Im Gegensatz zu anderen winterschlafenden Säugetierarten setzen Feldhamster alles daran, so viele Nachkommen wie möglich hervorzubringen. Doch das schlägt sich auf die Lebenserwartung der Tiere – es fehlt ihnen die Zeit, genügend Fettreserven anzulegen.

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Wien – Feldhamster zu erforschen ist durchaus herausfordernd: Jeweils die Hälfte des Jahres verbringen sie nämlich unterirdisch und entziehen sich damit nicht nur Kälte, Nahrungsmangel und Fressfeinden, sondern weitgehend auch dem Zugriff der Wissenschaft. Eva Millesi vom Department für Verhaltensbiologie der Universität Wien und ihren Mitarbeitern ist es trotzdem gelungen, Licht in die Frage zu bringen, was sie unter der Erde eigentlich machen: Winterschlaf ist nämlich nur ein Teil davon.

Die gängige Vorstellung, wonach sich Winterschläfer im Herbst in ihren Unterschlupf zurückziehen, monatelang tot sind für die Welt und dann im Frühjahr verschlafen wieder aus ihren Bauen kommen, ist unzutreffend. Zum Ersten durchlaufen alle Winterschlaf haltenden Tierarten zwischendurch kurze Wachphasen, zum Zweiten ist schon der Begriff "Winterschlaf" einigermaßen irreführend, weil es sich eigentlich nicht um Schlaf handelt: Während das Gehirn während des Schlafens sehr aktiv ist, zeigt das EEG beim Winterschlaf fast eine Nulllinie.

Der Körper kühlt dabei extrem ab – oft bis knapp über null Grad – und der ganze Stoffwechsel wird weitgehend heruntergefahren. Aus diesem Grund sprechen Biologen lieber von "Torpor", also von "Starre".

Auch wenn es für Pflanzenfresser in kalten Breiten vorteilhaft ist, für ein paar Monate nicht auf Nahrungssuche gehen zu müssen, ist der Torpor nicht ohne Nachteile. "Das fehlende Durchströmen der Hirnbahnen scheint sich negativ auf deren Funktionieren auszuwirken", sagt Millesi. "Physiologische Arbeiten an Zieseln haben gezeigt, dass ihre Gehirne während des Torpors Alzheimer-ähnliche Ablagerungen und dunkle Flecken ausbilden. Möglicherweise wachen sie zwischendurch auch auf, um diese Schäden zu beheben."

Während Ziesel jedoch einem recht strengen Winterschlafzyklus mit langen Torpor-Phasen unterliegen, sind Feldhamster diesbezüglich erstaunlich flexibel. Laborversuche von Millesis Gruppe, bei denen die Hamster in künstlichen Bauten in Klimakammern gehalten wurden, legen nahe, dass sie die Dauer ihres Winterschlafes danach regeln können, wie viel beziehungsweise wie energiereiche Nahrung ihnen zur Verfügung steht.

Diese Anpassungsfähigkeit kennt man auch bei anderen Nagetieren wie etwa Streifenhörnchen, doch der Feldhamster hat etwas, was ihn von allen anderen bislang untersuchten Arten unterscheidet: Weibchen und Männchen wenden beim Winterschlaf verschiedene Strategien an.

Über drei Winter untersuchten Millesi, ihre Dissertantin Carina Siutz und zahlreiche weitere Mitarbeiter eine im Süden von Wien lebende Hamsterpopulation, indem sie die Tiere vor ihrem winterlichen Verschwinden und nach ihrem frühjährlichen Auftauchen wogen und vermaßen.

Außerdem wurde den Tieren ein winziger Datenlogger zwischen den Schulterblättern eingesetzt, der während ihres gesamten Aufenthalts unter der Erde ihre Körpertemperatur in 90-Minuten-Intervallen aufzeichnete. Wenn sie den Bau verließen, wurden sie noch einmal gefangen, der Datenlogger wurde entfernt, um anschließend ausgelesen zu werden. Bei der Auswertung der so gewonnenen Daten stieß Millesis Gruppe auf erstaunliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Winterspeck anfressen

Weibchen suchen ihr Winterquartier deutlich später auf als Männchen, während im Frühjahr die Männchen als Erstes auftauchen. Das ist nicht weiter verwunderlich: Die Fortpflanzungssaison dauert in etwa von April bis Oktober, und während dieser Zeit können weibliche Hamster bis zu drei Würfe großziehen.

Da sich die Männchen an der Jungenaufzucht nicht beteiligen, können sie ihre reproduktive Phase um einiges früher beenden und anfangen, sich einen Winterspeck anzufressen.

Wie Millesi und ihre Mitarbeiter durch Feldbeobachtungen herausfanden, verwenden die Männchen diese fortpflanzungsfreie Zeit hauptsächlich zum Fressen, während Weibchen, die sich auf den Winter vorbereiten, stattdessen Nahrungsvorräte in den Bau tragen.

"Die Männchen legen während der Fortpflanzungszeit oft weite Strecken zurück, um so viele paarungsbereite Weibchen wie möglich zu finden", erklärt Millesi. "Dabei müssen sie oft den Bau wechseln. Unter diesen Umständen zahlt es sich kaum aus, in einem bestimmten Bau Futterreserven anzulegen. Die Weibchen wechseln ihren Bau dagegen viel seltener." In der Folge überwintern die Weibchen offenbar, indem sie ihre Nahrungsdepots nutzen, während die Männchen vorwiegend von ihrem Körperfett zehren.

Fortpflanzung um jeden Preis

Damit nicht genug zeigten die Körpertemperaturdaten auch, dass der Winterschlaf der Weibchen kürzer und mit weniger Torpor-Phasen abläuft. "Das hat uns wirklich erstaunt", sagt Millesi, "weil das genau umgekehrt ist wie bei allen anderen bis jetzt untersuchten Säugern. Dort halten die Männchen kürzeren Winterschlaf. In unseren Untersuchungen fingen die Weibchen außerdem erst zwischen 15. November und 9. Jänner mit den ersten Torpor-Phasen an. Bis dahin waren sie offenbar im Bau aktiv."

Den Grund für diese geschlechtsspezifischen Verhaltensunterschiede vermutet Millesi in der Fortpflanzungsbiologie der Hamster: "Im Unterschied zu vielen anderen winterschlafenden Säugetierarten sind sie extrem opportunistisch, das heißt, sie versuchen tatsächlich immer, so viele Junge wie möglich hervorzubringen. Das bedeutet für die Weibchen dann eben oft eine stark verlängerte Reproduktionsphase, nach der ihnen kaum noch Zeit bleibt, sich die nötigen Fettreserven anzufressen. Also müssen sie das Problem anders lösen."

Das scheint allerdings auch seinen Preis zu haben: "Normalerweise leben winterschlafende Arten länger als nahe Verwandte, die keinen Winterschlaf halten", sagt Millesi, "aber Hamster werden in freier Wildbahn kaum mehr als zwei Jahre alt, und selbst in Gefangenschaft kaum mehr als drei." (Susanne Strnadl, 10.4.2017)