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Die Nationale Allianz organisierte im August 2016 Proteste gegen die Relocation-Pläne der EU, Lettland Flüchtlinge zuzuteilen.

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Klare Ansage an "Migranten, Flüchtlinge".

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Riga – 531 Flüchtlinge soll Lettland laut dem Relocation-Programm der EU innerhalb von zwei Jahren aus Griechenland, Italien und der Türkei aufnehmen. Bislang hat Lettland auf Grundlage des Programms 170 Flüchtlinge aufgenommen, von denen über 100 das Land nach der Bearbeitung ihrer Anträge wieder verlassen haben, weil es für sie schier unmöglich war, in Lettland eine Wohnung oder Arbeit zu finden.

Rechtspopulisten setzen sich durch

Für viele der zwei Millionen Einwohner Lettlands sind die 531 Flüchtlinge, die das Land innerhalb von zwei Jahren aufnehmen soll, bereits zu viel. Das machen sich vor allem die mitregierenden Rechtspopulisten der Nationalen Allianz zunutze, die eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse von Flüchtlingen erzwang. Sie organisierten Proteste gegen Flüchtlinge, bei denen Plakate zu sehen waren, auf denen Hitler und Stalin in eine Reihe mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gesetzt wurden. Mitglieder der Nationalen Allianz nehmen außerdem jährlich am 16. März an der Demonstration zum Gedenken an die lettische Legion der Waffen-SS teil. Trotzdem ist die Partei Teil des Regierungsbündnisses in Lettland und hat konkrete Verschlechterungen der Bedingungen von Flüchtlingen in Lettland durchgesetzt.

Asylwerber, die auf Bearbeitung ihres Antrags warten, erhalten drei Euro "Taschengeld" am Tag. Die monatliche Unterstützung für die anerkannten Flüchtlinge aus dem Relocation-Programm der EU wurde auf Druck der Rechtspopulisten von 256 Euro auf 139 Euro im Monat reduziert. Außerdem läuft auch diese Hilfe nach einem Jahr aus. In Lettland ist es mit einer so geringen Summe kaum möglich, eine Wohnung zu mieten und zu überleben. Die Reduzierung der Hilfe ist einer der Hauptgründe dafür, dass viele Asylbewerber das Land verlassen und vor allem in Deutschland ihr Glück versuchen. Bislang haben über 100 Flüchtlinge Lettland wieder verlassen, wobei unklar ist, wie viele nach Lettland zurückkehren wollen. Das Recht auf Reisen innerhalb des Schengenraums haben Flüchtlinge.

Keine Bereitschaft für Aufnahme

Die Strategie der Rechtspopulisten hat in Lettland bisher gut funktioniert: Sie setzten die Forderung durch, die Lebensverhältnisse der Flüchtlinge so zu verschlechtern, dass sie in Lettland nicht mehr überleben können. Wenn diese dann Lettland nach der Prüfung ihres Asylantrags verlassen, argumentieren die Politiker der Nationalen Allianz, dass die Flüchtlinge nicht bleiben wollen, weil es in Deutschland mehr Sozialhilfe gebe und sie arbeitsscheu seien, obwohl diese gar kein Anrecht auf Sozialhilfe in Deutschland haben. Bei der lettischen Bevölkerung geht diese Strategie auf. Ein Großteil der Menschen würde am liebsten gar keine Flüchtlinge aufnehmen.

"Zwischen der Etablierung des Asylrechts 1998 und dem Jahr 2015 haben weniger als zweihundert Menschen einen Asylstatus in Lettland erhalten", sagt Didzis Melbiksis, der in Riga für das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) arbeitet. "Laut dem Relocation-Programm der EU sollen nun innerhalb von zwei Jahren 531 Menschen aufgenommen werden. Das ist zwar eine krasse Erhöhung für lettische Verhältnisse, im europäischen Vergleich aber immer noch sehr wenig."

Didzis Melbiksis' Job ist es, für den UNHCR mit den lettischen Medien und der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Das Büro des UNHCR in Riga wurde erst Ende 2014 wiedereröffnet, weil das Flüchtlingsthema zuvor kaum eine Rolle in den baltischen Staaten gespielt hat. Melbiksis' Job ist nicht einfach, weil die Bevölkerung des Landes laut Außenminister Edgars Rinkēvičs von allen EU-Staaten am wenigsten bereit ist, Flüchtlinge aufzunehmen. Melbiksis sagt: "Die Meinungsumfragen zeigen deutlich, dass viele Letten die Asylbewerber als Invasoren betrachten und der EU vorwerfen, uns diese Menschen aufzuzwingen. Wir haben eine Flüchtlingskrise in Lettland, obwohl wir kaum Flüchtlinge haben. Das ist absurd."

