dass sich das Land zunehmend in einen Umschlagplatz für Drogenschmuggel nach Europa verwandelt; die Gewaltkriminalität hat besonders in der Hauptstadt und entlang der Route – etwa in der Stadt Rosario – deutlich zugenommen. Exekutionen und Killerkommandos, wie sie früher nur aus Kolumbien und Mexiko bekannt waren, sind nun immer häufiger auch in Argentinien in den Schlagzeilen.

Macris Regierung macht für die Probleme seine Vorgängerin verantwortlich, ist überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein, und stellt mit dem Blick auf die hohen Sojapreise und die anziehende Konjunktur im Nachbarland Brasilien den baldigen Aufschwung in Aussicht. Es wäre dringend nötig: Seit über einem Monat legen fast täglich Streiks und Proteste Buenos Aires lahm, von Lehrern über Bankangestellte bis hin zu Justizbeamten.

"Armut ist furchtbar"

Wie wenig sich Macris Welt mit der der Demonstranten deckt, wurde unfreiwillig klar: Macri und seine Frau hatten kürzlich die bürgerliche Starmoderatorin Mirtha Legrand – eine bekennende Sympathisantin – zu einem live übertragenen Plauderstündchen mit Abendessen in ihre Residenz geladen. Er verstehe nicht, warum die Gewerkschaften zu einem Streik aufriefen, erklärte Macri. "Mauricio, die Armut ist furchtbar, und du hast null Armut versprochen", entgegnete die 90-jährige Diva einem sich sichtlich unbehaglich fühlenden Staatschef. "Ich glaube, ihr seht die Realität nicht", fügte sie hinzu. (Sandra Weiss aus Puebla, 6.4.2017)