Beschreibt eine erfolgreiche Jagdpartie: Weihaltar des Marcus Calpurnius Longus.

foto: kibyratis-projekt ÖAI-ÖAW, T. Corsten, bearbeitung: N. Gail

Von 2008 bis 2014 haben Archäologen und Althistoriker die bislang kaum erforschte Kibyratis-Region im Rahmen von Geländebegehungen untersucht.

foto: kibyratis-projekt ÖAI-ÖAW, O. Hülden

Die Anhöhe Asar Tepe beim türkischen Dorf Sazak.

foto: kibyratis-projekt ÖAI-ÖAW, O. Hülden

Begutachtung von Keramikfunden.

foto: kibyratis-projekt ÖAI-ÖAW, O. Hülden

Hier die Reste eines Keramikofens.

foto: kibyratis-projekt ÖAI-ÖAW, O. Hülden

Dieses Fragment war Teil einer Formschüssel, zeigt diese Umzeichnung.

foto: kibyratis-projekt ÖAI-ÖAW, zeichnung: K. Kugler, bearbeitung: N. Gail

Vermutlich in Form eines Jagdspeers ereilte einen prächtig gehörnten Steinbock der Tod, als er irgendwann um die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. an einer kühlen Quelle in den Bergen unweit der antiken Stadt Kibyra seinen Durst stillen wollte. Der erfolgreiche Jäger gehörte einer in Attaleia, dem heutigen Antalya, ansässigen senatorischen Familie an, und sein Name war Marcus Calpurnius Longus. Seine Familie besaß in der Gegend ausgedehnte Ländereien. Von der erfolgreichen Jagdpartie wissen wir durch ein kurzes Gedicht auf einem Weihaltar, den Longus zu diesem Anlass aufstellen ließ.

Fast unbekannte antike Kulturlandschaft

Vor einigen Jahren entdeckte der Wiener Althistoriker Thomas Corsten bei seiner Suche nach Inschriften im Hochland von Kibyra auf dem Gebiet der heutigen türkischen Provinz Burdur diesen Altar. 2008 begann er gemeinsam mit mir einen von der türkischen Antikenverwaltung genehmigten und von der Gerda-Henkel-Stiftung finanzierten Survey: Anhand der oberirdisch noch auffindbaren antiken Überreste sowie der Inschriften sollte erstmalig die materielle Kultur und Geschichte der Region zumindest ausschnitthaft rekonstruiert werden.

Ein erster Teil der Feldforschungen hat sich mit der archaischen Epoche, also dem 7. und 6. Jahrhundert v. Chr., beschäftigt. Damals hieß die Landschaft noch Kabalis und lag wahrscheinlich in der südlichen Peripherie des lydischen Reichs, das vom sagenhaften König Krösus und seinen Vorgängern regiert worden ist. Im Zuge unserer Geländebegehungen gelang es, die Reste der archaisch-klassischen Vorgängersiedlung des erst im 3. Jahrhundert v. Chr. gegründeten Kibyra zu identifizieren, die ungefähr zehn Kilometer entfernt von ihrer hellenistischen Nachfolgerin auf einer malerischen Halbinsel an einem See gelegen sind. In den späteren Kampagnen wandten wir uns dann allerdings vorrangig der Kaiserzeit zu, um die Verhältnisse im Umland von Kibyra besser verstehen zu können.

Eine Familie von Grundbesitzern

Einen Ausgangspunkt bildeten dabei diverse Landgüter, deren Existenz aus weiteren von Corsten gesammelten Inschriften hervorgeht. Schließlich gelang uns auch die Lokalisierung einiger dieser Güter und ihre Verbindung mit konkreten archäologischen Überresten. So identifizierten wir den Teilbereich eines dieser Anwesen – und zwar genau desjenigen der eingangs erwähnten Calpurnii – auf einer Asar Tepe genannten Anhöhe nahe dem türkischen Dorf Sazak. Da sich unterhalb des Hügels ausgedehnte, noch heute intensiv genutzte Fruchtflächen erstrecken, wird der Anbau landwirtschaftlicher Erzeugnisse, darunter sicherlich Getreide und Wein sowie vielleicht auch noch wenige Oliven, ein Standbein des Landguts gewesen sein. Hinzu kamen wohl Herden von Kleinvieh und Rindern. Der Verkauf dieser Produkte, der wahrscheinlich zum größten Teil auf lokalen Märkten in der Umgebung erfolgte, begründete den Wohlstand der Calpurnii und bildete zweifellos die Basis für ihre gesellschaftliche und politische Bedeutung.

Verwaltet haben die Calpurnii ihr Gut nicht selbst. Diese Aufgabe hatte man in die Hände vertrauenswürdiger ehemaliger Sklaven gelegt. An solche Freigelassenen der Familie sowie an lokale Kleinbauern waren überdies Teile des Landes zur eigenen Bewirtschaftung verpachtet. Während wir von den Bauten, welche die solchermaßen untergliederten Ländereien ausmachten, nur äußerst spärliche Reste an der Oberfläche entdeckten, offenbarte die ausgedehnte Scherbenstreuung am Asar Tepe eine wirkliche Überraschung.