Privat organisierte Hilfe

Doch es gibt auch Letten, die sich für Geflüchtete einsetzen. Im Rigaer Stadtzentrum, unweit der Jugendstilgebäude, hat das Unternehmen Brain Games seinen Sitz. In einem hellen Raum im zweiten Stock sitzen drei Männer an einem Tisch und testen Brettspiele. Unter ihnen auch der Gründer Egils Grasmanis. Sein Unternehmen entwickelte einige der erfolgreichsten Brettspielinnovationen. Das neue Spiel "Ice Cool" aus der Rigaer Schmiede wurde vom "Telegraph" zu einem der zwanzig erfolgreichsten Spiele des Jahres 2016 gekürt.

Emils Grasmanis grüßt auf Deutsch und hat gute Laune, die er sich auch nicht durch die Hassposts auf Facebook vermiesen lässt. Er ist der Gründer der Facebook-Seite "Gribu Palīdzēt Bēgļiem" ("Ich will Flüchtlingen helfen"), die 3.000 Mitglieder hat. Inzwischen kann man nur noch mit einer Einladung von Egils Grasmanis etwas auf der Seite posten: "Wir mussten diesen Schritt tun, weil wir viele Hasskommentare auf unserer Seite bekommen haben. Sie haben uns Verräter und Idioten genannt."

Als Grasmanis hörte, dass Flüchtlinge in Mucenieki, zwanzig Kilometer von Riga entfernt, untergebracht werden, wollte er aktiv werden. Zuerst brachte er mit Kollegen Brettspiele zu den Geflüchteten und versuchte herauszufinden, wie man helfen könne: "Viele haben sich über uns gefreut und gelächelt. Sie waren froh, dass Menschen aus Lettland mit ihnen sprechen wollten und sich für sie interessierten." Später begann Grasmanis dann, Winterkleidung, Medikamente und andere Notwendigkeiten des täglichen Lebens für die Flüchtlinge zu sammeln.

Keine Illusionen

Eines Tages fiel ihm im Flüchtlingsheim Mucenieki eine Frau aus dem Kongo mit ihrer zweijährigen Tochter auf. Die beiden sollten in Abschiebehaft gebracht werden, woraufhin Grasmanis und seine Frau sich dazu entschieden, die beiden bei sich zu Hause aufzunehmen. "Natürlich haben wir etwas Privatsphäre verloren, aber das Lächeln der beiden war es wert."

Die Aufnahme von Flüchtlingen traf auf wenig Gegenliebe in seiner Umgebung. Als er auf Facebook postete, dass er bereit sei, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen, rief seine Mutter an und sagte: "Ich hoffe, du meinst das nicht ernst. Warum willst du dir das antun? Haben wir denn nicht genug Probleme?" Egils Grasmanis macht sich keine Illusion über die Einstellung seiner Landsleute: "Die meisten Letten haben eine negative Einstellung gegenüber Flüchtlingen. Aber sie legen diese auch schnell ab, wenn sie die Menschen treffen. Ich glaube, es ist möglich, den Letten zu erklären, dass wir eine Pflicht haben zu helfen."

Der Homo sovieticus hat Angst

Der öffentliche Diskurs zum Thema Flüchtlinge ist in Lettland zwischen lettisch- und russischsprachigen Medien aufgeteilt. Die russischsprachige Minderheit macht knapp 40 Prozent der Bevölkerung aus und verfolgt meist russische Medien, in denen das Ende der EU aufgrund der Flüchtlinge herbeifantasiert wird. Aber auch in großen lettischsprachigen Fernsehsendern und den Social Media werden Fake-News über kriminelle Flüchtlinge gesendet und geteilt. Die Flüchtlinge in Lettland sind bislang nicht als Kriminelle in Erscheinung getreten, trotzdem verbreiten sich wiederholt Nachrichten über kriminelle Flüchtlinge.

Der Journalist Uģis Lībietis arbeitet an diesen Themen und führt den Rassismus in Lettland auf die autoritären Strukturen in der Sowjetunion zurück: "Es wird immer gesagt, die Sowjetunion wäre daran gescheitert, einen neuen Menschen zu schaffen, aber das stimmt nicht. Es gibt den Homo sovieticus, und der ist xenophob und hat Angst vor allem, was er nicht kennt." Lībietis setzt seine Hoffnungen daher auf die junge Generation von Letten: "Die jungen Menschen in Lettland denken europäischer und haben wenig mit ihren Eltern gemein. Vielleicht gibt es da ja Hoffnung." (Krsto Lazarević, 28.3.2017)