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Im Alter zwischen 15 und 24 Jahren sondern sich die meisten Hikikomori von ihrem sozialen Umfeld ab.

Foto: REUTERS/Yuya Shino

Jeans, T-Shirt, kurzes Haar, Brille, vielleicht etwas dünn und unscheinbar. Man sieht es Yuto Sato nicht an, dass er fast drei Jahre lang ein Hikikomori war. Das japanische Wort bedeutet "sich einschließen" und bezeichnet sowohl den Rückzug aus der Gesellschaft als auch die Betroffenen selbst. Erst seit wenigen Monaten lebt Yuto wieder unter Menschen und erzählt von seinem Leiden.

"Wenn meine Eltern um Mitternacht ins Bett gingen, bin ich aus meinem Zimmer herausgekommen und habe mir in der Küche Essen gemacht", berichtet er im Café der Selbsthilfeorganisation "Hikikomori-Familien Japan" (KHJ). Tagsüber verbarrikadierte er sich in seinem Zimmer, surfte im Internet und schaute Nachrichten und Fußballspiele, erzählt der 31-Jährige.

Halbes Jahr Isolation

Yuto Sato ist einer von offiziell gezählten 541.000 Hikikomori. Das heißt: Sie haben ihr Zimmer bei den Eltern länger als sechs Monate nicht verlassen und mit niemandem gesprochen. Knapp zwei Drittel dieser Hikikomori sind männlich und sonderten sich im Alter zwischen 15 und 24 Jahren von ihrer Umgebung ab.

Bericht von ABC über die Hikikomori.
ABC News (Australia)

Yuko Sato fiel es nach dem Schulabschluss schwer, sich in die Arbeitswelt zu integrieren. Mehrmals wechselte er den Job, dann wurde er arbeitslos. Die Eltern drängten ihn zum Arbeiten. Aber er schaffte es nicht. "Ich wusste, dass ich aktiv werden musste, aber ich verlor mein Selbstvertrauen", erinnert er sich.

"Es gab keinen Treibstoff mehr für meinen Motor, keine Motivation zum Arbeiten", gesteht der Japaner. Dabei sei er immer trauriger geworden. Irgendwann wollte er seine Eltern nicht mehr sprechen und sehen. "Sie wurden der Deckel zu dem Kasten, in dem ich mich befand – und mein Zimmer zum Gefängnis."

Depression als Beginn

Die Ursachen für einen solchen Rückzug sind unterschiedlich. In einigen Fällen sind es Depressionen und psychische Probleme. In anderen Fällen handelt es sich um die Folge von sozialer Ausgrenzung. In Japan wird gruppenkonformes Verhalten gefordert. Doch nicht jedem Japaner gelingt die notwendige Anpassung.

Laut Umfrage aus dem Vorjahr ist die Zahl der Hikikomori in Japan gegenüber 2010 um 155.000 zurückgegangen. Doch dieser Erfolg verdeckt zwei Probleme. Erstens dauert der Rückzug bei über einem Drittel der Fälle schon länger als sieben Jahre. Das erschwert ihre Rückkehr in die Gesellschaft. Zweitens werden die Hikikomori immer älter. Das zeigt sich darin, dass die Zahl der Betroffenen zwischen 35 und 39 Jahren sich in fünf Jahren verdoppelt hat. Noch Ältere werden nicht mehr gezählt.

Dabei seien inzwischen zehntausende Hikikomori über 40 Jahre alt, berichtet Otochika Ichikawa von der Selbsthilfegruppe Rakunokai Lila. Das belastet die Angehörigen schwer. "Die Eltern von solchen alten Hikikomori sind oft schon Pensionisten und krank vor Sorge, wer sich um ihre Kinder kümmern wird, wenn sie tot sind", erzählt der 70-Jährige. Denn viele Hikikomori seien nicht in der Lage, sich alleine zu versorgen, weil sie mit Dritten nicht in Kontakt treten könnten.

Brief an die Eltern

So weit ist es bei Yuto Sato nicht gekommen. Er schrieb seinen Eltern nach vielen Monaten der Isolation Briefe und Mails, bis sie seine Forderung nach einer eigenen Wohnung erfüllten. Vor einigen Monaten zog er zu Hause aus und macht nun die Büroarbeit der Selbsthilfegruppe KHJ.

Sein Traum ist es, wieder in einer normalen Firma zu arbeiten. Eine konkrete Idee habe er noch nicht, gesteht er: "Wenn ich zu viel denke, bekomme ich Angst." Ihm fehle auch noch die Kraft für einen Arbeitstag von acht Stunden. Das zeigt: Der Weg aus der Isolation zurück in die Gesellschaft ist für einen Hikikomori beschwerlich. Aber Sato hat große Fortschritte gemacht. Gerade übt er, wie man sich in einem Vorstellungsgespräch richtig benimmt. (Martin Fritz aus Tokio, 6.4.2017)