Die Unterzeichnung der Römischen Verträge war einer der Grundsteine für den europäischen Einigungsprozess und jährt sich dieser Tage zum sechzigsten Mal. Zwar ist die europäische Integration wohl die bedeutendste politische Entwicklung im Europa der Nachkriegszeit, sie wurde lange Zeit aber durch einen Elitenkonsens vorangetrieben – ohne in der innenpolitischen Öffentlichkeit der Mitgliedsstaaten groß diskutiert zu werden.

Abgesehen von Beitrittsreferenden blieben europäische Themen deswegen meist fern der Tagespolitik. Spätestens seit dem Vertrag von Maastricht (1992) hat sich das aber geändert: Die "Politisierung Europas" trägt die EU mitten in die Innenpolitik der Mitgliedsstaaten (und auch mancher Nichtmitgliedsstaaten wie etwa der Schweiz).

Viele Kurswechsel prägten die Haltung der österreichischen Parteien gegenüber der Europäischen Union.
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Auch in Österreich hat die europäische Integration dem Parteienwettbewerb ihren Stempel nachhaltig aufgedrückt. Nicht zuletzt deswegen, weil die Positionen der Parteien zu Europa sich im Lauf der Zeit stark gewandelt haben. Als Beispiel hier zwei Aussagen aus Wahlprogrammen österreichischer Parteien aus der Zeit vor dem EU-Beitritt:

  • a) Im Streben nach einer größtmöglichen Teilnahme unseres Landes an der europäischen Integration halten wir auch eine Mitgliedschaft Österreichs in der EG für notwendig.
  • b) Die EG-Integrationspolitik ist ein Programm für die Entmündigung einer ganzen Nation.

Wer die heutigen Haltungen der österreichischen Parteien zur EU im Kopf hat, wird womöglich erstaunt sein, dass Beispiel a) aus dem Wahlprogramm der FPÖ von 1986 stammt, Beispiel b) aus jenem der Grünen von 1990.

Systematischer noch zeigt die Grafik unten, wie sich die Positionen der Parteien zur europäischen Einigung über die Zeit verändert haben. Die Daten basieren auf Expertenbefragungen (hier und hier), bei denen in regelmäßigen Intervallen Länderexperten (meist Politologen) um ihre Einschätzung der Parteistandpunkte gebeten werden.

Mitte der 1980er-Jahre war die Positionierung klar: je weiter links eine Partei, desto skeptischer ihre Haltung gegenüber der damaligen EG. Die FPÖ hingegen war zu diesem Zeitpunkt – wie auch die Jahrzehnte davor – die europafreundlichste politische Kraft in Österreich.

Unter Kanzler Franz Vranitzky schwenkten dann die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP auf einen Pro-Beitrittskurs ein – begünstigt nicht zuletzt durch den Zusammenbruch der Sowjetunion. Im Gegenzug setzten sich in der FPÖ unter Jörg Haider die europakritischen Kräfte durch, was mit ein Grund für die Abspaltung des betont EG-freundlichen Liberalen Forums war. Zuletzt änderten die Grünen ihren Kurs, indem sie nach dem klaren Beitrittsvotum ihre Ablehnung des europäischen Integrationsprojekts über Bord warfen. Somit verblieb die FPÖ als einzige EU-kritische Partei (abgesehen von politischen Strohfeuern wie der Liste Dr. Martin, dem BZÖ oder dem Team Stronach).

Nach diesen vielen Kurswechseln während der 1980er- und 1990er-Jahre sind die Positionen seit der Jahrtausendwende allerdings stabil. Kleine Ausschläge in der Grafik gibt es während der Regierungszeit von Schwarz-Blau, als die FPÖ in der Regierung ihre EU-Skepsis nur gedämpft zum Ausdruck bringen konnte. Ebenso schlägt sich der berüchtigte Brief der SPÖ-Spitze an den Herausgeber der "Kronen Zeitung" im Jahr 2008 als kurze Phase gedämpfter Zustimmung zur EU nieder.

Aber nicht nur im Parteienwettbewerb ist das Thema EU heute ein wichtigerer Faktor als vor Maastricht. Auch im Wahlverhalten schlägt sich die "Politisierung Europas" nieder. Mittlerweile ist die Einstellung zur EU einer der wichtigsten Erklärungsfaktoren für das Wahlverhalten in Österreich. Für die Zukunft wirft das natürlich die Frage auf, ob die derzeitigen Pro-EU-Parteien irgendwann der FPÖ ihr Alleinstellungsmerkmal EU-Skepsis streitig machen werden. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 30.3.2017)