Bild nicht mehr verfügbar.

Die Pflegekinder, die aus indigenen Gemeinden in Familien nach Neufundland kommen, sind für die lokale Bevölkerung auch eine willkommene Einkommensquelle.

Foto: REUTERS/Chris Wattie

Ein fünfjähriger Inuit-Junge ist der Stolz eines weißen Ehepaars in Ship Cove, einem Dorf im Norden der kanadischen Insel Neufundland. Sie sind Pflegeeltern, beide Anfang sechzig, und sie ziehen das Kind liebevoll auf. Die Namen des Burschen und der Pflegeeltern können in diesem Artikel nicht genannt werden. "Wir dürfen nicht einmal sagen, woher das Kind stammt", sagt die Pflegemutter. Das sei die Anweisung der Behörden. Aber alle Leute in der Gegend wissen, dass der Inuit-Bub aus Labrador stammt, der östlichen Provinz Kanadas.

Er ist eines von vielen Pflegekindern, das die Sozialbehörden den Inuit-Familien in Labrador wegnahmen. Jetzt werden sie von weißen Eltern im Norden Neufundlands aufgezogen. In den indianischen Innu-Siedlungen und den Inuit-Dörfern Labradors finden sich zu wenige Pflegefamilien. Alkoholismus, Drogensucht, Verwahrlosung oder häusliche Gewalt gefährden dort das Leben von Kindern. Sie müssen zeitweise von dieser Gefahr entfernt werden, so die Behörden.

Kritik an Behörden

Vor sieben Jahren wurde in der Provinz Neufundland und Labrador das Kinderschutzgesetz verschärft, nachdem eine Inuit-Mutter ihren 13 Monate alten Säugling ertränkt hatte, während sie des Mordes an ihrem Ex-Geliebten angeklagt war.

Die Folge sind zahlreiche indigene Pflegekinder, die in weiße Familien gesteckt werden, die bis zu 1.600 Kilometer entfernt leben. Mehr als 30 Prozent der Pflegekinder in der Provinz – im Jahr 2016 waren es insgesamt 310 – stammen aus Labrador, und das, obwohl in Labrador nur sechs Prozent der Bevölkerung leben.

Allein aus Nain stammen 55 Pflegekinder, die nun im Norden Neufundlands untergebracht sind. Nain ist eine Inuit-Siedlung mit 1125 Einwohnern an der Nordwestküste Labradors. Kristie Holwell, Mitglied des Gemeinderates von Nain, kritisiert das Vorgehen der Behörden: "Es hilft vielleicht den Kindern, aber es reißt die Familien auseinander", sagt sie.

Schule bleibt offen

Das kanadische Fernsehen CBC rückte die Region um die Neufundländer Gemeinde Roddickton ins nationale Blickfeld. Dort gibt es 55 indigene Pflegekinder in 45 weißen Familien, die für ihre Dienste bezahlt werden. Die Dörfer, die unter dem Rückgang der Fischerei leiden, profitieren von dieser neuen Geldquelle. In Englee zum Beispiel, der Nachbargemeinde von Roddickton, hätte die Schule geschlossen werden müssen. "Aber das ist wegen des Zustroms von Kindern aus Labrador nicht passiert", sagte Bürgermeister Rudy Porter.

Manche Politiker in Labrador fordern, dass die indigenen Kinder in ihrer eigenen Kultur aufwachsen sollten. Aber Jacob Larkin, ebenfalls Mitglied des Gemeinderates von Nain, unterstreicht, dass es einfach zu wenige Pflegefamilien in seinem Dorf gebe.

In Larkins Augen hat die Sicherheit der Kinder Vorrang. Er findet nicht, dass die Behörden vorschnell handelten: "Die Sozialarbeiter entfernen die Kinder erst, wenn sie keine andere Wahl haben", betont er.

Reisekosten bezahlt

Auch wenn die Pflegekinder weit weg sind, werden sie von den leiblichen Eltern besucht oder die Pflegeeltern reisen mit ihnen nach Labrador. Die Reisekosten übernimmt die Regierung. Die Familienministerin der Provinz, Sherry Gambin-Walsh, sieht Vorteile, wenn große Gruppen von Pflegekindern in einer bestimmten Gegend wie Roddickton zusammen aufwachsen. "Wir haben hier wirklich sehr gute Resultate", sagte sie der CBC.

Sie würde zwar die Kinder idealerweise auch lieber in Labrador lassen. "Das ist unser Ziel, und ich wollte, ich könnte das tun", versicherte die Ministerin, "aber momentan müssen wir Kinder rausholen, weil wir nicht die Plätze haben, um sie in den Gemeinden zu behalten".(Bernadette Calonego aus Vancouver, 31.3.2017)