1965 behauptete der Philosoph Theodor W. Adorno in einem berühmt gewordenen Essay, über dem Lehrberuf hänge ein "leises Odium". Das Aroma des "gesellschaftlich nicht ganz Vollgenommenen", das ihm anhafte, verdanke sich dem Umstand, dass Lehrer, anders als Mediziner oder Juristen, es "bloß" mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. In einer Ära, in der ganze Völkerscharen so gestimmt sind, dass sie nur gloriose Leithammel wie die Milliardäre Berlusconi, Trump oder Putin als Autoritätsfiguren akzeptieren, ist der Job sicher nicht leichter geworden.

Wer es nicht glaubt, möge sich den Aufwand vorstellen, den es kosten muss, einer mit allen Internetwassern gewaschenen und entsprechend blasierten Schülerschaft nicht nur etwas beizubringen, sondern sie darüber hinaus auch noch bei Laune zu halten. Ein Wiener HTL-Lehrer hat dies vor etlichen Wochen versucht, indem er den optimalen Winkel "zur Betrachtung schöner Mädchenbeine" berechnen ließ.

Leicht alberner Versuch

Das hätte er lieber bleiben lassen sollen. Der Sexismusvorwurf war schneller auf dem Tisch, als man "Tuttelbär" sagen kann, und auch der Stadtschulratspräsident, Heinrich Himmer himself, fühlte sich bemüßigt, die Angelegenheit für "empörend und völlig unangebracht" zu halten.

Ich erlaube mir höflichst, anderer Meinung zu sein. Ich lese diese Causa eher als einen prinzipiell sympathischen, wenn auch leicht albernen Versuch des Pädagogen, dem Schulunterricht im Konkurrenzverhältnis zu Attraktionen wie Twittern, Youporn-Schauen, Egoshooten, Snapchatten und Sich-pausenlos-mit-250-Facebook-Freunden-Austauschen wenigstens einen kleinen Rest von Sexiness zu erhalten. Ein hoffnungsloses Unterfangen natürlich.

Exorbitante Herausforderungen

Ich nehme an, dass das Web als omnipräsenter Miterzieher die Lehrer generell vor exorbitante Herausforderungen stellt. Wenn schon Erwachsene ihre liebe Müh und Not haben, sich gegen die Gefahr der internetinduzierten Verfetzenschädelung zur Wehr zu setzen, gilt dies für Jugendliche umso mehr.

Es wäre interessant zu wissen, was Adorno, der große Analytiker und Kritiker der Kulturindustrie, heute zur offensiven Kolonisierung der Herzen und Hirne im Digitalzeitalter zu sagen hätte. Aber der ist schon lange tot und, wie das unsere Fanfarenträger einer bedingungslosen Technophilie wohl nennen würden, sehr, sehr "old school". (Christoph Winder, Album, 31.3.2017)