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Außenminister Kurz plädiert dafür, Sozialleistungen nur auszuzahlen, wenn fünf Jahre in das System eingezahlt wurde.

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Wien – Der Außenminister hat einen schwerwiegenden Verdacht. Das heimische Sozialsystem sei so attraktiv, dass Menschen aus anderen EU-Staaten nicht nur nach Österreich kämen, um hier zu arbeiten. Man habe "immer wieder das Problem einer relativ direkten Zuwanderung ins Sozialsystem", deponierte Sebastian Kurz (ÖVP) zuletzt in der ORF-Pressestunde und wiederholt einen schon oft gesagten Satz: "Die Freiheit, überall arbeiten zu dürfen, darf nicht verwechselt werden mit der Freiheit, sich das beste Sozialsystem auszusuchen."

Kurz leitet daraus die Forderung ab, die Mindestsicherung und die Notstandshilfe nur an jene auszuzahlen, die fünf Jahre lang in Österreich in das Sozialsystem eingezahlt haben. Auf EU-Ebene will er sich für entsprechende Änderungen einsetzen, auch wenn es recht unwahrscheinlich ist, dass sich dafür Mehrheiten finden. Aber wie viele EU-Bürger gibt es überhaupt, die nach dem Zuzug rasch im Sozialsystem landen?

Zeiten aus dem Ausland

Zunächst zur Notstandshilfe: Im Kurz-Büro wird argumentiert, dass EU-Ausländer diese Leistung in Österreich auch dann in Anspruch nehmen können, wenn sie im Ausland erworbenen Versicherungszeiten anrechnen lassen. Eine EU-Verordnung macht das tatsächlich möglich. Ein Rumäne, der in Bukarest ein Jahr gearbeitet hat, könnte also theoretisch bei uns Arbeitslosengeld und in der Folge Notstandshilfe beziehen, wenn er nur wenige Tage hier gearbeitet hat.

Der STANDARD hat beim AMS nachgefragt, um wie viele Personen es dabei geht. Eine Sonderauswertung zeigt: Mit Stand Oktober 2016 gab es exakt 275 EU-Bürger, die in Österreich kürzer als drei Monate gearbeitet haben und durch die Anrechnung von im Ausland erworbenen Versicherungszeiten dennoch Arbeitslosengeld bezogen. Kürzer als sieben Tage waren 67 Personen beschäftigt.

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Notstandshilfe. Im Oktober gab es genau 172 EU-Ausländer, die diese Leistung nur dank Versicherungszeiten aus dem Ausland beziehen konnten und in Österreich kürzer als drei Monate gearbeitet haben. Wenige als sieben Tage waren 49 Personen in Österreich beschäftigt. Zum Vergleich: Ende des Vorjahres gab es knapp 147.000 Bezieher von Arbeitslosengeld und 163.000 Bezieher von Notstandshilfe. Auffällig im Sinne des Kurz-Verdachts sind also ein bis zwei Promille.

80 Prozent Aufstocker

Bei der Mindestsicherung ist die Datenlage wie berichtet recht dürftig. Die Länder, in deren Zuständigkeit sie fällt, haben keine Informationen darüber, wie lange jemand vor dem Bezug schon in Österreich gelebt hat. Dauerhaft beziehen kann man diese Sozialleistungen grundsätzlich, wenn man länger als ein Jahr gearbeitet hat.

Ein Rundruf unter den Ländern ergab folgendes Bild. Von den etwas über 21.000 Mindestsicherungsbeziehern aus anderen EU-Staaten, die es im Vorjahr in Österreich gab (die Werte von Salzburg fehlen noch), waren etwa 80 Prozent sogenannte Aufstocker. Das sind Menschen, die ein sehr niedriges Einkommen (Job, Pension, aber auch Arbeitslosengeld) haben und dieses mit der Mindestsicherung aufstocken.

Viele Aufstocker arbeitslos

Aus einer früheren Untersuchung des Wifo weiß man zwar, dass nur wenige Aufstocker tatsächlich im Erwerbsleben sind und fast 30 Prozent die Zuzahlung zum Arbeitslosengeld oder zur Notstandshilfe bekommen, dennoch lässt sich sagen, dass die Aussage zur direkten Zuwanderung in die Mindestsicherung nur selten zutrifft. Jene Menschen, die sich ihr Erwerbseinkommen mit der Mindestsicherung aufbessern, zahlen ohnehin Sozialversicherungsbeiträge. Und wer nicht berufstätig ist, muss, wie erwähnt, vorher in der Regel zwölf Versicherungsmonate erworben haben. Wer weniger hat, kann nur maximal ein halbes Jahr Mindestsicherung beziehen. (Günther Oswald, 25.3.2017)