Bild nicht mehr verfügbar.

Jaroslaw Kaczynski ist Chef der Partei Recht und Gerechtigkeit und gibt den Takt der polnischen Regierung vor. Sein Kritiker Adam Michnik fühlt sich an die Propaganda der Kommunisten erinnert.

Foto: Reuters / Kacper Pempel

Martin Pollack solidarisiert sich mit Adam Michnik.

Foto: APA / Georg Hochmuth

Vorige Woche war der polnische Publizist und Essayist, Begründer und Chefredakteur der linksliberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, Adam Michnik, kurz in Wien, um im Rahmen der Reihe Grenzgänger/Grenzdenker des Burgtheaters über Polen und Europa zu diskutieren. Es war mir eine Ehre, die Diskussion im Kasino am Schwarzenbergplatz führen zu dürfen.

Seine unverblümten Äußerungen über den starken Mann Polens, Jaroslaw Kaczynski, Chef der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), und die von ihm straff gelenkte Regierung lösten in offiziellen polnischen Medien umgehend wütende Reaktionen aus. Es erstaunt nicht, dass diese Berichte es mit der Wahrheit nicht so genau nahmen. Fake-News auf Polnisch.

Michnik war nur für diesen einen Abend in Wien. Den offiziellen Medien war das offenbar zu wenig. Einige, wie etwa das Info-Portal des offiziellen Fernsehsenders TVP, berichteten von einer mehrtägigen Tour, um bei "verschiedenen Begegnungen" die Regierung und den allmächtigen PiS-Chef zu "beleidigen und zu beschimpfen" – etwa indem er Kaczynski eine "Parodie Stalins" nannte.

Déjà-vu

Michnik sprach an dem Abend von den Ähnlichkeiten, die das offiziell stramm antikommunistische Regime mit der kommunistischen Propaganda aufweist – in Sprache und Stil, vor allem im Umgang mit den politischen Gegnern. Wenn man die Medien liest und die Politiker hört, so Michnik, hat man ein Déjà-vu. Das klingt alles nur zu bekannt, die Argumente des allgewaltigen Parteichefs, der den Menschen im Brustton der Überzeugung einredet, dass Weiß Schwarz ist und umgekehrt.

Auch ich fühle mich beim Lesen der offiziellen polnischen Medien an die 1960er- und 1970er-Jahre erinnert, als ich im kommunistischen Polen studierte. Dieselben Töne, derselbe Stil, dieselben Argumente. Ein Antikommunismus mit bolschewistischem Gesicht, wie Michnik es treffend nennt. Diese Sprache und Denkart verraten die offiziellen Medien auch, wenn sie mich jetzt in den Berichten über Michnik "den Sohn eines blutigen Kriegsverbrechers der SS" nennen, der sich zu einem Vorbild der Demokratie aufschwingen möchte. Überrascht mich das? Die Sippenhaftung war ein fester Bestandteil des Stalinismus und auch des Nationalsozialismus.

Dass man sich heute im offiziellen Polen wieder dieser Methoden bedient, ist kein gutes Zeichen. Erdogan und Putin lassen grüßen. Michnik sprach denn auch von einer Putinisierung Polens, die Kaczynski und seine Leute, vielleicht unbeabsichtigt, aber dafür umso effektiver, vorantreiben.

Apropos Sippenhaftung. Ich will mich nicht beklagen, ich komme in den Berichten noch gut weg, jedenfalls im Vergleich zu meinem Freund Adam. Wenn man die Postings zu den Berichten in den offiziellen Medien liest, könnte man meinen, man halte den Stürmer oder ähnliche Blätter in Händen. Da wird Michnik eine "bolschewistische Prostituierte", ein "jüdischer Hurensohn", ein "widerliches Jüdlein" oder ein "Idiot mit Pejes" genannt – und offenbar sieht keiner einen Anlass, solche Hassausbrüche aus den Foren zu löschen. Das nennt man wahrscheinlich Meinungsfreiheit. Aber wehe, man wirft der Regierung in Warschau vor, sie leiste rechtsextremen und antisemitischen Strömungen Vorschub.

Spitzel im Publikum

In der Diskussion im Kasino erzählte Michnik auch, dass bei jeder derartigen Diskussionsveranstaltung in Polen ein Spitzel im Publikum sitzt und eifrig mitschreibt, um die Aufzeichnungen dann sofort an die Behörden weiterzuleiten. Und tatsächlich wurde auch in Wien ein Vertreter einer offiziellen polnischen Institution gesehen, der im Publikum saß und mitschrieb. Man geht sicher nicht fehl in der Annahme, dass sich die Berichte in den regimetreuen Medien auf das von ihm verfasste Protokoll stützen.

Der Mann ist entweder ein gläubiger Anhänger des PiS-Regimes, oder er weiß, um in der Sprache Michniks zu bleiben, "wo die Konfitüre steht". In einem der Berichte war auch zu lesen, dass zahlreiche Polen gekommen waren, um Michnik zu hören. Das kann man durchaus als Drohung auffassen. Die polnische Community ist nicht so groß, da kennt jeder jeden. Vielleicht gab es neben dem wachsamen Herrn, der alles mitschrieb, noch andere Sympathisanten Kaczynskis, die genau registrierten, wer da gekommen war und bei den Ausführungen Michniks begeistert klatschte und lachte. Türkische Zustände? So weit ist es noch nicht. Aber es geht in die Richtung.

Abschließend noch ein Tipp für künftige Zuträger des Regimes, die nach dunklen Flecken in meiner Vergangenheit suchen: Ich fuhr 1967, als im Nahen Osten der Krieg ausbrach – später als Sechstagekrieg bekannt – als Freiwilliger nach Israel und blieb vier Monate. Davon hat nicht einmal die kommunistische Geheimpolizei erfahren, obwohl ich noch im Herbst 1967 als Student nach Polen zurückkehrte.

Also nicht nur Sohn eines blutigen Kriegsverbrechers der SS, sondern auch noch Handlanger des zionistischen Staates. Damit müsste sich doch propagandistisch etwas anfangen lassen. (Martin Pollack, 2.4.2017)