Philipp Blom: "Die Welt aus den Angeln. Eine Geschichte der Kleinen Eiszeit von 1570 bis 1700 sowie der Entstehung der modernen Welt, verbunden mit einigen Überlegungen zum Klima der Gegenwart." € 24,70 / 304 Seiten. Hanser, München 2017

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Einer ist auf die Nase gefallen. Andere bewegen sich leicht voran. Sie genießen das Gleiten. Wieder andere spielen so etwas wie eine frühe Variante von Hockey. Ein Paar hält sich an den Händen. Sie alle genießen das Eis auf dem Fluss, den Winter, die Kälte. Und dass sie sich auf dem gefrorenen Wasser auf Kufen voranbewegen können.

Hendrick Avercamps "Winterlandschap met ijsvermak" (Winterlandschaft mit Eisläufern), entstanden um 1608, ist wohl eine der anmutigsten, sicherlich eine der heitersten und am reichsten bevölkerten Wimmeldarstellungen von Winterfreuden in den Niederlanden um 1600.

Dass das Rijksmuseum in Amsterdam, das diese nur 132 auf 76 Zentimeter messende Arbeit des taubstummen Künstlers besitzt, der 1634 mit 49 Jahren gestorben war, diesem vor acht Jahren eine kleine Retrospektive widmete, ist verständlich. Denn bei diesen Darstellungen ist Kunstgeschichte zugleich pittoreske Kulturgeschichte. Denn wieso, fragt man sich, konnten die Holländer damals auf dem Land auf zugefrorenen Gewässern dem Schlittschuhlaufen frönen, wieso gab es damals in London auf der Themse Straßenbuden und einen Jahrmarkt inklusive geschäftstüchtiger Drucker, die eigens Erinnerungsblätter auf dem Eis druckten und feilhielten?

Pointillistische Eleganz

Die Erklärung dafür ist die sogenannte Kleine Eiszeit zwischen etwa 1570 und ungefähr 1690 in Europa. Diesem klimahistorischen Phänomen und seinen kulturhistorischen Ableitungen wie Folgen, von Hunger über Krieg bis zur Ökonomie, widmet Philipp Blom sein neues Buch. Der 1970 geborene, in Oxford ausgebildete und seit mehreren Jahren in Wien ansässige Deutsche, der das Kunststück fertiggebracht hat, in den letzten Monaten im selben Verlagshaus einen Roman und jetzt ein historisches Sachbuch herauszubringen, zeigt gleich zu Beginn, was bereits seine Bücher über das Sammeln, die Aufklärung und das 19. Jahrhundert auszeichnet.

Es ist sein smartes historisches Parlando, durchwirkt von aussagekräftigen Anekdoten und herausgehobenen Einzelschicksalen, es sind die festen Striche, es ist die klare Sprache, die atmosphärische Dichte und die überzeugende Dramaturgie. Diese pointillistische Eleganz macht den Reiz der Blom'schen Bücher aus. Deshalb greift man zu seinen Panoramen, und nicht zu schwergängiger Fach- und Forschungsliteratur. Der Kunstfertigkeit der leichthändigen Synthese verdankt sich die weite Verbreitung, weniger eigenen archivalischen Funden oder der Aufarbeitung entlegener historischer Originaldokumente.

Avercamps Winterlandschaft ist Bloms Einstieg. Verhandelt wird von ihm die Frage, wie sich Kulturen, Regionen, Länder, Zivilisationen, Hemisphären ändern, wenn sich das Klima verändert. Informiert zeichnet er die Transformation ab 1570, als es in Europa kälter wurde, zu Fernhandel, Fremdproduktion und internationalen Handelsmärkten nach – inklusive Kolonialismus, Sklavenhandel sowie Landflucht und Stadtzuzug – und infolgedessen zum Aufkommen einer Mittelschicht, zu breiterer Bildung und dem Herausfordern des Adels.

Doch es mutet mehr als nur irritierend an, wenn zusehends deutlich wird, dass sich Blom von den geoklimatischen Verhältnissen zu einem sicheren und ihm vertrauten geistesgeschichtlichen Ufer, jenem des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts, schreibt. Bei den durchaus gelungenen Porträts von Pierre Bayle, Baruch de Spinoza und einer vernichtenden Kurzvignette Voltaires ist das Wetter dann längst dem Blick entschwunden.

Etwas kurios mutet auch an, dass mancher deutschsprachige Titel in der umfangreichen Bibliografie nicht in der Originalausgabe aufgelistet wird, sondern in der englischen oder amerikanischen Übersetzung. Freudianisch aufschlussreich ist, dass ausgerechnet in diesem umfangreichen Literaturverzeichnis, aus dem Blom wie üblich nur punktuell direkt zitiert, beim ausnehmend gelehrten Buch des englischen und in den USA lehrenden Militärhistorikers Geoffrey Parker "Global Crisis" von 2013 ein unübersehbarer Fehler von Autor, Setzer und Korrektor übersehen worden ist. Zufall oder subkutane Hommage? Wer Parkers exzellente 872 Seiten über Krieg, Klimawandel und Katastrophen im 17. Jahrhundert gelesen hat, der dürfte Bloms Band eher als dramaturgisch raffinierte Petitesse einstufen.

Vollends enttäuschend ist der Ausklang. Das Schlusskapitel, die im Untertitel annoncierten Überlegungen zum Klima der Gegenwart, ist ein erzwungener Anschluss an die Jetztzeit. Es ist überflüssig und wohlfeil. Denn in dieser Betrachtung über Neoliberalismus und Klima, Anthropologie und Politik entpuppt sich die Argumentation als überschaubar originell. Kein pseudokritisches Klischee wird ausgelassen. Hier spurt Philipp Blom nur die Trampelpfade eines medioker eingefrorenen Mainstreams nach. (Alexander Kluy, 1.4.2017)