Sehen, erkennen und schlucken: Tabletten werden ab der Lebensmitte Realität.

Foto: Katsey

Der menschliche Körper ist ein Wunder, doch nicht unverwundbar. Er altert, kann sich verletzen oder krank werden – und das auf vielfältige Weise. So unterscheidet die internationale Klassifizierung ICD-10 261 Krankheitsgruppen, die sich wiederum in mehr als 12.000 verschiedene Krankheitsbilder ausdifferenzieren.

Die gute Nachricht: Für viele Leiden gibt es Arzneimittel, die entweder Heilung bringen oder zumindest Symptome lindern. In Deutschland waren das im Vorjahr rund 50.000 Produkte in unterschiedlichen Packungsgrößen und Wirkstoffdosierungen. Das bedeutet auch: Jedes Medikament muss, bevor es auf den Markt kommt, "getauft" werden. Laut Arzneimittelgesetz entweder mit einem Fantasienamen oder einer Kombination von Wirkstoffbezeichnung und Zulassungsinhaber bzw. Markennamen.

Gefahr von Verwechslung

Das klingt einfacher, als es ist: "Etwa die Hälfte der eingereichten Namen wird abgelehnt. In über 90 Prozent der Fälle, weil es eine zu große Ähnlichkeit mit bereits bestehenden Produkten gibt", erklärt Siegfried Throm, Geschäftsführer für Forschung im deutschen Verband der forschenden Pharmaunternehmen. Aus gutem Grund, denn laut Schätzungen werden etwa 15 Prozent der Medikamentenfehler in den USA auf eine Verwechslung des Arzneimittelnamens zurückgeführt.

Die Anforderungen an ein ideales Produkt: einprägsam und leicht auszusprechen – am besten weltweit. "Das Ziel ist es, einen Namen zu finden, der in möglichst vielen Ländern verwendet werden kann. Das ist ein Prozess, der ein bis zwei Jahre dauert", heißt es aus der Unternehmenszentrale des Pharmakonzerns Pfizer in New York. Allein für den europäischen Raum kann das eine große Herausforderung sein. "Die Franzosen etwa haben ein großes Problem mit dem Anfangsbuchstaben H", sagt Throm.

Aus dem Reich der Fantasie

Der Gestaltungsspielraum ist relativ groß, sofern keine irreführenden oder überzogenen Versprechen suggeriert werden. ",Niemalskrank' hätte sicher keine Chance auf Genehmigung", betont Throm. Um ihr Produkt zu benennen, setzen die Namensväter relativ häufig auf die Strategie, Krankheit und Wirkung miteinander zu verknüpfen.

So soll etwa AkneEx Hautunreinheiten und Pickel den Garaus machen, Daumex Kindern das Daumenlutschen abgewöhnen und Dolormin ("dolor", lateinisch für Schmerz) Menstruationsbeschwerden, Kopf- und Zahnweh mindern. Etwas kniffliger ist die Sache bei Orabilix, einem oralen Gallenkontrastmittel, das sich von "bilis", dem lateinischen Wort für Galle, ableiten lässt. Mucosolvan setzt hingegen gänzlich auf das Lateinische, indem es "mucus" (Schleim) und "solvere" (lösen) miteinander kombiniert.

Klang, ohne Sinn

Manchmal landen Pharmaunternehmen aber auch mit weitgehend sinnfreien Kreationen einen Volltreffer. Ein Mitarbeiter des früheren Basler Pharma- und Chemieunternehmens Ciba-Geigy, der mit der Namensgebung eines neuen Schmerzmittels betraut war, kombinierte den Voltaplatz, an dem die Firma ihren Sitz hatte, mit dem lateinischen Wort für Rhein (Rhenus). Das Ergebnis: Voltaren.

Anfang des 21. Jahrhunderts änderte sich die Praxis: Die Medikamentenhersteller zeigten zunehmend Vorliebe für ungewöhnliche Buchstabenkombinationen. An der Liste der Neuzulassungen ließ sich eine Präferenz für die Konsonanten X, Y oder Z erkennen, die nun deutlich öfter vorkamen als im üblichen Sprachgebrauch. "Präparate mit dem Anfangsbuchstaben wie A, B, C oder D gab es bereits so häufig, dass die Ablehnungsquote sehr hoch war. Aus diesem Grund musste sich die Branche in diese sprachlichen Randbezirke vorwagen", so Throm. Der beste Beweis dafür: das Antihistaminikum Xyzal.

Professionelle Namensväter

Neue Wirkstoffbezeichnungen werden von einem WHO-Gremium bewilligt. Gibt es bereits einen anderen Wirkstoff aus der gleichen Klasse, muss der neue Arzneistoff die gleiche Endung haben. So hieß der erste Wirkstoff aus der Gruppe der Protonenpumpenhemmer, der zur Behandlung von Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren eingesetzt wird, Omeprazol. Danach folgten Esomeprazol, Lansoprazol oder Pantoprazol.

Bevor ein neuer Produktname verwendet werden darf, braucht es hingegen die Zustimmung durch eine Arzneimittelagentur, beispielsweise die Name Review Group der European Medicines Agency (EMA), die im Abstand von zwei Monaten tagt und über die Vorschläge entscheidet. "Um Verzögerungen bei der Zulassung zu vermeiden, werden für jedes Produkt mehrere Namen eingereicht", sagt Throm.

Mittlerweile ist die Pharmabranche von den sprachakrobatischen Bezeichnungen wieder abgerückt. Nicht zuletzt deshalb, weil die immer schwierigere Suche nach prägnanten Namen zunehmend in die Hände darauf spezialisierter Agenturen gelegt wird. Das führte zu Kreationen wie Relpax, ein Medikament zur Akutbehandlung von Migräne, das das englische "relief" (Befreiung) mit dem lateinischen "pax" (Friede) kombiniert.

Zutiefst assoziativ

Besonders ins Zeug legten sich die Namensfinder bei Caduet, das Bluthochdruckpatienten zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen einnehmen. Die erwünschte Assoziation: Die beiden enthaltenen Wirkstoffe wirken im Duett. Ein semantischer Kunstgriff ist auch mit der wohl berühmtesten blauen Pille Viagra gelungen: Das lateinische Wort "vis" (Stärke) trifft hier auf die berühmten Niagara-Wasserfälle.

Tatsache ist: Ein guter Name hält sich. Selbst dann, wenn das Arzneimittel längst vom Markt ist. Das populärste Beispiel: 1897 hatte Felix Hoffmann, Chemiker des Pharmakonzerns Bayer, im Labor die Substanz Diacetylmorphin entwickelt. Mit der "heroisch" anmutenden Bezeichnung Heroin glaubte man, einen Ersatz für das abhängig machende Schmerzmittel Morphin gefunden zu haben. Das Suchtgift wurde 1931 vom Markt genommen, der Name ist geblieben. (Günther Brandstetter, CURE, 17.4.2017)