Tim Barrow, Großbritanniens EU-Botschafter, übergibt Donald Tusk einen Brief.

Foto: APA/AFP/Dunand

Brüssel/London – Erstmals seit Gründung der Europäischen Union hat mit dem Großbritannien ein Land seinen Austritt beantragt. Der britische Botschafter Tim Barrow übergab das entsprechende Schreiben seiner Regierung am Mittwochmittag EU-Ratspräsident Donald Tusk. Damit haben Großbritannien und die 27 EU-Staaten genau zwei Jahre Zeit, um die Bedingungen für den Austritt zu klären. Beide Seiten rechnen mit schwierigen Verhandlungen.

Tusk teilte auf Twitter mit, die EU habe das Austrittsgesuch erhalten. "Nach neun Monaten hat Großbritannien geliefert." Die britische Premierministerin Theresa May hatte die Erklärung zur Aktivierung von Artikel 50 der EU-Verträge am Dienstagabend unterzeichnet.

May rief ihre Landsleute am Mittwoch zum Zusammenhalt auf. Die Briten müssten zusammenstehen, "es gibt kein Zurück mehr", sagte die konservative Politikerin im Londoner Parlament wenige Minuten nach Übergabe des Austrittsantrags. Eine starke EU sei auch nach dem Brexit im Interesse Großbritanniens.

Gleichzeitig wolle sie nicht auf Forderungen eingehen, Ausnahmeregelungen beim Brexit für einzelne Regionen zu treffen, sagte May – auch vor dem Hintergrund der Sezessionsbemühungen Schottlands. "Wir werden als ein Vereinigtes Königreich verhandeln."

Theresa May sprach am Mittwoch im britischen Unterhaus.
Guardian Wires

Tusk sieht durch den Brexit "keine Gewinner". Es sei "kein fröhlicher Tag", sagte er bei der Präsentation des sechsseitigen Austrittspapiers am Mittwoch. Allerdings sei positiv, dass "die EU-27 dadurch entschlossener und auch geeinter" vorgingen. Es gebe jedoch "keinen Grund vorzugeben, es würde sich um einen fröhlichen Tag handeln – weder in Brüssel noch in London". Die meisten Europäer und fast die Hälfte der britischen Wähler hätten den Wunsch geäußert, zusammenzubleiben und sich nicht zu trennen. "Aber gut, es gibt paradoxerweise auch beim Brexit etwas durchaus Positives zu vermelden. Die Gemeinschaft der 27 ist dadurch entschlossener", so Tusk.

Die EU-Kommission gab am Mittwoch in einem Statement bekannt, dass sie bereit sei "für den Prozess, dem wir nun folgen müssen". In den Brexit-Verhandlungen werde die EU als Einheit handeln und ihre Interessen wahren. "Unsere erste Priorität wird sein, die Unsicherheit zu verringern, die durch die Entscheidung des Vereinigten Königreichs für unsere Bürger, Wirtschaft und die Mitgliedsstaaten verursacht wurde."

Kurz sieht Wendepunkt erreicht

Der Weg ist nun frei für die zweijährigen Brexit-Verhandlungen, bei denen die Verflechtungen zwischen Großbritannien und der EU gelöst werden müssen. Mehr als 20.000 Gesetze und Regeln sind davon betroffen. Im März 2019 endet voraussichtlich die EU-Mitgliedschaft des Landes.

Die übrigen 27 Länder wollen ihre Verhandlungsposition bei einem Sondergipfel am 29. April festlegen. Bis Herbst 2018 sollen die Verhandlungen abgeschlossen sein, damit das Abkommen rechtzeitig ratifiziert werden kann. Auf EU-Seite müssen das Europaparlament und der Rat zustimmen.

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) forderte anlässlich des Austrittsantrags einen "Kurswechsel". "Durch den Brexit ist die Europäische Union an einem Wendepunkt angelangt", sagte Kurz am Mittwoch. Die EU müsse in "großen Fragen, wie zum Beispiel der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, stärker werden". Gleichzeitig forderte er von der Kommission, sich in den "kleinen Fragen, die die Mitgliedstaaten oder Regionen selbst besser regeln können", wieder zurückzunehmen.

Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel erklärte: "Für Deutschland ist es klare Richtschnur für die Verhandlungen, dass das Europa der 27 beieinanderbleibt." Das europäische Einigungswerk müsse weiterentwickelt und auch für künftige Stürme gerüstet werden. Großbritannien bleibe Nachbar, wie die EU auch für die Briten. "Wir brauchen einander", sagte Gabriel. "Wir sollten alles tun, um auch in Zukunft gute und freundschaftlichen Beziehungen mit London zu pflegen. ... Lasst uns Freunde bleiben!" (APA, red, 29.3.2017)