Es gibt ein altes Grundprinzip im Parteienwettbewerb: Die besten Themen sind jene, die die eigene Wählerkoalition einen, jene des Gegner aber spalten.

Wann immer neue Themen auf der politischen Agenda auftauchen (etwa Umwelt in den 1980ern, Zuwanderung und Europa in den 1990ern), eröffnet das findigen Politikern die Möglichkeit, einen Keil in bestehende politische Allianzen zu treiben und so Wähler von etablierten Playern abzuziehen.

ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz besucht die EU-Agentur Frontex, die für die Grenzsicherung zuständig ist.
Foto: APA/Außenministerium/Tatic

Parteien versuchen daher, jene Inhalte in den Vordergrund zu stellen, bei denen die eigenen Anhänger möglichst geschlossen sind und jene der Konkurrenz möglichst uneinig.

Zurzeit erleben wir allerdings, dass die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP mit der gegenteiligen Strategie versuchen, Erfolg zu haben. Rot und Schwarz schlagen systematisch zuwanderungs- und EU-skeptische Töne an, um Stimmen aus dem Lager der FPÖ-Anhängerschaft zu gewinnen. Dabei zeigt ein Blick auf die erste Grafik unten, dass es genau diese beiden Themen sind, wo die Anhänger von Rot und Schwarz im Vergleich zur FPÖ (und auch zu den Grünen) viel heterogener in ihren Ansichten sind.

Dargestellt werden Agreement-Maßzahlen nach Van der Eijk, berechnet auf Basis der Autnes-Nachwahlbefragung 2013. Dieser Index kann Werte zwischen 1 (alle vertreten dieselbe Meinung) und –1 (zwei gleich große Lager in einer Gruppe vertreten diametral entgegengesetzte Standpunkte) annehmen. Die Einigkeit der FPÖ-Wählerschaft ist bei den Themen Zuwanderung (0,57) und EU (0,58) sehr hoch, jene von roten und schwarzen Anhängern mit Werten zwischen 0,14 und 0,29 deutlich niedriger.

Die Konsequenz daraus ist klar: Wenn SPÖ und ÖVP sich den Standpunkten der FPÖ in Zuwanderungs- und Europafragen annähern, kann das natürlich Stimmen aus dem blauen Lager bringen. Weil aber die Wählerschaft von Rot und Schwarz in diesen Fragen sehr heterogene Standpunkte vertritt, ist ein Schwenk nach rechts mit der Gefahr verbunden, dass man auf der anderen Seite Stimmen an Parteien mit zuwanderungs- und EU-freundlicheren Positionen (Grüne, Neos) verliert.

Zuwanderungs- und Europafragen sind und bleiben daher riskantes Terrain für die Regierungsparteien, weil die eigene Wählerkoalition hier recht breit gestreute Ansichten hat. Es war daher wohl strategisch klug, diese Themen mit solchen zu verquicken, die Kernkompetenzen von SPÖ und ÖVP darstellen (Familienpolitik, Arbeitsmarkt). So lässt sich der politische Balanceakt – Annäherung an FPÖ-Positionen, ohne gleichzeitig auf der anderen Seite Stimmen einzubüßen – vielleicht etwas glaubwürdiger vollziehen. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 26.3.2017)