Tafelgeschirr aus ländlicher Produktion

Am südlichen Fuß des Hügels durchschneidet ein canyonartiges Winterbachtal das Gelände, in dessen Randbereich wir eine erstaunlich hohe Konzentration von zerscherbten Keramikgefäßen registrierten. Während wir diesen Umstand bei erster flüchtiger Betrachtung als Folge von Erosion werteten, erbrachte eine genauere Untersuchung alsbald ein völlig anderes Ergebnis. So sind an den Rändern des vermutlich in der Antike dauerhaft Wasser führenden Tälchens die Reste von rund einem Dutzend Öfen auszumachen. Sie sind zwar so stark zerstört, dass sie sich nur noch anhand von Brandspuren und Schlackeresten zu erkennen geben. Ihre ehemalige Funktion ist allerdings aus der enormen Zahl gut erhaltener Keramikfragmente zu erschließen: Es muss sich um Töpferöfen gehandelt haben.

Den endgültigen Beweis dafür liefert einerseits eine zwar geringe, aber aussagekräftige Anzahl von Fehlbränden, also Scherben von Gefäßen, die im Ofen durch eine falsche Temperatur verbrannt oder miteinander verbacken sind. Andererseits wurde eine kleine Zahl von Bruchstücken von Formschüsseln entdeckt. Sie dienten zur Herstellung reliefierter Keramikgefäße, und in ihre Innenseite waren Ornamente und florale oder figürliche Darstellungen im Negativ geschnitzt. Wenn man nun den weichen Ton in diese Formschüsseln drückte, erhielt man Gefäße, deren Außenseiten das Relief im Positiv zeigten. Es handelt sich also zweifelsfrei um Indikatoren für die Produktion von Keramikgefäßen, wobei wir hier nicht von schlichter Küchenware sprechen, sondern von Tafelgeschirr.

Der Nachweis einer solchen Keramikproduktionsstätte in Verbindung mit einem Landgut stellt für Kleinasien schon eine kleine Sensation dar. So waren in der Region bisher lediglich zwei städtische Produktionsstätten bekannt, und zwar in Kibyra und im fast 100 Kilometer Luftlinie entfernten Sagalassos. Ländliche, von Großgrundbesitzern betriebene Keramikmanufakturen sind für Kleinasien zwar immer vermutet worden, waren bisher aber nicht archäologisch nachgewiesen. Nur eine kaiserzeitliche Inschrift aus der südlich der Kibyratis gelegenen Region Lykien bezeugte bisher die Existenz eines dörflichen Töpfers.

Offene Fragen für die Forschung

Fragen wirft allerdings die Zeitstellung der Formschüsselfragmente vom Asar Tepe auf. Sie sollen in die Zeit zwischen dem 3. Jahrhundert v. und dem 1. Jahrhundert n. Chr. gehören. Das ist einerseits erfreulich, weil sich daraus ergibt, dass die ländliche Keramikproduktion dort schon vor der römischen Übernahme der Region existierte und offensichtlich von langer Dauer war. Andererseits liegt dieser Datierungsrahmen vor der Zeit, in der die Calpurnii die Ländereien um Sazak kontrollierten. Daher muss eine unmittelbare Verbindung zwischen ihnen und der dortigen Keramikproduktion derzeit offenbleiben.

Momentan konzentrieren sich die wissenschaftlichen Arbeiten auf die sorgfältige Aufbereitung und Analyse der im Verlauf der Feldarbeiten gesammelten Daten, und es besteht Hoffnung, dass zur Klärung der angesprochenen Sachverhalte weitere Anhaltspunkte gefunden werden.

Publikationsplattform geplant

Seit März 2016 erfolgt die Auswertung hauptsächlich am Österreichischen Archäologischen Institut an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, wo das Projekt eine neue Heimat gefunden hat. Neue Wege werden hier auch bei der Publikation beschritten. So werden wir unsere Ergebnisse nicht nur in Buchform vorlegen. Vielmehr haben wir gemeinsam mit der Gerda-Henkel-Stiftung und der Berliner Firma Plex eine dauerhafte Online-Publikationsplattform geschaffen, die wir derzeit mit Inhalten füllen und im kommenden Jahr der Forschung zugänglich machen werden.

Kommen wir am Ende auf den eingangs erwähnten Marcus Calpurnius Longus zurück. Er hat zweifellos keinen Gedanken darauf verschwendet, dass sich fast 2.000 Jahre nach seiner Jagdpartie Archäologen und Althistoriker um ihn und seinen Landbesitz in der Kibyratis den Kopf zerbrechen würden. Auch von seinem Auftritt in einer zukünftigen virtuellen Welt hat er nichts geahnt. Stattdessen war sein Augenmerk einzig und allein auf den besagten Steinbock an der Quelle gerichtet. Und von diesem Jagdglück wollte er seine Nachwelt unterrichten. (Oliver Hülden, 30.3.2017)