Es zeigen sich erstaunliche Ähnlichkeiten zwischen Erwin Wurms One-Minute-Sculpture "Take your most loved philosophers" (2002) ...

Foto: Studio Erwin Wurm

... und Carl Spitzwegs "Bücherwurm" (1850).

Foto: Museum Georg Schäfer, Schweinfurt

Wien – Der deutsche Maler Carl Spitzweg (1808-1885) wird gemeinhin mit biedermeierlicher Beschaulichkeit assoziiert. So harmlos, wie sie scheinen, sind seine Darstellungen kleinbürgerlicher Idyllen und malerischer Städtchen aber nicht. Dies deutlich zu machen hat sich nun das Leopold-Museum vorgenommen. Mit einem überraschenden kuratorischen Kunstgriff: Spitzwegs OEuvre ist mit jenem von Erwin Wurm gepaart.

Was die beiden verbindet? Dass sie äußerst spitzfindige Beobachter und Spötter ihrer Lebenswelt waren, so Kurator Hans-Peter Wipplinger. Gemeinsam sei dem Maler des 19. Jahrhunderts und dem Bildhauer der Gegenwart überdies, dass sich der oft bissige Witz in ihren Arbeiten vielfach erst auf den zweiten Blick erschließe. Diesem Umstand trägt der Titel der Ausstellung Rechnung: Köstlich! Köstlich?

Nehmen wir etwa ein Bild Spitzwegs von 1872, das einen jungen Mann zeigt, der in einem pittoresken Gässchen einem Mädchen Blumen überreicht. Erst wer genau hinschaut, entdeckt die zahlreichen Köpfe, die hier neugierig aus den Fenstern lugen. Das Dorf stellt sich als Hochburg der zwischenmenschlichen Überwachung und gegenseitigen Beschränkung dar.

Widerständige Blumen

Die Thematik solcher Enge fand nun Wipplinger in Wurms Narrow House (2010) wieder. Die monumentale Installation zeigt ein Einfamilienhaus – jenes von Wurms Eltern -, gequetscht auf eine Breite von rund einem Meter; Länge und Höhe entsprechen dem Original. Sämtliches Inventar im Häuschen ist ebenfalls verzerrt – oder nein, Moment: Die Blumen auf dem Fensterbrett widersetzten sich der Quetschung und "blühen" in alter Breite vor sich hin.

Dass sich die Natur nicht eingrenzen lässt, war indes auch ein Thema Spitzwegs. Rund 300 Bilder widmete er scheinheiligen Mönchen. Einer macht sich in seiner Einsiedelei Brathühner, einen anderen stellte Spitzweg Bei der Weinprobe dar. Ungleich beißender wirkt ein Bild, auf dem ein Mönch mit lüsterner Mimik – und geballter Faust – einem Mädchen hinterherblickt.

An dieser Stelle hätte nun ein Elefant im Porzellanladen auch Wurms Serie Brothers and Sisters in den Dialog einführen können, für die Wurm Priester der Gegenwart fotografierte. So weit ging man dann aber doch nicht. Ein Bild aus dieser Serie ist zwar andernorts zu sehen, im Raum der ausschweifenden Mönche hängt aber nur Wurms Home, eine monumentale Kartoffel, die als Symbol für ein "Armenessen" den Kontrapunkt machen darf.

Parallelen fand Wipplinger auch im Umgang der beiden Künstler mit den Wissenschaften bzw. der Philosophie ihrer Zeit. Hier ist etwa Spitzwegs Kaktusfreund – ein kleiner Naturbeherrscher, jedoch nur in seiner Kakteensammlung – Wurms Selbstporträt als Essiggurkerl gegenübergestellt: 36 durchaus phallisch gemeinten Gurkerl-Objekten.

Zu sehen ist in der Schau auch Spitzwegs berühmtestes Bild, Der arme Poet (1839): Ein Werk, das bei seiner Präsentation einst Anstoß erregte, weil es kein idealistisches Bild vom Künstler zeigte, sondern auf dessen prekäre soziale Situation hinwies.

Erstaunlich aktuell wirkt dabei Spitzwegs im selben Raum untergebrachter Bücherwurm. Gedacht als ironische Überhöhung des Typus des Büchermenschen, zeigt es so etwas wie einen frühen "Multitasker". Anstatt sich auf ein Buch aus seiner Bibliothek zu konzentrieren, "jongliert" er gleich mit mehreren. Wie sich selbiges anfühlt, zeigt einem indes die beigefügte One-Minute-Sculpture Wurms: Unter dem Titel Take your most loved philosophers darf man sich Philosophiebücher zwischen die Arme und Beine klemmen, bis man ganz Skulptur geworden ist. (Roman Gerold, 25.3.2017)