Svenja Gassen hat die Anarchisten mit grünen Parkas uniformiert. Bänke werden im Protest zu Barrikaden.

Foto: Wolfgang Simlinger

Der Abend beginnt vor dem Schauspielhaus.

Bernhard Sternbald

Wien – Eine Vase mit bunten Blumen steht auf der Bühne (Johannes Weckl), unbeeindruckt von den Szenen, die über den Bildschirm unter ihr flimmern: Demos, Polizei, Gewalt. Auf den Straßen formiere sich Widerstand gegen Konzerne und eine von Negativität beherrschte Politik. Vor zehn Jahren undenkbar, erklärt das unter Protestgesang einziehende Ensemble, heute Realität.

Wem gehört der öffentliche Raum? Wer profitiert von der Wertschöpfung aus Arbeit? Wer darf über uns bestimmen? Darum geht es in der Uraufführung kolhaaz (wir sind überall), einer Koproduktion des Wiener Schauspielhauses mit der Musik- und Kunst-Privatuniversität der Stadt Wien (Muk).

Die Bank als Verbrechen

Wie der Name verrät, ist Heinrich von Kleists auf dem Rechtsweg nicht weiterkommender und darob in die Selbstjustiz abzweigender Michael Kohlhaas eine Referenz. Neben dem Namen lieh Regisseur Volker Schmidt von ihm auch den dramaturgischen Bogen seines in Wien spielenden Stücks. Für die Zeitgenossenschaft steht das Unsichtbare Komitee Pate. Seit 2010 veröffentlicht die Gruppe international beachtet ihre linkskämpferischen Schriften. "Der Konflikt ist der Stoff, aus dem ist, was ist", lautet ein Satz aus An unsere Freunde (2015), auf das sich kolhaaz bezieht.

Worauf das hinausläuft? Als Brater vegetarischer Burger hat unser sympathischer Kolhaaz (Valentin Postlmayr) eine Bank vor seinem Lokal aufgestellt. In Handarbeit und natürlich aus Restholz gezimmert. Er soll sie wieder abmontieren, dem Magistrat (Florian Appelius und Katharina Stadtmann in Tracht aus Kleist'scher Zeit) ist die Sitzgelegenheit ein Dorn im Auge. Der Global-denken-und-lokal-handeln-Held rebelliert.

Und findet Anhänger. Etwa den Essensauslieferer Foodora-Herse, für den queer zu sein und Frauenkleider zu tragen die Freiheit ist, die er begehrt (Anna Woll). Und Computer-Sterni, der den Nato-Server hacken will (Felix Kreutzer). Das Anliegen ist ehrlich, der Weg dorthin recht süß: Man schmückt Laternen mit Blumen und spannt Girlanden. Der neu dazustoßende Nagelschmidt (Deniz Baser) aber will es radikaler. Die Sitzbank wird zur Barrikade. Kolhaaz' Freundin (Katharina Farnleitner) wird von der Polizei tödlich verletzt. Selbstbestimmung ja, so wächst ihm das alles nun jedoch über den Kopf.

"Alles drin, was vorkommen kann"

"Da kommt ja so alles drin vor, was vorkommen kann", scheint der Text an einer Stelle sich selbst zu kommentieren: Donald Trump, Syrien, die Ukraine, Flüchtlinge und Unternehmen, die in Steuerschlupflöchern nisten, fallen mindestens als Schlagworte. Sogar von Wolfgang Sobotkas Reformplänen zum Demonstrationsrecht und Sebastian Kurz' "NGO-Wahnsinn", der beendet werden müsse, weiß die mit der Zerschlagung des Aufstands befasste Innenministerin (Naemi Latzer). Verbal verströmt sie ein Odeur von Provinz. Das Stück ist also nicht unheiter!

Will man ihm aber etwas vorhalten, dann diese oft ermüdende Deutlichkeit. "Wo soll man da anfangen?", setzt oben zitierte hellsichtige Stelle fort. Genau! Diese Deutlichkeit mag erklärbar sein und ehrbar, aber sie tut im Weiteren nichts für das Stück. Sagt nichts aus als das bereits Bekannte. Es muss nicht alles angesprochen werden. Tadellos hingegen spielt das junge Ensemble, besonders natürlich charakterisiert Postlmayr. (Michael Wurmitzer, 3.4.2017)