Ein Foto von Amir Taaki aus seiner Zeit im Kriegsdienst für die YPG.

Foto: Amir Taaki

In der Open-Source-Gemeinde ist Amir Taaki eine bekannte Figur. Der Brite mit iranischen Eltern beschäftigte sich in der jüngeren Vergangenheit viel mit der Kryptowährung Bitcoin und startete 2014 die Entwicklung von Dark Wallet, einer virtuellen "Geldbörse", die Transaktionen mit dem digitalen Geldmittel möglichst unsichtbar machen sollte. Seine Umtriebigkeit brachte ihm damals auch einen Platz auf der Liste der Top-30-Unternehmer im Tech-Bereich des "Forbes"-Magazins ein.

In den letzten zwei Jahren änderte sich sein Leben allerdings schlagartig. Der selbstdeklarierte Anarchist, der damals in besetzten Gebäuden in Mailand, Barcelona und London lebte, wollte sich einem politischen Projekt in Syrien widmen. Ein Vorhaben, das ihn bis an die Front zwischen Kurden und den Terroristen des "Islamischen Staats" (IS) bringen sollte, wie Wired berichtet.

Reise nach Rojava

Ende 2014 erfuhr Taaki von Rojava. Das Gebiet befindet sich im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei. Hier versuchten rund vier Millionen Kurden eine progressive Gesellschaft zu errichten, basierend auf kollektivem Anarchismus, Gleichberechtigung und direkter Demokratie. Das Projekt, so der Entwickler, sei die wichtigste anarchistische Entwicklung seit den Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens in den 1930ern.

Als der "Islamische Staat" bis nach Kobane und damit ins Herz dieses kurdischen Territoriums vordrang, beschloss Amir, nach Rojava aufzubrechen. Er wollte mit seiner technischen Expertise beim Aufbau der dortigen Gesellschaft helfen. 2015 flog er von Madrid in den Nordirak, von wo aus er, gemeinsam mit anderen ausländischen Freiwilligen, nach Syrien in ein Trainingscamp der Kurdenmiliz YPG geschmuggelt wurde.

Vom Programmierer zum Soldaten

Dort nahm Taakis Reise eine für ihn unerwartete Wende. Laut seiner Schilderung habe er versucht, dem älteren Kommandanten zu erklären, dass er gekommen sei, um den Gemeinden in Rojava mit seinen Fertigkeiten als Entwickler unter die Arme zu greifen. Dieser habe ihn aber trotz seines Protests einfach einer Militäreinheit zugeteilt. Nach nicht einmal einem Tag Training habe man ihn in eine Uniform gesteckt, ihm eine Kalaschnikow in die Hand gedrückt und ihn in den Krieg gegen den IS geschickt.

In ein größeres Gefecht war er in seiner Zeit an der Front nie verwickelt. Die meisten Kampfhandlungen hätten daraus bestanden, dass US-Luftstreitkräfte Bomben auf Stellungen der Terrororganisation abwarfen, deren Kämpfer sich zurückzogen, woraufhin die YPG-Truppen vorrückten, um das Territorium zu halten. IS-Soldaten nahm er meistens nur als bedrohliche schwarze Punkte auf weit entfernten Hügeln wahr.

Prägende Erfahrung

Die wenigen direkten Kampfhandlungen, die er miterlebte, waren Überraschungsangriffe der Jihadisten mit Maschinengewehren. Ein Soldat seiner Einheit kam in einem solchen Kugelhagel zu Tode.

Und auch darüber hinaus war er regelmäßig mit dem Tod von Kameraden konfrontiert. Ein junger Iraner, mit dem er sich angefreundet hatte, war in einem Gefecht in die falsche Richtung geflohen und langsam an seinen Schusswunden verblutet, während seine Mitstreiter nur hilflos zusehen konnten. Obwohl er selbst nur in drei Auseinandersetzungen verwickelt war, sah er ein Dutzend Menschen sterben – eine Erfahrung, die in seiner Psyche Spuren hinterließ.

Glückliche Wendung

Erst die zufällige Begegnung mit einem Offizier, den er im Ausbildungslager getroffen hatte, führte den Entwickler weg von der Front. Dieser sorgte dafür, dass er aus dem Militärdienst entlassen und ins Kernland von Rojava gebracht wurde. Dort begann er, Kurdisch zu lernen, und schulte Einwohner im Umgang mit Open-Source-Software und dem Internet. Dazu schrieb er ein ideologisches Curriculum für ausländische Neuankömmlinge, half beim Aufbau einer Düngerfabrik und eines revolutionären Frauenmagazins.

Ein Wegbegleiter, der spanische Biologe Pablo Prieto, erinnert sich daran, dass Taaki sich zu einem sehr geschätzten Mitglied der Gemeinschaft von Rojava entwickelt und einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte. Die politische Führung des Kurdengebiets band ihn schließlich sogar in die Entwicklung des Technologie-Lehrplans für das im Aufbau befindliche Schulsystem ein und brachte ihn als einzigen Ausländer zu einer regionalen Wirtschaftskonferenz.

Rückkehr

Im Frühjahr 2016 beschloss der Anarchist schließlich, nach London zurückzukehren. Er wollte seine Arbeit an Dark Wallet fortsetzen, um die finanzielle Situation von Rojava zu verbessern. Mit der "dunklen Geldbörse" sollten sich die Sanktionen der EU und der USA umgehen lassen, die Geldflüsse nach Syrien blockierten. Anschließend wollte er wieder nach Nordsyrien zurückkehren.

Doch auch dieses Vorhaben verlief nicht nach Plan. Wenige Minuten nach seiner Landung in London im Mai 2016 wurde er von der Polizei in Gewahrsam genommen, sein Laptop und seine Handys konfisziert und er in ein eigenes Terrorismus-Untersuchungszentrum gebracht. Dort folgten Verhöre über den IS, die PKK – die "Kurdische Arbeiterpartei" wird unter anderem von der EU als Terrororganisation eingestuft und soll in Verbindung mit der YPG stehen –, seine Involvierung in das Bitcoin-Projekt und auch über sein enges Verhältnis mit dem Erfinder der ersten Waffe aus dem 3D-Drucker, Cody Wilson.

Im Visier der Behörden

Es folgte Hausarrest in der Wohnung seiner Mutter. Bis heute untersuchen die Behörden seinen Fall. Taaki hat nach wie vor seinen Pass nicht zurückerhalten und sieht aus Angst vor einer Inhaftierung davon ab, seine Arbeit an Dark Wallet oder anderen Softwareprojekten fortzusetzen. Die verantwortlichen Behörden gaben gegenüber Wired keine Auskunft zu laufenden Ermittlungen und verwiesen lediglich auf die bestehende Gesetzeslage.

Taakis Anwälte vermuten, dass seine Softwareprojekte der Grund für die umfassenden Sonderermittlungen sein könnten, zumal andere Rückkehrer, die im Dienst der YPG standen, nicht angeklagt wurden. Man werde sich jedenfalls gegen jede Anklage zur Wehr setzen. Der Entwickler selbst bereut seine Reise nicht: "Es wäre schlimmer gewesen, als Heuchler zu leben – mich selbst einen anarchistischen Revolutionär zu nennen und dann nicht an einer echten Revolution teilzunehmen." (red, 30.3.2017)